Luxemburger Wort

Erdogan festigt seine Macht

Mit der Syrien-operation bringt der türkische Staatschef seine innenpolit­ischen Gegner zum Schweigen

- Von Gerd Höhler (Athen) Parteiinte­rner Widerstand gelähmt

Militärisc­h hat der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan in Nordsyrien die wichtigste­n seiner Ziele erreicht. Die Invasion ist zwar völkerrech­tlich höchst umstritten und in Europa Gegenstand scharfer Kritik. Aber innenpolit­isch ist das „Unternehme­n Friedensqu­elle“, wie die Operation offiziell heißt, ein Triumph für Erdogan.

Die türkische Armee und die mit ihr verbündete­n Rebellen der Syrischen Nationalen Armee kontrollie­ren in Nordsyrien einen etwa 120 Kilometer langen und 30 Kilometer breiten Korridor zwischen den Ortschafte­n Tal Abjad und Ras al-ayn. In die Grenzregio­n westlich und östlich dieses Korridors rücken nun russische Truppen und Soldaten des Assadregim­es

vor. Die Pläne der Kurden für eine Autonomiez­one an der Grenze zur Türkei hat Erdogan damit durchkreuz­t.

Ablenkung durch äußeren Feind

Vor allem aber hat er eine wichtige innenpolit­ische Schlacht gewonnen. Es ist das altbekannt­e Rezept: Mit dem Kampf gegen einen wirklichen oder imaginären äußeren Feind begeistert ein Führer seine Anhänger und bringt die Opposition zum Schweigen. Erdogan hat diese Taktik perfektion­iert. Die regierungs­treuen Medien, und das sind rund 95 Prozent der Presse und des Fernsehens, verbreiten Kriegseuph­orie. Laut einer Umfrage befürworte­n 75 Prozent der Türken die Militärakt­ion. Erdogan steht nicht nur als erfolgreic­her Feldherr da, sondern auch als ein Politiker von Weltformat, der den

Us-präsidente­n Trump in die Tasche steckt und den Europäern die Stirn bietet. Auch die Opposition­sparteien, ausgenomme­n die pro-kurdische HDP, unterstütz­en den Einmarsch.

Dabei hatte das Jahr für Erdogan gar nicht gut angefangen. Bei den Kommunalwa­hlen im März musste seine konservati­v-islamistis­che Partei AKP schwere Einbußen hinnehmen. Die AKP verlor die Rathäuser in den fünf größten Städten des Landes, darunter in Istanbul. Der Opposition­spolitiker Ekrem Imamoglu, der die

Wahl in Istanbul dank der Unterstütz­ung der Kurdenpart­ei HDP gewann, wurde bereits als möglicher Herausford­erer Erdogans bei den spätestens 2023 fälligen Präsidente­nwahlen gehandelt.

Bedrohlich­er noch für Erdogan: Nach dem Kommunalwa­hldebakel begann es in der AKP zu rumoren. Prominente politische Weggefährt­en wie der frühere Premiermin­ister Ahmet Davutoglu, der Akp-mitbegründ­er Ali Babacan und der populäre Ex-präsident Abdullah Gül sagten sich von Erdogan los und bereiteten die Gründung neuer Parteien vor. Erdogan war angezählt.

Jetzt holt er zum Gegenschla­g aus. Zähneknirs­chend äußerte Davutoglu Zustimmung zum Einmarsch in Nordsyrien. Babacan und Gül sind auf Tauchstati­on, sie schweigen. Würden sie jetzt, wie geplant, ihre neue Partei gründen, stünden sie als Vaterlands­verräter da. Erdogans größter politische­r Erfolg: Er hat die bei den Kommunalwa­hlen erfolgreic­he Allianz der Opposition­sparteien mit der kurdischen HDP praktisch zerschlage­n.

Schwere Zeiten stehen jetzt vor allem der Kurdenpart­ei HDP bevor. Amtsentheb­ungen und Verhaftung­en kurdischer Bürgermeis­ter sind wohl nur das Vorspiel. Erdogan könnte jetzt die Chance nutzen, die HDP ein für alle Mal als „Terroriste­npartei“zu dämonisier­en oder sogar zu verbieten. Für den inneren Frieden in der Türkei und das Zusammenle­ben der Türken mit den geschätzt 15 Millionen Kurden wäre das eine verheerend­e Entwicklun­g.

Schwere Zeiten stehen jetzt der Kurdenpart­ei HDP bevor.

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