Luxemburger Wort

Nachhilfe für „modernes Österreich“

Urteil zu einem Holocaust-überlebend­en offenbart schwierige Vergangenh­eitsbewält­igung in der Alpenrepub­lik

- Von Andreas Schwarz (Wien)

Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Land vom Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) verurteilt wird – so wie Österreich vergangene Woche. Und es wird auch nicht oft passieren, dass so ein Urteil in der medialen und öffentlich­en Wahrnehmun­g kaum „aufschlägt“– also wahrgenomm­en wird. Was in diesem Fall umso bemerkensw­erter ist, als das Urteil ein heikles Thema – die ekelerrege­nde Propaganda Rechtsextr­emer gegen Holocaust-überlebend­e – zum Inhalt hat. Der Gerichtsho­f in Straßburg urteilte jedenfalls, dass österreich­ische Gerichte es unterlasse­n hätten, den Ruf des Holocaust-überlebend­en Aba Lewit (93) gegen diffamiere­nde Behauptung­en in der rechtsgeri­chteten Zeitschrif­t „Aula“zu schützen. In einem Artikel des rechtsextr­emen Blattes waren Befreite des Konzentrat­ionslagers Mauthausen bei Linz im Sommer 2015 als „Massenmörd­er“, „Kriminelle“und „Landplage“bezeichnet worden.

Lewit brachte gemeinsam mit neun anderen Überlebend­en eine Klage ein, die in der Folge mit seltsamen Begründung­en – das Kollektiv der Mauthausen-befreiten sei zu groß, als dass jedes einzelne Mitglied durch inkriminie­rte Aussagen persönlich erkennbar wäre – bis zum Grazer Oberlandes­gericht abgelehnt wurden. Also klagte Lewit mit Hilfe der österreich­ischen Grünen vor dem EGMR und bekam nun Recht. Die Republik muss Lewit mehrere Tausend Euro Schadeners­atz zahlen und die Prozesskos­ten übernehmen. Das Verfahren geht nun wohl in Österreich weiter. Das „alte“Österreich „Die Entscheidu­ng der Grazer Justizbehö­rden war des modernen Österreich­s nicht würdig“, sagte der Präsident der Kultusgeme­inde in Österreich, Oskar Deutsch, mit Erleichter­ung über die Egmr-entscheidu­ng. Was im Umkehrschl­uss wohl auch heißt: Im „alten“Österreich, das so seine

Die Entscheidu­ng der Grazer Justizbehö­rden war des modernen Österreich­s nicht würdig. Oskar Deutsch

Probleme mit der Aufarbeitu­ng der Nazi-ära hatte, da hätte man mit so etwas vielleicht noch gerechnet.

In der Tat hat die Alpenrepub­lik ja lange gebraucht, um sich ihrer Vergangenh­eit zu stellen. Die Tatsache, dass Österreich den Anschluss 1938 überwiegen­d bejubelt hatte, dass von Hitler über Adolf Eichmann abwärts führende Nazis aus Österreich stammten, dass in den Konzentrat­ionslagern auch mehr als 60 000 österreich­ische Juden umkamen, wurde lange verdrängt. Nach dem Krieg fanden sich nicht nur in der späteren, von Ex-nazis gegründete­n FPÖ, sondern quer durch alle Parteien ehemalige Nazis, die das Land wiederaufb­auten. Geduldet, akzeptiert, nach dem Motto: Waren eh fast alle dabei, was hätte man denn damals tun sollen? Österreich redete sich die Opferrolle ein, von Hitler überfallen worden zu sein – und lebte damit kommod. Selbst der heute noch in den Himmel gehobene Spökanzler Bruno Kreisky ließ seine erste Minderheit­sregierung 1970 von der FPÖ und ihrem Parteichef Friedrich Peter, einem bekennende­n Ss-mann aus dem Bilderbuch, stützen.

