„Ich hatte mehr Glück als der Papst“
Nach der Amazonas-synode sieht Kardinal Jean-claude Hollerich eine Mitverantwortung der Luxemburger für die Probleme des Regenwalds
Erst seit knapp einem Monat ist der luxemburgische Erzbischof Jean-claude Hollerich Kardinal. Doch er hat bereits ein kirchliches Großereignis hinter sich: Er war Teilnehmer der am Sonntag zu Ende gegangenen Amazonas-synode, bei der Bischöfe, Vertreter von Indigenen und Experten im Vatikan über notwendige kirchliche Reformen, aber auch über die verheerende ökologische Situation des Regenwaldgebiets berieten. Das „Luxemburger Wort“fragt Hollerich, welche Konsequenzen das Treffen für die Weltkirche hat, wie es mit der Frauenfrage weitergeht – und was Franziskus bei seinem bevorstehenden Japan-besuch erwartet. An Teilen des Papstprogramms wird Hollerich, der im November ebenfalls nach Japan reist, teilnehmen.
Jean-claude Hollerich, Sie sind am 5. Oktober Kardinal geworden; es gab eine Delegation aus Luxemburg und einen Empfang mit dem Großherzog. Am nächsten Tag dann sofort der Beginn der Synode. Wie haben Sie diese intensiven Wochen erlebt?
Das waren wirklich ganz intensive Wochen. Zum Teil gingen meine Tage von 7 bis 23 Uhr; stets im Gespräch mit Menschen. Es war intensiv, aber es war es wert. Ich habe sehr viel gelernt über den Amazonas, über eine Region, die ich noch nicht gut kannte, auch wenn ich ein paar Mal in Brasilien war. Ich habe auch die Kirche kennengelernt; es ist eine überaus sympathische Kirche – mit vielen Problemen, aber voller Leben und voller Hoffnung.
Auch für die meisten Luxemburger ist der Amazonas wohl weit weg. Was ist die Botschaft dieser Synode für Luxemburger Gläubige?
Wir müssen unseren Beitrag dazu leisten, dass der Amazonasregenwald erhalten bleibt. Das geht nur, wenn wir unsere Konsummentalitäten verändern. Es ist ganz klar, dass der wilde Kapitalismus am Abholzen des Regenwalds schuld ist. Dass es dort brennt, ist ja kein Zufall. Da werden Büsche gerodet, indigene Völker vertrieben, Leute ermordet, die für die Menschenrechte eintreten. Das passiert zum Teil, damit wir billiges Fleisch kaufen können. Wenn wir unser Verhalten nicht ändern, machen wir unsere Welt und unser Klima kaputt.
Viele ONGS kritisieren, dass auch Luxemburger Finanzströme, etwa vonseiten des Pensionsfonds, in Unternehmen fließen, die die Menschenrechte verletzen. Was kann man da tun?
Es publik machen. Diese ONGS haben meine Unterstützung, vor allem die Stiftung partage.lu, die sehr engagiert ist und das Wissen hat.
Neben diesen ökologischen Fragen ging es bei der Amazonas-synode vor allem um seelsorgerische Aspekte. Die Amazonas-region ist extrem großflächig, die christlichen Gemeinden liegen extrem weit auseinander und es gibt extrem wenige Priester. Wie genau
Fast drei Wochen hielt sich der frischgebackene Kardinal Jean-claude Hollerich in Rom auf.
Wir brauchen eine „Pastoral der Präsenz“mit mehr Eucharistiefeiern als nur einmal im Jahr.
will die Kirche künftig für diese Gläubigen präsent sein?
