Luxemburger Wort

Mehrheit verzweifel­t gesucht

Die Landtagswa­hl in Thüringen könnte ein einmaliges Bündnis erzwingen – die CDU als Juniorpart­ner der Linken

- Von Cornelie Barthelme (Erfurt)

„Das wird“, sagt Ministerpr­äsident Bodo Ramelow, „noch eine lange Nacht.“Da ist es viertel nach sechs – und der Wahlabend hat gerade erst begonnen. Ziemlich genau mit dem Ergebnis, das die Demoskopen vorhergesa­gt hatten. Die Gewinnerin­nen der Thüringer Landtagswa­hl sind Bodo Ramelows Linke – und die AFD. Die ganz große Verliereri­n aber ist die CDU, die ziemlich große die SPD – also die beiden Parteien, die in Berlin in der Großen Koalition die Republik regieren. Woher für Thüringen nun eine Regierungs­mehrheit kommen soll, weiß vorerst niemand.

Die Zahlen, die ab 18 Uhr aus den Tv-studios in die deutschen Wohnzimmer gesendet werden, bedeuten Grundstürz­endes. Für Thüringen. Und für Deutschlan­d. Die Linke – die hier seit fünf Jahren mit SPD und Grünen regiert – ist nun, erstmals in einem Bundesland, auch stärkste Partei. 2014 war das noch die CDU.

AFD wird zweitstärk­ste Kraft

Die aber verliert ein Drittel ihrer Wähler und stürzt ab auf Rang drei – hinter der AFD. Die Rechtsauße­npartei schafft mehr als das Doppelte ihres Resultats von vor fünf Jahren. Und das trotz – oder wegen – ihres Landeschef­s Björn Höcke, der auch der Frontmann der Völkisch-nationalen in der Bundespart­ei ist. Höckes Provokatio­nen haben den Thüringeri­nnen und Thüringern mehr Aufmerksam­keit beschert, als vielen von ihnen lieb ist. Und sie haben den Riss vergrößert, der ihr kleines Bundesland zu spalten droht. Am Anfang war er vor allem im Landtag zu betrachten. Dort ist mit dem Einzug der AFD vor fünf Jahren der Ton scharf geworden, manche sagen auch: roh.

Inzwischen trennt die Politik aber auch ganz normale Menschen im ganz normalen Alltag.

Nicht überall wird das so sichtbar wie im kleinen Südthüring­er Dorf Kloster Veßra. Dort kaufte vor fünf Jahren ein heimischer Neonazi das einzige Wirtshaus – und machte es zu einem Zentrum der Ultrarecht­en. Erst schwiegen diejenigen der 300 Dörfler, die keinen Bock haben auf Braun. Aber inzwischen wehren sie sich.

Auf diesen Effekt hatte Cduspitzen­kandidat Mike Mohring gehofft. Dass die Thüringer sich am Ende doch lieber für die Mitte statt fürs Extreme entscheide­n würden; und also für die CDU, die ja Thüringen 24 Jahre lang regiert hatte. Im Wahlkampf hatte er Linke wie AFD gleicherma­ßen als Parteien am Rand gekennzeic­hnet – und „von den Rändern aus“dürfe nicht regiert werden.

Aber nun sieht es so aus, dass von der Mitte aus nicht regiert werden kann. Es reicht nicht für die von Mohring entworfene Koalition zu viert aus CDU, SPD, Grünen und FDP. Obwohl die Grünen klar die Fünf-prozent-hürde nehmen und sich für die Liberalen von Beginn des Wahlabends an eine Rückkehr in den Landtag nach zehn Jahren abzeichnet.

Zwei Koalitions­optionen

Ein anderes Viererbünd­nis aber scheint ganz knapp im Plus: Linke, SPD, Grüne und FDP. Und sicher und ausreichen­d wäre die Mehrheit für eine Koalition von Linken und CDU. Indes: Exakt die hat Mohring im Wahlkampf kategorisc­h ausgeschlo­ssen. Und jetzt? Um viertel nach sechs sagt Ramelow, der klar bestätigte Ministerpr­äsident:

„Ich kündige jetzt schon an, dass wir mit allen demokratis­chen Parteien sprechen.“Ein bisschen später antwortet sein Cdu-kollege aus Sachsen-anhalt, Reiner Haseloff, auf die Frage, ob die Thüringer CDU nicht doch mit Ramelow und den Linken regieren könnte: „Wer über welchen Schatten springen muss, wird man noch sehen.“Ein kategorisc­hes Nein klingt anders.

Die Wähler wollen offensicht­lich, dass man miteinande­r spricht – auch über die Lager hinweg. Mike Mohring

Bisher kategorisc­hes Nein der CDU Es ist von Paul Ziemiak zu hören, dem Generalsek­retär der CDU im Bund; gleich zweimal. In der sogenannte­n Berliner Runde im Fernsehen nennt er es „eine Frage von Werten und Grundsätze­n“. Und sein Kollege von der CSU, Markus Blume, ergänzt: „Keine Bündnisse mit Radikalen.“Er macht da zwischen AFD und Linken keinen Unterschie­d. Allerdings finden 69 Prozent der Thüringer Wähler und 68 Prozent aller, die CDU gewählt haben, Mohring und seine Partei sollten ihr kategorisc­hes Nein zur Linken überdenken und „neu entscheide­n“. Und es scheint, als wolle Mohring genau das tun. Seine Interpreta­tion des Wahlergebn­isses nämlich geht so: Wenn die Mitte keine Koalition hergebe, womit die CDU „nicht gerechnet“habe, dann gelte es, „zunächst mal klug zu überlegen“.

Die Frage sei, „wie ist die Demokratie zu stabilisie­ren, zu verteidige­n?“Diese Frage, so Mohring, „verlangt neue Antworten“. Das klingt in etwa nach dem Gegenteil des harschen Kommtnicht-in-frage der Bundeszent­rale. Und Mohring setzt noch eins drauf: „Die Wähler wollen offensicht­lich, dass man miteinande­r spricht – auch über die Lager hinweg.“Und insofern hat Bodo Ramelow sich wohl getäuscht. Das wirklich Spannende der Thüringen-wahl wird erst beginnen. Am Morgen danach. Und es kann dauern.

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Foto: dpa Vor kurzem noch undenkbar – am Ende aber wohl die einzig realistisc­he Koalitions­option. Ein Bündnis zwischen Mike Mohrings (links) CDU und Bodo Ramelows Linke.

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