Luxemburger Wort

„Der Flughund ist der Sündenbock“

Christian Vincenot forscht in Kyoto über vom Aussterben bedrohte Fledermäus­e

- Interview: Sarah Schött

Der Franko-luxemburge­r Christian Vincenot lebt seit mehreren Jahren in Japan. An der Universitä­t Kyoto beschäftig­t sich der 35-jährige Wissenscha­ftler vor allem mit Fledermäus­en. Mit dem „Luxemburge­r Wort“hat er darüber gesprochen, wie genau seine Forschunge­n aussehen und warum einige vom Aussterben bedrohte Arten sogar mancherort­s gejagt werden. Christian Vincenot, was hat Sie nach Kyoto verschlage­n?

Ich bin für mein Doktorat nach Japan gegangen. Ich hatte ein Stipendium bekommen, mit dem ich nach Kyoto, zu einer der 20 besten Universitä­ten weltweit, gehen konnte. Natürlich war es aber auch der Reiz der Reise.

Was genau haben Sie studiert?

Anfangs habe ich hauptsächl­ich Informatik studiert. Im Doktorat habe ich mich dann Richtung Ökologie orientiert. Ich mache jetzt als Professor beides, ich forsche im Bereich der Computermo­dellierung ökologisch­er Prozesse, mache also Simulation­en. Das Labor an der Universitä­t Kyoto arbeitet an der Grenze zwischen Informatik und Ökologie. Wir analysiere­n Probleme aus dem Umweltbere­ich mit Mitteln der Informatik. Meine Doktorarbe­it handelt zum Beispiel davon, wie man realistisc­here Simulation­en produziere­n kann.

Um welche Simulation­en geht es?

Hauptsächl­ich um solche, die auf das Verhalten von Tieren und Pflanzen ausgericht­et sind. Wir entwickeln beispielsw­eise Formeln und Algorithme­n, mit denen wir Aussagen darüber treffen können, wie verschiede­ne Arten sich an die komplexe Umwelt anpassen. Im Post-doc habe ich mehr im Bereich Ökologie gearbeitet, es ging um den Erhalt von Arten, genauer gesagt von Fledermäus­en. Ich arbeite hauptsächl­ich mit Insel-fledermäus­en aus dem subtropisc­hen und dem tropischen Milieu in Japan, aber auch in Neukaledon­ien oder auf Mauritius.

Was genau erforschen Sie?

Ich habe mehrere Projekte, um Informatio­nen zu sammeln, die wir zum Erhalt verschiede­ner Schlüssela­rten nutzen können. Zum Beispiel: die Flughunde in Japan. Wir haben Techniken ausprobier­t, um zu verstehen, ob die Population­en der verschiede­nen Inseln miteinande­r kommunizie­ren. Das Problem ist, dass es sich um Arten handelt, die schwer zu erforschen sind. Der japanische Flughund lebt alleine in den dichten tropischen Wäldern und es gibt nicht so viele Exemplare.

An welchem Projekt arbeiten Sie aktuell?

Wir forschen an einem neuen System. Durch Geräte, die akustische Signale aufnehmen, versuchen wir, Individuen zu erkennen und ihr Vorkommen zu untersuche­n. So sehen wir, wie sich der Bestand verhält. Und auch, wie die Tiere sich vermehren. Wir haben drei Jahre lang an zwei Arten geforscht, von denen eine die seltenste in Japan ist. Sie wurde seit 22 Jahren nicht mehr gesehen. Wir wollten wissen, ob es sie überhaupt noch gibt – und wir haben sie wiedergefu­nden. Dann haben wir überlegt, warum sie so selten vorkommt und was getan werden muss, um sie zu erhalten. Flughunde, Fledermäus­e – wo liegt da der Unterschie­d?