Es gibt dort eine „Pastoral der Visite“mit Gegenden, in denen einmal im Jahr ein Priester vorbeikommt. Das reicht natürlich nicht aus, um ein intensives christliches Leben zu fördern. Wir brauchen eine „Pastoral der Präsenz“mit mehr Eucharistiefeiern als nur einmal im Jahr. Die Laien müssen aber motiviert werden, sich in ihrer Kirche zu engagieren. Das ist nicht nur den Geistlichen vorbehalten. Ich hoffe, dass es ein neues Ministerium geben wird, das sich mit Ämtern für die Frauen beschäftigt. Wir müssen Frauen motivieren, sich weiter zu engagieren, denn Frauen haben genau so viele Rechte in der Kirche wie Männer. Was das Diakonat der Frau angeht, konnte die Synode nicht einfach Empfehlungen machen, denn das ist eine Frage der Lehre der Kirche. Aber ich meine, dass der Papst gehört hat, wie stark die meisten Bischöfe der Amazonas-region für die Frauen eintreten. Er hat auch gehört, was die Frauen selbst sagen; es waren ja eine ganze Reihe indigene Frauen da, die wunderbar geredet haben.
Wird das dann eine Lösung für die Frauen der Amazonas-region? Die Rolle der Frau in der Kirche brennt ja überall unter den Nägeln. Die Luxemburger Diözesankommission „Fra an der Kierch“hat schon vor Jahren beklagt: „Vill Fraen emfannen et ëmmer méi als eng grouss Ongerechtegkeet, dass hinnen an hirer Kierch, zu däer si mat Häerz a Séil stinn, vill Weeër verspaart sinn.“
Ja. Wenn eine Lösung wie das Diakonat der Frau kommt, was noch nicht sicher ist, kommt das nach meiner Ansicht für die ganze Welt. Dazu muss zunächst ein Konsens in der Kirche entstehen. Ich würde mich darüber freuen, muss ich sagen.
Das Abschlussdokument ist 120 Seiten lang, aber nicht verbindlich. Das letzte Wort hat bekanntlich der Papst, der im Dezember ein eigenes Papier vorlegen will.
Wege nicht mitgehen will, aber wir sind heute in einer Zeit des ungeheuren Wandels. Die ganze gesellschaftliche Stabilität früherer Jahrhunderte ist dahin. Wir gehen mit der Digitalisierung in eine ganz andere Zeit hinein. Das wird unsere Lebensart verändern. Religion muss in der neuen Zivilisation inkulturiert sein, sonst wird sie nicht mehr wahrgenommen. Wir haben den Auftrag, das Evangelium allen Menschen zu verkünden. Um das machen zu können, muss man neue Wege gehen können.
In dem Abschlussdokument der Synode heißt es, dass „geeignete und anerkannte Männer“zu katholischen Priestern geweiht werden sollen, auch wenn sie eine Familie haben. Das soll aber ausdrücklich eine Ausnahme nur für dieses Regenwaldgebiet bleiben; es ist nicht die Rede von einer allgemeinen Aufhebung des Zölibats.
Die Synode kann das auch nicht beschließen, es ist eine Synode zum Amazonas, die dem Papst Vorschläge für ihre Region machen kann. Man kann aber voraussehen,
Als der Papst die Reise angekündigt hatte und ich ihn dann getroffen habe, legte er mir sofort die Hand auf und sagte: „Ich gehe nach Japan.“
dass einzelne Bischöfe in einem zweiten Schritt fragen werden, ob sie das, was die Amazonas-region ausprobiert, auch machen können.
Die reformorientierten Kreise sollten sich aber jetzt nicht die Hoffnung machen, dass in den nächsten zehn Jahren ein Frauenpriestertum oder eine generelle Abschaffung des Zölibats auf der Agenda stehen?
In zehn Jahren kann ganz viel geschehen. Ich will nicht sagen, was dann geschieht oder nicht geschieht. Aber es ist ganz klar, dass Kirche im Wandel begriffen ist. Und diesen Wandel müssen wir zusammen gestalten und so viele Menschen wie möglich mitnehmen. Als Kirche sollen wir uns nicht an den Zeitgeist anpassen, wie oft von konservativer Seite vorgehalten wird. Aber der Wandel bedeutet, dass wir das Evangelium in die neue Zeit hineinbringen müssen, mit den Mitteln und der Kultur dieser Zeit.
Sie haben anscheinend einen sehr positiven Eindruck von dieser Synode gewonnen.
Unbedingt! Ich bin begeistert von dem, was gesagt worden ist, und bin sehr froh über das Schlussdokument. Ich habe bei allen Paragrafen mit ja gestimmt.