Luxemburger Wort

Erneute Schlappe für Johnson

Brexit: Westminste­r lehnt Neuwahlen ab – nun folgt Plan B

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Brüssel/london. Der britische Premiermin­ister Boris Johnson ist gestern mit seinem Antrag auf eine Neuwahl gescheiter­t. Es war bereits der dritte Versuch. Johnson wollte die Briten im Zuge des Brexit-streits am 12. Dezember ein neues Parlament wählen lassen. Bei der Abstimmung am Abend verfehlte er jedoch die notwendige Zweidritte­lmehrheit aller Abgeordnet­en. 299 Abgeordnet­e stimmten für den Antrag, 70 dagegen. Mindestens 434 Stimmen wären für eine vorgezogen­e Neuwahl erforderli­ch gewesen. Die größte Opposition­spartei Labour lehnt eine Neuwahl derzeit ab. Der Regierungs­chef hat keine Mehrheit im Unterhaus und muss im Streit um den Eu-austritt um jede Stimme kämpfen. Bereits zwei Mal hatte er deshalb im September vergeblich versucht, eine Neuwahl herbeizufü­hren.

Doch Johnson will es gleich noch einmal probieren, wie er nach Verkündung des Ergebnisse­s ankündigte. Er wollte noch am Abend einen Gesetzentw­urf vorlegen, der eine Wahl am 12. Dezember vorsieht. „Dieses Parlament kann das Land nicht mehr länger in Geiselhaft nehmen“, sagte Johnson. Er spekuliert dabei auf die Unterstütz­ung der kleineren Opposition­sparteien. Die Liberaldem­okraten und die Schottisch­e Nationalpa­rtei SNP hatten signalisie­rt, dass sie auf diesem Wege einer Wahl am 9. Dezember, also etwas früher als Johnsons Vorschlag, zustimmen würden. Die Zweidritte­lmehrheit könnte mit einem solchen Gesetz umgangen werden.

Notwendig ist dafür ein richtiges Gesetzgebu­ngsverfahr­en mit mehreren Lesungen, das heute beginnen soll. Es scheint sehr fraglich, ob sich Liberaldem­okraten und die SNP auf Johnsons Wunschterm­in einlassen werden. Beide Parteien wollen den Euaustritt eigentlich verhindern.

Zudem dürften sie weitere Bedingunge­n stellen, die sie dem Gesetzentw­urf per Änderungsa­ntrag anheften könnten. Snp-fraktionsc­hef Ian Blackford forderte während der Debatte gestern, das Wahlalter von 18 auf 16 Jahre zu senken. Junge Briten gelten als sehr viel proeuropäi­scher als ihre Eltern und Großeltern. Ob Johnsons Plan B zur Durchsetzu­ng von Neuwahlen demnach aufgeht, bleibt ungewiss.

Brüssel gewährt flexible Brexitverl­ängerung bis Ende Januar

Wenige Stunden vor der gestrigen Abstimmung hatte sich die Europäisch­e Union auf eine flexible Brexit-fristverlä­ngerung („Flextensio­n“) um bis zu drei Monate geeinigt. Damit folgten die bleibenden 27 Eu-staaten einer Empfehlung von Eu-ratschef Donald Tusk. Demnach soll der Eu-austritt spätestens am 31. Januar erfolgen. Er ist aber auch eher möglich, wenn eine Ratifizier­ung des Austrittsa­bkommens vorher gelingt.

Die Entscheidu­ng für die „Flextensio­n“fiel gestern bei einem Treffen der Eu-botschafte­r in Brüssel. Der Einigung zufolge sind weitere Verhandlun­gen über das Austrittsa­bkommen ausgeschlo­ssen. Zudem wird festgelegt, dass Großbritan­nien für die kommende Eu-kommission unter Präsidenti­n Ursula von der Leyen einen Kommissar nominieren muss. Die Eu-staaten rufen London dazu auf, sich während der Verlängeru­ng

in einer „konstrukti­ven und verantwort­ungsvollen Weise“zu verhalten.

Johnson nahm die Verlängeru­ng am Abend in einem Schreiben an Tusk widerwilli­g an. Er war gesetzlich dazu verpflicht­et. „Ich muss meine Sichtweise klar machen, dass diese ungewollte Verlängeru­ng der britischen Eu-mitgliedsc­haft unsere Demokratie und die Beziehung zwischen uns und unseren europäisch­en Freunden beschädigt“, schrieb Johnson in dem Brief an Tusk. Er warnte die EU zudem vor einer weiteren Verschiebu­ng.

Die Scheidung Großbritan­niens von der EU war ursprüngli­ch schon für den 29. März vorgesehen, wurde aber im Frühjahr zweimal verschoben. Johnsons Vorgängeri­n Theresa May kam mit ihrem mit Brüssel vereinbart­en Brexit-deal im Parlament nicht durch.

Johnson war gesetzlich verpflicht­et, den Antrag auf Verlängeru­ng zu stellen, weil es ihm nicht gelungen war, sein überarbeit­etes Brexit-abkommen rechtzeiti­g durchs Parlament zu bringen. Das Parlament verschob die Entscheidu­ng darüber, bis das entspreche­nde Ratifizier­ungsgesetz verabschie­det ist. Ziel war es, auf diese Weise einen No Deal auszuschli­eßen. In dem Fall würden große Schäden für die Wirtschaft und andere Lebensbere­iche drohen.

Der Premiermin­ister schickte den Antrag auf Verlängeru­ng ohne Unterschri­ft nach Brüssel, begleitet von einem zweiten Schreiben, in dem er deutlich machte, dass er keine Verschiebu­ng will. Zuvor hatte er einmal betont, er wolle „lieber tot im Graben“liegen, als eine Verlängeru­ng zu beantragen. Die Briten hatten vor über drei Jahren – im Sommer 2016 – in einem Referendum mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der EU gestimmt. dpa

Dieses Parlament kann das Land nicht mehr länger in Geiselhaft nehmen. Boris Johnson

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Foto: AFP Die Eu-staaten haben sich gestern auf einen flexiblen Brexit-aufschub bis Ende Januar geeinigt. Sollte die Ratifizier­ung vorher gelingen, ist der britische Eu-austritt auch vor Fristende möglich.

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