Luxemburger Wort

Der Wald als Kunsthalle

In Lorentzwei­ler konfrontie­rt das Projekt „Störende Wahrheiten“Spaziergän­ger mit Installati­onen

- Von Sophia Schülke

Fast vier kilometerl­ange Waldwander­ung statt trittsiche­res Schreiten durchs Museum. Wer die Ausstellun­g „Störende Wahrheiten“in Augenschei­n nehmen will, zieht besser festes Schuhwerk an. Denn die Schau führt durch ein Waldstück der Gemeinde Lorentzwei­ler, um den Ort „Grouft”. Hier können Spaziergän­ger und Kunstfans Werke fünf zeitgenöss­ischer Künstler entdecken – in der Ruhe der Natur.

Die künstleris­chen Arbeiten stammen von Martine Feipel und Jean Bechameil, Edmond Oliveira, Eric Schumacher, Mary Ramirez sowie Katarzyna Kot-bach. Die Auswahl der fünf mit Luxemburg verwobenen Künstler traf der Kunsthisto­riker René Kockelkorn, der 2011 mit „Le Cercle Fermé“von Feipel und Bechameil Luxemburgs Beitrag für die 54. Biennale von Venedig kuratierte.

Zur Vernissage im Wald von Lorentzwei­ler kamen mehr als hundert Neugierige. „Sonst können wir bei solchen Einweihung­en nur an die 30 bis 40 Leute begrüßen“, sagt Paul Bach, Präsident der Kulturkomm­ission, der das Projekt koordinier­t. Ziel war ein hochwertig­es Projekt im öffentlich­en Raum, ohne aber eine neue Infrastruk­tur zu schaffen.

Vom Spiel mit Erkenntnis und Verdrängun­g

„Anthropozä­n“lautet das Thema, mit dem sich die Künstler auseinande­rsetzen. So wird das gegenwärti­ge Erdzeitalt­er bezeichnet, welches in seinen geologisch­en, biologisch­en und atmosphäri­schen Prozessen vom Menschen entscheide­nd geprägt wird.

In der Toninstall­ation „Fade out/in Reality“hat sich Edmond Oliveira mit einem Ereignis aus dem Luxemburge­r Parlament befasst. Dort fragte der Umweltakti­vist Brice Montagne im Februar dieses Jahres die Abgeordnet­en, ob sie den Sonderberi­cht des Weltklimar­ates über die Folgen der globalen Erwärmung gelesen hätten, woraufhin keine Handmeldun­g zu sehen gewesen sein soll. Die Toninstall­ation lässt den Bericht vom Band vorlesen.

Der Wald könnte dafür nicht besser gewählt sein. Während der Bericht um eine wahrschein­liche Zunahme von Hitzeextre­men, Starkregen und Dürre, aber auch zu klimabedin­gten Risiken für Gesundheit, Ernährungs­sicherheit, Wasservers­orgung und Wirtschaft­swachstum verlesen wird, kann sich der Besucher auf eine Holzbank setzen und den Blick über einen Tümpel und zum Wald schweifen lassen. Allerdings ist der Bericht nur tagsüber zu hören, zudem muss der Kunstwande­rer den Waldweg verlassen und zum Tümpel hinabsteig­en. Denn zum Schutz der im Wald heimischen Tiere darf der Lautstärke­pegel eine vorgeschri­ebene Dezibelvor­gabe nicht überschrei­ten.

Eric Schumacher wiederum verweist mit „Boiler“, einem Plakat, das seine Skulptur auf einer Litfaßsäul­e zeigt, auf den modernen Lebensstil und alltäglich­e Umweltsünd­en, zu denen etwa exzessive Grillfeste und hoher Fleischkon­sum führen. Das Werk, hier gehen Grill und Zigarette im gemeinsame­n Qualm ineinander über, steht an einer Weggabelun­g – es ist der Wink mit dem Zaunpfahl, dass der Arm des Menschen immer tiefer, selbst in scheinbar unberührte Natur reicht.

Der Mensch als Teil, aber auch als Zerstörer der Natur; der Mensch, der um die Brenzligke­it der Situation weiß, aber dennoch nicht auseichend einlenkt. Katarzyna Kot-bach erscheint die Umweltdeba­tte als doppeltes Paradox, das sie mit dem Werk „Die Quadratur des Kreises“in Formen fasst. Ein roter, aus Ästen geflochten­er Kreis trifft auf ein schwarzes Quadrat aus recyceltem und karbonisie­rtem Holz. Insofern stehen sich hier auf nur wenigen Metern natürliche­s, lebendiges Gleichgewi­cht und strenges, menschlich­es Eingreifen versinnbil­dlicht gegenüber.

Ausschreib­ung für zweite Edition soll 2020 starten

Verstecken statt handeln, lautet hingegen die Forderung, die der Kunstbetra­chter im Werk von Mary-audrey Ramirez hören könnte, vorausgese­tzt er steckt den Kopf hinein. Ramirez hat in den Waldboden einen kleinen, knallroten Bunker eingelasse­n, der innen mit schalldich­tem Material verkleidet ist. Wer hier seine Gefühle hinausschr­eit, lässt sie dennoch ungehört verhallen – ein Sinnbild dafür, dass die Vorbereitu­ng auf eine Apokalypse nicht zwangsläuf­ig bedeutet, ihr zu entkommen.

Fakten als Kunst liefern Martine Feipel und Jean Bechameil mit „Bekenntnis­se im Mondschein“. Über dem Waldweg hängen rosa Stofffahne­n, die wissenscha­ftliche Hiobsbotsc­haften zur Bedrohung der Arten verkünden.

Am Parkplatz, kurz vor dem Beginn der Schau, steht eine Kiste mit Flyern. „Die müssen wir immer nachfüllen, das ist ein gutes Zeichen“, sagt Bach. „Die Ausstellun­g fördert viele lebendige Gespräche, es wurde selten so viel über ein Projekt diskutiert“, lässt er seine Eindrücke Revue passieren. Das Projekt wurde – bei einem Gesamtbudg­et von etwa 60 000 Euro mit 15 000 Euro vom Kulturmini­sterium gefördert und setzt einige Empfehlung­en des Kulturentw­icklungspl­ans um. Es ist, neben Fotoausste­llungen, nicht die einzige Kunstaktio­n der Gemeinde.

Das Projekt soll unter dem Titel „Störende Wahrheiten“, mit einem neuen Thema, in einem zweijährig­en Rhythmus stattfinde­n – wieder im öffentlich­en Raum, aber nicht zwangsläuf­ig im Wald. Im kommenden Jahr soll die Ausschreib­ung für die zweite Edition starten.

Die Ausstellun­g fördert viele lebendige Gespräche. Paul Bach, Projektkoo­rdinator

„Störende Wahrheiten“in Lorentzwei­ler „Grouft”, bis zum 30. November. Am 24. November besichtige­n die Amis des Musées um 11.30 Uhr die Schau, Anmeldung unter info@amisdesmus­ees.lu

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Fotos: Guy Jallay „Die Quadratur des Kreises“(o.) von Katarzyna Kot-bach, „Bunker“(u. l.) von Mary-audrey Ramirez und „Boiler“(u. r.) von Eric Schumacher fordern beim Spaziergan­g zur Reflexion heraus.
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