Die französische Küche feiert sich
Das Klischee vom Drei-gänge-menü ist längst überholt – dies sollen nun vier neue Museen den Besuchern erläutern
Die französische Küche ist bekannt für ihre Vielseitigkeit, aber auch für ihre Qualität und wird als nationales Kulturgut gepflegt. Einfach einen Teller Nudeln auf den Tisch zu bringen, ist in Frankreich verpönt. Es muss schon das Dreigänge-menü sein. Diese typische Mahlzeit der Franzosen wurde 2010 von der Unesco als Kulturerbe anerkannt.
Das Klischee vom Essen wie Gott in Frankreich ging damit in die Geschichte ein. Essen in Frankreich wird denn auch zelebriert. Diese Tradition hat in Lyon ein 4 000 Quadratmeter großes Ausstellungszentrum für Gastronomie, Cité Internationale de la Gastronomie de Lyon, erhalten. Im ehemaligen Krankenhaus Grand Hôtel-dieu mit seinen riesigen Gewölben im Zentrum der Stadt, das auf 900 Jahre Geschichte zurückblickt, werden Frankreichs Küche und die Küche von Lyon gefeiert.
Dabei sieht man unter anderem den riesigen Kochherd, den der 2018 verstorbene Spitzenkoch Paul Bocuse, der in der Nähe von Lyon arbeitete, von 1991 bis 2016 benutzte. Und seine Kochjacke hängt auch da. Nicht weit vom Ausstellungszentrum entfernt liegt die berühmte Kochschule Institut Paul Bocuse. Die wichtigsten Speisen der regionalen Küche werden anschaulich in Filmen erklärt, darunter Kalbsfüße, überbackene Dauphine-kartoffeln oder das berühmte Huhn aus Bresse. Das Ausstellungszentrum versteht sich als pädagogische Einrichtung, ein großer Raum mit Küchenspielzeug ist auch für Kinder vorgesehen.
Vielfalt, verteilt auf vier Städte
Florent Bonnetain, Direktor des Zentrums, betonte beim Besuch in Lyon: „Wir sehen es als Kulturzentrum und wollen die französische Küche unterstützen, dabei die Verbindung von Gastronomie und Gesundheit verdeutlichen.“Es werden im ersten Jahr 300 000 Gäste und Einnahmen von 5,3 Millionen Euro erwartet. Fünf Jahre hat man daran gebaut, allein die Installation der Einrichtung dauerte ein Jahr. Das Projekt hat 20 Millionen Euro gekostet. Etwas mehr als die Hälfte haben elf Mäzene – große Unternehmen – übernommen, den Rest die Stadt und die Region Lyon sowie der französische Staat.
Als die französische Küche – initiiert vom französischen Küchenverband Mission française du patrimoine et des cultures alimentaires (MFPCA) – zum Unesco-erbe erhoben wurde, entstand die Idee, sie an einem einzigen Ort zu feiern. Natürlich dachte man im französischen Zentralstaat zuerst an Paris. Doch dann kamen Bedenken auf, dass der Standort Paris der Vielfalt Frankreichs nicht gerecht werden würde – man denke an die Austern der Bretagne, die Weinbergschnecken in der Bourgogne, Trüffel und Foie gras im Périgord und an die Fischsuppe Bouillabaisse in Marseille. Zahlreiche Städte bewarben sich. Ausgewählt
wurden Tours und Rungis.
Jeder dieser Orte sollte ein anderes Bild der Küche geben. In Lyon geht es um Küche und Gesundheit, in Dijon um Wein, in Tours um Küche und Wissenschaft und in Rungis, dem Großmarkt von Paris, um die Zulieferung von Waren. Dijon soll im kommenden Jahr eröffnet werden, Tours ist auch schon weit fortgeschritten, die Eröffnung von Rungis ist für 2024 vorgesehen, wenn in Paris die Olympiade stattfindet.
In Lyon wird der Trend „Gesundheit und Ökologie in der Kochwelt“gezeigt. Besonders anschaulich ist das im Kochstudio zu beobachten, in dem sich französische und auch internationale Spitzenköche ablösen. Das Kochstudio kann man zusätzlich zum Ausstellungszentrum buchen. Entscheidend
Lyon,
Dijon,
beteiligt an der Konzeption war der Drei-sterne-koch Régis Marcon, der betonte: „Wir wollen in einer Zeit, in der die Wissenschaft widersprüchliche Botschaften zu gesunden und ungesunden Speisen verbreitet, gesunde Alltagsküche zeigen.“
Es muss nicht Foie gras sein
Hier werden vor allem Produkte aus der Region verwendet, viel Gemüse, sparsam gekocht, sodass es fast roh erscheint, wenig Salz, dafür viele Kräuter. Das greift alles auf, was Experten seit einigen Jahren raten. Dazu kommt der Umweltaspekt: Produkte sollen nicht zu weit reisen, sondern aus der Region stammen. Wenig Fleisch, dafür mehr Gemüse und alles frisch hergestellt. Froschschenkel sind schon lange verpönt, und auch in Frankreich erheben sich immer mehr Stimmen gegen Foie gras, die Stopfleber, für die man Gänse und Enten qualvoll halten muss.