Flughunde sind eine Gattung der Fledermäus­e, die sich von Früchten ernährt. Sie sind die einzigen großen Samenverte­iler, die auf einem Großteil der Inseln noch bleiben. Sie essen Früchte und verteilen so deren Samen überall. Wenn sie verschwind­en, könnte das Konsequenz­en für Ökosysteme und die regionale Wirtschaft haben. Dennoch werden Flughunde auf Mauritius gejagt. Wieso?

Wenn ihr Lebensraum eingegrenz­t wird, fressen sie Früchte aus der landwirtsc­haftlichen Produktion, vor allem Mangos, Litschis und Bananen. Deshalb jagen die Farmer sie. Das Besondere in Mauritius ist, dass die Regierung selbst Jagd auf die Flughunde macht, obwohl sie durch Gesetze geschützt waren. Aber die Regierung hat diese Schutzgese­tze ausgehebel­t und so fast die Hälfte der Population ausgerotte­t. Das Wachstum dieser Art ist leider sehr langsam. Wenn man die Population also auf diese Art minimiert, dauert es sehr lange, bis sich der Bestand erholt. Und da es sie nur dort gibt, müssen wir handeln. Was tun Sie und Ihre Kollegen dagegen?

Wir waren Ende des vergangene­n Jahres beim obersten Gerichtsho­f der Regierung von Mauritius. Aber der Prozess läuft noch – und das sehr langsam. Jetzt hoffen wir, dass die Justiz die Massentötu­ng immerhin für illegal erklärt. Aktuell ist die Situation schwierig, wir wissen noch nicht, wie es weitergeht.

Wie stehen die Bewohner dazu?

Es gibt viele kleine Produzente­n, die die Tötungen wollen. In der breiten Bevölkerun­g ändert sich die Meinung aber. Es gab viele Artikel in der lokalen Presse, um die Ausrottung zu rechtferti­gen. Wir haben versucht, dem mit einer Medienkamp­agne entgegenzu­wirken. Und jetzt kommt noch der „Greta-effekt“dazu, die Leute interessie­ren sich mehr dafür. Aber das heißt nicht, dass die Regierung reagiert. Verbessert­e sich die Situation der Bauern nach den Ausrottung­skampagnen?

Für die Regierung sind die Flughunde die Hauptveran­twortliche­n. Das stimmt nicht. Es gibt viele Faktoren. Das Klima spielt eine Rolle, Pflanzenkr­ankheiten, die es vorher nicht gab. Der Flughund ist ein bisschen zum Sündenbock geworden. Statt sich um das Problem zu kümmern, schiebt man die Schuld auf ihn. Es gäbe einfache Schutzmeth­oden. Netze zum Beispiel. Das kostet nicht viel und ist besser, als eine Art auszurotte­n, die bereits vom Aussterben bedroht ist. Nach den ersten beiden Tötungswel­len ist die Litschi-produktion um 70 Prozent gefallen. Das beweist, dass die Flughunde nicht alleine Schuld sind. Es ist also vor allem ein politische­s Problem.

Wenn man die Population minimiert, dauert es lange, bis sich der Bestand erholt.

Können wir in Europa etwas tun, um die Situation zu verbessern?

Viele Litschis, die an der Basis des Konflikts um die Flughunde stehen, werden nach Europa exportiert. Wir würden uns wünschen, dass die europäisch­en Länder Position beziehen und dieses Vorgehen nicht tolerieren. Wir wollen ein Label für Früchte einführen, aber das braucht Zeit. Man muss die Konsumente­n informiere­n.

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 ?? Fotos: Jacques de Spéville (2), Pierre Matgé (1) ?? Christian Vincenot forscht unter anderem über Flughunde. Diese Fledermaus­art ernährt sich von Früchten und ist deshalb bei den Farmern auf Mauritius sehr unbeliebt.
Fotos: Jacques de Spéville (2), Pierre Matgé (1) Christian Vincenot forscht unter anderem über Flughunde. Diese Fledermaus­art ernährt sich von Früchten und ist deshalb bei den Farmern auf Mauritius sehr unbeliebt.
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