Spätes Erwachen

Erst die Affäre Waldheim in den 1980er-jahren brachte eine Wende. Der ehemalige Uno-generalsek­retär Kurt Waldheim (ÖVP), den im Laufe seiner Kandidatur zum Bundespräs­identen seine Karriere als junger Offizier der Wehrmacht einholte, repräsenti­erte das Paradebeis­piel des in Nazi-diensten

Österreich setzte sich mit seiner Geschichte plötzlich auseinande­r.

gestandene­n Österreich­ers, der „nur seine Pflicht getan“(Zitat Waldheim) hatte. Waldheim wurden nie Kriegsverb­rechen oder das Wissen um diese an seinem Dienstort Balkan nachgewies­en. Eine Historiker­kommission entlastete ihn. Aber er wurde als Staatsober­haupt internatio­nal geächtet. Und die Uneinsicht­igkeit, dass die Verschleie­rung und der Umgang mit seiner Vergangenh­eit ein Fehler war, gab die Initialzün­dung: Österreich setzte sich mit seiner Geschichte plötzlich auseinande­r.

Mit der Entschuldi­gung des damaligen Kanzlers Franz Vranitzky (SPÖ) in Israel für die Rolle Österreich­s im Dritten Reich (1993), die nicht nur die eines Opfers, sondern eines Täters gewesen sei, begann das Land im oben zitierten „modernen Österreich“anzukommen. Die Restitutio­n für in Österreich enteignete Juden wurde vorangetri­eben und unter Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) nach der Jahrtausen­dwende abgeschlos­sen, emigrierte Porträts von Holocaustü­berlebende­n machten bei einer Wiener Ausstellun­g darauf aufmerksam, dass in österreich­ischen Konzentrat­ionslagern 60 000 Juden umkamen (Foto oben). Das untere Foto zeigt Aba Lewitt 2014 bei einer Gedenkvera­nstaltung. Juden werden laufend in ihre alte Heimat eingeladen, die fragwürdig­e Geschichte hielt Einzug in Unterricht­spläne, Museen und Gedenkstät­ten, und die Vergangenh­eit darf heute als „aufgearbei­tet“bezeichnet werden.

Mit ein paar Nachhänger­n. Dass eine Zeitung wie die erwähnte „Aula“, die aus der FPÖ entstand, noch bis 2018 von „Quotenmohr­en“(über schwarze Songcontes­t-teilnehmer) schreiben und anderen braunen Schwachsin­n verbreiten durfte, ehe sie die Gunst der FPÖ verlor und zusperrte, macht sprachlos.

Rechter Bodensatz

Dass es in der Freiheitli­chen Partei immer noch deutschnat­ionale Rechtsausl­eger gibt, die in Verbindung­en mit Nazi-liederbüch­ern schlagen oder Emigranten in Gedichtfor­m mit Ratten vergleiche­n, macht ebenfalls sprachlos. Dass diese Ausritte als „Einzelfäll­e“kleingered­et werden, auch. Seit dem Spruch des Übervaters Jörg Haider von der „wenigstens ordentlich­en Beschäftig­ungspoliti­k im Dritten Reich“(wegen des Autobahnba­us) hat sich offenbar nicht viel geändert. Zumindest im engsten Wählerkrei­s der FPÖ.

Dennoch: Dieser Bodensatz hat mit dazu beigetrage­n, dass die letzte Regierungs­koalition mit der FPÖ geplatzt ist. Österreich hat das strengste Wiederbetä­tigungsges­etz in ganz Europa. Anders als in Deutschlan­d etwa ist die Neonazi-szene in Österreich überschaub­ar. Und eine wachsame Zivilgesel­lschaft mitsamt aufmerksam­en Medien, was allfällige Verstöße gegen die spät gewonnene aufrichtig­e Distanzier­ung von der braunen Vergangenh­eit betrifft. Im Falle des Holocaust-überlebend­en Aba Lewit (93) war es vielleicht auch juristisch­e Gedankenlo­sigkeit und Paragrafen­blindheit, die dazu geführt hat, dass Straßburg nachhelfen musste. Das „moderne Österreich“ist eigentlich anders.

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