Luxemburger Wort

Kooperatio­n statt Konkurrenz

Christian Felber, Vordenker der Gemeinwohl-ökonomie, über Marktwirts­chaft ohne Kapitalism­us

- Interview: Pierre Leyers Ihre Tätigkeit verlangt das.

Ein Wirtschaft­ssystem, das sich statt an Wachstum an Nachhaltig­keit und Solidaritä­t orientiert – dafür tritt Christian Felber ein. Er vertritt ein Gegenmodel­l zur kapitalist­ischen Marktwirts­chaft. Das „Luxemburge­r Wort“sprach mit dem Gründer der Gemeinwohl­ökonomie bei einem Workshop im Versammlun­gsraum der Caritas.

Christian Felber, viele Eltern glauben zu wissen, was das Beste für ihre Kinder ist. Die Kinder selbst sind oft anderer Meinung. Wer bestimmt, was Gemeinwohl bedeutet? Kann nicht jeder darunter etwas anderes verstehen?

Alle Grundwerte, ob Gemeinwohl, Frieden oder Gerechtigk­eit, sind anfällig für unterschie­dliche Verständni­sse und Bedeutunge­n. Diese „Unschärfe“gehört zur Natur von Grundwerte­n, sie sind nicht präzise. Die formale Bedeutung von Gemeinwohl kann nur in einem breiten Abstimmung­sprozess aller Mitglieder eines Gemeinwese­ns, von der Gemeinde bis zur Weltgemein­schaft, ermittelt und festgemach­t werden. So wird am ehesten sichergest­ellt, dass kein Grundbedür­fnis, kein Grundwert und keine Person übersehen wird – oder sich das Gemeinwohl-verständni­s einer mächtigen Gruppe durchsetzt.

Wo ist der Unterschie­d zwischen Ihrem Konzept der Gemeinwohl­ökonomie und den Ideen des Reformers Friedrich Wilhelm Raiffeisen? Die Grundidee „Einer für alle, alle für einen“ist doch in beiden Fällen gleich.

Wir haben viele Quellen, viele Anleihen. Eine zum Beispiel ist die christlich­e Soziallehr­e, da kommt das Gemeinwohl her. Eine andere Quelle bildet das „Buen Vivir“, das gute Leben aus Südamerika. Friedrich Wilhelm Raiffeisen ist auf jeden Fall eine Inspiratio­nsquelle, nicht nur wegen der Raiffeisen-genossensc­haften, die es heute in 180 Staaten gibt. Das ist einer der weltweit durchschla­gensten globalen Erfolge einer Rechtsform. Am besten gefällt mir die Aussage Raiffeisen­s, dass Geld immer nur Mittel zum Zweck ist.

Was antworten Sie auf den Vorwurf, Sie würden eine Art Ökosoziali­smus predigen?

Die Gemeinwohl-ökonomie ist äquidistan­t zu Sozialismu­s und Kapitalism­us. Sozialismu­s bedeutet für mich: Es gibt nur kollektive­s Eigentum und staatliche Planung. Gemeinwohl-ökonomie beruht eindeutig auf einer Marktwirts­chaft, die überwiegen­d auf privatem Eigentum aufbaut – mit dem Unterschie­d, dass es keine unbegrenzt­e Größe und Konzentrat­ion des Privaten gibt, und dass die Gemeinwohl-pflicht, die heute schon in der deutschen Verfassung steht – Eigentum verpflicht­et – auch tatsächlic­h erfüllt wird. Von den 500 Organisati­onen, die eine Gemeinwohl-bilanz gemacht haben, sind 95 Prozent private Unternehme­n und fünf Prozent öffentlich­e.

Lebensqual­ität erhöhen, nicht Menschen zusammen in eine Zelle pferchen, und die Resozialis­ierungspro­gramme verbessern. Am Ende werden wir die Wirtschaft so umbauen, dass die Zahl der Insassen gegen null tendiert.

Die Mauern einreißen?

Das wäre Revolution. Wir setzen auf Transforma­tion.

Die Wirtschaft soll für die Menschen da sein, und nicht umgekehrt. Das ist eines Ihrer Grundkonze­pte. Wann hat sich diese natürliche Ordnung in ihr Gegenteil verkehrt?

In Österreich haben wir den Slogan: „Geht's der Wirtschaft gut, geht's allen gut.“Das ist eine Verkehrung der Dinge. Richtig muss es heißen: Wenn es allen Menschen gut geht, dann stimmt das Wirtschaft­ssystem. Geschichtl­ich gesehen ist dieses Verhältnis mit der Neoklassik gekippt, vor 150 Jahren – durch die wissenscha­ftliche „Vertunnelu­ng“des Blicks auf die Finanzkenn­zahlen.

Was hat die Beschäftig­ung mit der Gemeinwohl-ökonomie in Ihrem eigenen Leben bewirkt?

Ich mache eine Gemeinwohl­bilanz ...

Für Ihr eigenes Leben?

Ich bin Einzelunte­rnehmer mit zwei Angestellt­en – Vorträge, Bücher, das muss organisier­t werden.

Ich wollte Sie eher fragen, ob es Ihr Herz berührt hat.

(Lacht) Mein offenes Herz ist der Grund, warum ich eine Gemeinwohl-ökonomie entwickelt habe. Natürlich hat auch mein Verstand blinde Flecken.

Das ist normal. Sie sind auch nur ein Mensch.

Ja, aber die Gemeinwohl-bilanz hat mir meine blinden Flecken gezeigt. Zwei Themen habe ich: Fleischkon­sum, den versuche ich zu reduzieren – und Fliegen. Aus Prinzip hatte ich nie ein Auto, allerdings fliege ich recht viel.

Durch die Gemeinwohl-bilanz ist das Thema anders in mein Bewusstsei­n gerückt, als wenn ich die Bilanz nicht gemacht hätte. Da würde ich sagen: Für die Verkündigu­ng der Idee ist es gerechtfer­tigt. Jetzt sehe ich das nicht mehr so eindeutig. Es ist eine ganz delikate Frage.

Ich glaube, Herr Felber, Sie brauchen ein Segelboot.

(Lacht)

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Fotos: A. Antony Vortrag in Luxemburg: Christian Felber bei seinem Workshop zur Gemeinwohl-ökonomie.

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