Der Verzicht auf diese angeblichen Delikatessen scheint auf den ersten Blick im Gegensatz zu stehen zum Mythos der französischen Küche, die sich jahrzehntelang durch Drei-sterne-köche und exklusive Speisen ausgezeichnet hat. Für den Direktor Bonnetain ist das allerdings kein Widerspruch: „Die französische Küche hat sich immer wieder verändert, am Hof des Sonnenkönigs Ludwig XIV. gab es noch 15 Speisen, heute sind es drei oder vier Gänge. Die Küche hat sich in den letzten Jahren weiter vereinfacht und demokratisiert.“
Er glaubt nicht an eine Krise der Sterneküche. So sieht das auch der Spitzenkoch Alain Alexanian, bekannt als der Biokoch in Frankreich, der ebenfalls in Lyon beteiligt ist: „Die Drei-sterne-küche ist etwas zum Träumen, sie hat weiter ihre Berechtigung. Daneben entstehen viel neue Trends, die die Küche weiterentwickeln.“
Schon im 17. und 18. Jahrhundert galt die französische Küche mit ihren zahlreichen Gängen als Vorbild für das Essen in vielen Adelshäusern in Europa. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts etablierte sich die vornehme Haute Cuisine. Das gehobene französische Bürgertum führte die adeligen Traditionen weiter. Die französische Küche war dabei aber immer Trends unterworfen.
Für den Koch Alexanian ist die jüngere Geschichte der französischen Küche eng mit Gesellschaft und Politik verbunden. Seine Theorie: Alle zehn Jahre hat sich die Küche verändert. In den 1970erund 1980er-jahren entstand die Nouvelle Cuisine, bei der alles gemischt wurde wie in der Hippiezeit. Dann in den 1980er- und 1990er-jahren, als in Frankreich die intellektuelle Linke an der Regierung war, gab es Rind mit Crèmesauce, dazu Kaviar. Ende der 1990er-jahre, der Zeit der großen Zweifel in der Gesellschaft, waren Pürees angesagt. Dann kam die wissenschaftliche Molekularküche, daraufhin die ökologische Küche ab 2010.
Die neuen Trends von Gesundheit, Ökologie und schlichteren Speisen – Sardine statt Kaviar – haben der Haute Cuisine in den letzten Jahren allerdings etwas zugesetzt. Ihr Image ist altmodischer geworden, auch wenn die Köche die neuen Trends aufnehmen. Stattdessen ist, auch inspiriert durch die vielen Kochsendungen, eine neue Generation herangewachsen, die anders denkt. Statt in Luxusrestaurants zu speisen, will sie lieber kreativ kochen, ohne die Anforderungen, die eine Sterneküche mit sich bringt.
Chic ist nun der Apéro dinatoire
Die Küche hat sich in den letzten Jahren weiter vereinfacht und demokratisiert. Museumsdirektor Florent Bonnetain
Auch einige der etablierten Küchenchefs distanzierten sich von der Haute Cuisine, gaben ihre Sterne ab und kochen schlichter. Das gilt nicht nur für Frankreich, sondern auch für andere europäische Länder. Zu den Neuerern gehört unter anderem der französische Drei-sterne-koch Sébastian Bras, weil er „frei“sein wollte, wie er sagt. Das Essen als vornehme Kunst bleibt in Frankreich allerdings weiterhin en vogue, selbst wenn weniger Austern geschlürft werden und weniger Hummer verzehrt wird.
Seit einiger Zeit macht sich auch im Alltagsleben ein neuer Trend breit. Statt zu viergängigen Menüs wird man bei den Franzosen immer häufiger zum Apéro dinatoire eingeladen – das ist die Erweiterung des Apéritifs, zu dem Kleinigkeiten wie Oliven gereicht wurden. Der Apéro dinatoire bietet haufenweise kleine, schmackhafte Speisen wie Dips, salzige Kuchen und überbackene Gemüse, die besten Pasteten aus der Region oder Fischtatar, den man jetzt nach lateinamerikanischem Vorbild selbst in Frankreich Ceviche nennt. Profan ist das nie – ein wenig erinnert es an die 15 Gerichte am Hofe des Sonnenkönigs. Statt dass unterteilte Gänge serviert und zwischendurch alles abgeräumt wird, ist der Tisch nie leer. Die Schlemmerei geht weiter – wenn auch gesundheitsbewusster und umweltfreundlicher.
Die Cité Internationale de la Gastronomie de Lyon (4, Grand Cloître du Grand Hôtel-dieu, 69002 Lyon) ist täglich von 10 bis 19 Uhr, samstags bis 22 Uhr geöffnet.