Sühne ohne Schuld
Vor 75 Jahren wurden in Siegburg drei Luxemburger Opfer nationalsozialistischer Rachejustiz
Siegburg. Es ist kurz vor 9.30 Uhr, als die Transporter aus dem Zuchthaus in Siegburg am Morgen des 23. August 1944 den nahe gelegenen Schießstand am Uhlrather Hof erreichen. Drei junge Männer werden herausbugsiert, für sie war es die letzte Fahrt. In Gefängniskleidung, ohne Fesseln oder Augenbinden, soll ihr Leben hier vor einem Erschießungskommando enden. So, wie man es ihnen gerade einmal zwei Stunden zuvor eröffnet hatte.
Statt der Gewehrläufe nehmen die Jungen noch einmal voll Vertrauen ihren Anstaltsseelsorger Johannes Münster in den Blick, ehe unausweichlich der Befehl erschallt: „Gebt Feuer!“„Jesus, meine Zuversicht“, entgegnet es noch rasch zurück, dann fallen Jean Buck, Marcel Charpentier und Camille Koerner im Kugelhagel nieder.
Es ist das Ende eines Leidenswegs, der fast genau zwei Jahre zuvor begonnen hatte, als Gauleiter Gustav Simon für die „heim ins Reich“gezwungenen Luxemburger der Jahrgänge 1920 bis 1924 die Einberufung in die deutsche Wehrmacht verkündet hatte. Ein Befehl, dem sich, wie so viele andere, auch Jean Buck aus Esch/alzette, Marcel Charpentier aus Rümelingen und Camille Koerner aus Differdingen auf keinen Fall unterwerfen wollen.
Während Jean Buck im Oktober 1943 einen Heimaturlaub von der Ostfront nutzt, um sich in Belgien einer Widerstandsgruppe anzuschließen, setzen sich Marcel Charpentier und Camille Koerner noch vor Vollstreckung ihres Stellungsbefehls nach Südfrankreich ab, wo mit Hilfe des Passeurs Albert Ungeheuer bereits zahlreiche junge Luxemburger in der Obhut der Résistance weilen.
Dennoch sollen alle drei den Fängen der Nazis nicht entkommen. Im Februar 1944 wird im belgischen Baraque de Fraiture zunächst Jean Buck von der Gestapo gefasst. Anfang März bringen dann zwei luxemburgische Kollaborateure die Deutschen auf die Spur ihrer in Frankreich untergetauchten Landsleute.
Infolge der durchgeführten Razzien versuchen Camille Koerner und Marcel Charpentier zurück in ihre Heimat zu flüchten, wobei aber auch sie von ihren Häschern aufgespürt werden. Den verhängten Todesurteilen folgt vorerst die Begnadigung zu langjährigen Haftstrafen, sodass alle drei schließlich am 6. Juni 1944 in dem mit politischen Häftlingen völlig überbelegten Zuchthaus in Siegburg bei Bonn landen.
Am 20. Juli, dem Tag, an dem Oberst Graf Schenk von Stauffenberg das gescheiterte Attentat auf Hitler verübt, wird dann ein anderer Anschlag den drei Luxemburger Jungen zum Verhängnis. In Junglinster bewaffnet sich an diesem Tag ein auf Heimaturlaub weilender Zwangsrekrutierter und bringt dort den verhassten Ortsgruppenleiter um.
Die Besatzer reagieren mit voller Härte. Bis zum darauffolgenden Morgen werden in und um Junglinster insgesamt 63 Personen vorübergehend inhaftiert. Auf Befehl von Reichsführer SS Heinrich Himmler ergeht am 12. August 1944 jedoch eine neuer Order. Als Sühne für den toten Ortsgruppenleiter sollen nun zehn in deutschen Zuchthäusern harrende Deserteure hingerichtet werden. Für Jean Buck, Marcel Charpentier und
Camille Koerner sowie für sieben weitere Luxemburger aus dem KZ Börgermoor im Emsland ist es das Todesurteil für eine Tat, mit der sie rein gar nichts zu tun haben. Das hässliche Gesicht nationalsozialistischer Kriegsjustiz ...
Am Abend des 22. August 1944 werden die drei Jungen im Siegburger Zuchthaus schließlich unauffällig in andere Zellen verbracht und ärztlich untersucht. Am darauffolgenden Morgen gegen 6
Uhr erreicht die Gefängnisleitung seitens des Kriegsgerichtsrats in Trier die offizielle Bestätigung der Himmlerschen Anordnung. Den drei Luxemburgern soll kurz nach 7 Uhr das Todesurteil verkündet werden, welches zwei Stunden später durch ein anstaltsinternes Exekutionskommando auszuführen ist.
Gerade genug Zeit für einen Abschiedsbrief an die Lieben zu Hause und einen letzten Gottesdienst. Anschließend müssen Jean Buck, Marcel Charpentier und Camille Koerner ihren letzten Weg antreten, hinüber zur Ruine am Uhlrather Hof.
„Das Schlimmste ist
das Vergessen“75 Jahre später verneigt sich dort eine Delegation der Fédération des Enrôlés de Force – Victimes du Nazisme (FEDEF) vor der Gedenktafel, die die Stadt Siegburg 1984 in Erinnerung an die Mordtat an den drei Luxemburgern hatte anbringen lassen. Bei der Blumenniederlegung dabei sind auch der deutsche Botschafter in Luxemburg, Dr. Heinrich Kreft, und der Siegburger Bürgermeister, Franz Huhn.
Ein wichtiges Zeichen, das unterstreichen soll, dass die luxemburgischen Opfer von damals auf ewig zur Geschichte der Stadt gehören sollen. „Das Schlimmste ist das Vergessen“, sagt denn auch Franz Huhn. Gerade in einer Zeit, in der manche die Nazi-diktatur als „Vogelschiss in der deutschen Geschichte“abtun wollten, müsse die Mission Europas als Friedenswahrungsprojekt umso eindringlicher an die jungen Generationen weitervermittelt werden.
Oder um es mit Fedef-präsident Erny Lamborelle zu sagen: „Die Nachkriegsgeneration kann nichts für das Handeln ihrer Großeltern, weder der Täter noch der Opfer. Aber sie hat ein Recht zu wissen, was passiert ist, und die Pflicht, dieses Wissen weiterzureichen.“