Präsident von Cristinas Gnaden
Der Peronist Alberto Fernández tritt aus der zweiten Reihe an die Spitze Argentiniens
Es kommt ja nicht oft vor, dass sich die Kandidatin für ein Vizepräsidentenamt den Bewerber für das Präsidentenamt aussucht. Aber in Argentinien, dem Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten, passierte genau das vor fünf Monaten. Cristina Fernández de Kirchner trat an einem Samstag Mitte Mai plötzlich mit einem zwölfminütigen Video an die Öffentlichkeit und kündigte etwas an, was die Politik der südamerikanischen Krisenrepublik auf den Kopf stellte. „CFK“, Ex-präsidentin, meistgehasste und meistgeliebte Politikerin des Landes, sagte, sie werde bei der Präsidentenwahl nur als Vizekandidatin antreten.
Um das Amt als Staatschef werde sich Alberto Fernández bewerben, ein politischer Strippenzieher, ein typischer Mann der zweiten Reihe, einst Kabinettschef von CFK und ihrem Mann und Vorgänger Néstor Kirchner. Es war ein genialer Schachzug, der den Peronisten, der prägenden politischen Kraft Argentiniens, vorgestern nach nur vier Jahren Opposition den Weg zurück an die Macht ebnete.
Alberto Fernández ist ein Politiker, der moderat ist und moderieren kann, der sich mit Freund und Feind an einen Tisch setzt, der anders als Cristina Fernández eher grau als glamourös daherkommt. Vorgestern Abend beim ersten Auftritt nach dem Sieg, war es in alter Manier sie, die zuerst sprach, die länger sprach, die Pathos einbrachte und die entschied, wann ihr künftiger Chef das Wort bekam. Und so lässt der Wahlabend zumindest offen, ob Cristina in den kommenden Jahren tatsächlich die zweite Geige in dem Duo Fernández/fernández spielen wird.
Im Wahlkampf reagierte der künftige Staatschef bisweilen dünnhäutig auf die Frage, wer denn von den beiden das Zepter in der Hand halten werde: „Der Präsident werde ich sein“, unterstrich Alberto Fernández immer wieder genervt. Und am Wahlabend blieb dem 60-Jährigen die schwere Aufgabe vorbehalten, seine Landsleute kurz vor Mitternacht darauf einzustimmen,
Der frisch gebackene Präsident Alberto Fernández (rechts) ist für viele nur ein Anhängsel von Cristina Fernández de Kirchner, die in der Rolle als Vizepräsidentin hinter den Kulissen weiter die Strippen zieht. dass „schwierige Zeiten kommen werden“. Schließlich sind allein in diesem Jahr 3,5 Millionen Argentinier in die Armut abgerutscht.
Ein schweres Erbe
Das nächste Staatsoberhaupt der drittgrößten Volkswirtschaft Lateinamerikas muss den Hunger bekämpfen, die Geldentwertung und galoppierende Teuerung stoppen, er muss die Wirtschaft vor dem Schiffbruch bewahren und gleichzeitig mit den internationalen Geldgebern die Staatsschulden neu verhandeln. Denn Geld für die Zinsen, die schon im kommenden Jahr im zweistelligen Milliardenbereich auf Argentinien zukommen, hat das Land nicht. Die delikate Wirtschaftslage lässt kaum Spielraum für Fernández. Auch weil der scheidende Staatschef Mauricio Macri in seiner Amtszeit etwa 80 Milliarden Dollar an Schulden bei privaten Investoren und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) anhäufte.
„Der Grat, auf dem Alberto Fernández wandeln muss, ist so schmal, dass ein Scheitern möglich ist“, sagt Hugo Alconada Mon, einer der bekanntesten Analysten Argentiniens. „Er muss verhindern, dass ihm die Geldgeber den Hahn zudrehen, aber auch, dass die hungernde Bevölkerung zu Protesten auf die Straße geht“, betont Alconada Mon.
„Er hat maximal ein halbes Jahre Zeit, um das Land auf die Schiene zu bringen“. Wie schwierig das ist, zeigen alleine die Zahlen. Seit acht Jahren steckt Argentinien in der permanenten Krise. In den vergangenen Jahren sind Tausende Unternehmen zusammengebrochen, die Inflation liegt bei mehr als 50 Prozent, die Arbeitslosenzahl bei 14 Prozent.
Im Wahlkampf hatte sich Fernández wohlweislich mit allzu konkreten Wahlversprechen zurückgehalten. Lediglich das Thema Hunger und Armut ließ ihn konkret werden: Ein Drittel der Argentinier in Armut und Millionen, die auf Armenspeisung angewiesen sind, bezeichnete er als „Schande“und schlug einen „Argentinischen Rat gegen den Hunger“vor. Zudem stellte er ein weiteres Einfrieren der Preise bestimmter Nahrungsmittel in Aussicht.
Der Pragmatiker
Für viele Analysten ist Fernández vielleicht der einzige Politiker, der das Land aus dem Krisenkreislauf führen kann. Er ist zwar auch Peronist, steht aber eher in der politischen Mitte. Anders als Cristina Fernández de Kirchner ist er bereit, seine Überzeugungen für eine pragmatische Lösung zu opfern. Er steht für die Konstruktion von Kompromissen, während seine Vizepräsidentin oft genug bewiesen hat, dass sie eigentlich nur die Konfrontation gut beherrscht.
Fernández, der mit einer 38-jährigen Journalistin liiert ist, hatte sich in den vergangenen Jahren weitgehend aus der Politik zurückgezogen und sich seiner akademischen Arbeit als Strafrechtsprofessor an der Universität von Buenos Aires gewidmet.
Die Vorlesungen muss er nun erst mal ruhen lassen. Die Aufgabe, die er zu bewältigen hat, sei groß, erkannte er an. Er wolle Argentinien „solidarischer und geeinter“machen. Mit besseren Schulen, Arbeitern, die ihre Fabriken wieder aufbauen und mit Wissenschaftlern, die nicht mehr auf der Suche nach besseren Perspektiven ins Ausland gehen. „Wir sind wieder da“, sagte er unter Bezugnahme auf die peronistische Bewegung. „Und wir werden besser sein als vorher. Machen wir aus Argentinien das Land, das wir verdienen.“