Kooperation statt Konkurrenz
Christian Felber, Vordenker der Gemeinwohl-ökonomie, über Marktwirtschaft ohne Kapitalismus
Ein Wirtschaftssystem, das sich statt an Wachstum an Nachhaltigkeit und Solidarität orientiert – dafür tritt Christian Felber ein. Er vertritt ein Gegenmodell zur kapitalistischen Marktwirtschaft. Das „Luxemburger Wort“sprach mit dem Gründer der Gemeinwohlökonomie bei einem Workshop im Versammlungsraum der Caritas.
Christian Felber, viele Eltern glauben zu wissen, was das Beste für ihre Kinder ist. Die Kinder selbst sind oft anderer Meinung. Wer bestimmt, was Gemeinwohl bedeutet? Kann nicht jeder darunter etwas anderes verstehen?
Alle Grundwerte, ob Gemeinwohl, Frieden oder Gerechtigkeit, sind anfällig für unterschiedliche Verständnisse und Bedeutungen. Diese „Unschärfe“gehört zur Natur von Grundwerten, sie sind nicht präzise. Die formale Bedeutung von Gemeinwohl kann nur in einem breiten Abstimmungsprozess aller Mitglieder eines Gemeinwesens, von der Gemeinde bis zur Weltgemeinschaft, ermittelt und festgemacht werden. So wird am ehesten sichergestellt, dass kein Grundbedürfnis, kein Grundwert und keine Person übersehen wird – oder sich das Gemeinwohl-verständnis einer mächtigen Gruppe durchsetzt.
Wo ist der Unterschied zwischen Ihrem Konzept der Gemeinwohlökonomie und den Ideen des Reformers Friedrich Wilhelm Raiffeisen? Die Grundidee „Einer für alle, alle für einen“ist doch in beiden Fällen gleich.
Wir haben viele Quellen, viele Anleihen. Eine zum Beispiel ist die christliche Soziallehre, da kommt das Gemeinwohl her. Eine andere Quelle bildet das „Buen Vivir“, das gute Leben aus Südamerika. Friedrich Wilhelm Raiffeisen ist auf jeden Fall eine Inspirationsquelle, nicht nur wegen der Raiffeisen-genossenschaften, die es heute in 180 Staaten gibt. Das ist einer der weltweit durchschlagensten globalen Erfolge einer Rechtsform. Am besten gefällt mir die Aussage Raiffeisens, dass Geld immer nur Mittel zum Zweck ist.
Was antworten Sie auf den Vorwurf, Sie würden eine Art Ökosozialismus predigen?
Die Gemeinwohl-ökonomie ist äquidistant zu Sozialismus und Kapitalismus. Sozialismus bedeutet für mich: Es gibt nur kollektives Eigentum und staatliche Planung. Gemeinwohl-ökonomie beruht eindeutig auf einer Marktwirtschaft, die überwiegend auf privatem Eigentum aufbaut – mit dem Unterschied, dass es keine unbegrenzte Größe und Konzentration des Privaten gibt, und dass die Gemeinwohl-pflicht, die heute schon in der deutschen Verfassung steht – Eigentum verpflichtet – auch tatsächlich erfüllt wird. Von den 500 Organisationen, die eine Gemeinwohl-bilanz gemacht haben, sind 95 Prozent private Unternehmen und fünf Prozent öffentliche.
Lebensqualität erhöhen, nicht Menschen zusammen in eine Zelle pferchen, und die Resozialisierungsprogramme verbessern. Am Ende werden wir die Wirtschaft so umbauen, dass die Zahl der Insassen gegen null tendiert.
Die Mauern einreißen?
Das wäre Revolution. Wir setzen auf Transformation.
Die Wirtschaft soll für die Menschen da sein, und nicht umgekehrt. Das ist eines Ihrer Grundkonzepte. Wann hat sich diese natürliche Ordnung in ihr Gegenteil verkehrt?
In Österreich haben wir den Slogan: „Geht's der Wirtschaft gut, geht's allen gut.“Das ist eine Verkehrung der Dinge. Richtig muss es heißen: Wenn es allen Menschen gut geht, dann stimmt das Wirtschaftssystem. Geschichtlich gesehen ist dieses Verhältnis mit der Neoklassik gekippt, vor 150 Jahren – durch die wissenschaftliche „Vertunnelung“des Blicks auf die Finanzkennzahlen.
Was hat die Beschäftigung mit der Gemeinwohl-ökonomie in Ihrem eigenen Leben bewirkt?
Ich mache eine Gemeinwohlbilanz ...
Für Ihr eigenes Leben?
Ich bin Einzelunternehmer mit zwei Angestellten – Vorträge, Bücher, das muss organisiert werden.
Ich wollte Sie eher fragen, ob es Ihr Herz berührt hat.
(Lacht) Mein offenes Herz ist der Grund, warum ich eine Gemeinwohl-ökonomie entwickelt habe. Natürlich hat auch mein Verstand blinde Flecken.
Das ist normal. Sie sind auch nur ein Mensch.
Ja, aber die Gemeinwohl-bilanz hat mir meine blinden Flecken gezeigt. Zwei Themen habe ich: Fleischkonsum, den versuche ich zu reduzieren – und Fliegen. Aus Prinzip hatte ich nie ein Auto, allerdings fliege ich recht viel.
Durch die Gemeinwohl-bilanz ist das Thema anders in mein Bewusstsein gerückt, als wenn ich die Bilanz nicht gemacht hätte. Da würde ich sagen: Für die Verkündigung der Idee ist es gerechtfertigt. Jetzt sehe ich das nicht mehr so eindeutig. Es ist eine ganz delikate Frage.
Ich glaube, Herr Felber, Sie brauchen ein Segelboot.
(Lacht)