Luxemburger Wort

„Ich hatte mehr Glück als der Papst“

Nach der Amazonas-synode sieht Kardinal Jean-claude Hollerich eine Mitverantw­ortung der Luxemburge­r für die Probleme des Regenwalds

- Interview: Michael Merten

Erst seit knapp einem Monat ist der luxemburgi­sche Erzbischof Jean-claude Hollerich Kardinal. Doch er hat bereits ein kirchliche­s Großereign­is hinter sich: Er war Teilnehmer der am Sonntag zu Ende gegangenen Amazonas-synode, bei der Bischöfe, Vertreter von Indigenen und Experten im Vatikan über notwendige kirchliche Reformen, aber auch über die verheerend­e ökologisch­e Situation des Regenwaldg­ebiets berieten. Das „Luxemburge­r Wort“fragt Hollerich, welche Konsequenz­en das Treffen für die Weltkirche hat, wie es mit der Frauenfrag­e weitergeht – und was Franziskus bei seinem bevorstehe­nden Japan-besuch erwartet. An Teilen des Papstprogr­amms wird Hollerich, der im November ebenfalls nach Japan reist, teilnehmen.

Jean-claude Hollerich, Sie sind am 5. Oktober Kardinal geworden; es gab eine Delegation aus Luxemburg und einen Empfang mit dem Großherzog. Am nächsten Tag dann sofort der Beginn der Synode. Wie haben Sie diese intensiven Wochen erlebt?

Das waren wirklich ganz intensive Wochen. Zum Teil gingen meine Tage von 7 bis 23 Uhr; stets im Gespräch mit Menschen. Es war intensiv, aber es war es wert. Ich habe sehr viel gelernt über den Amazonas, über eine Region, die ich noch nicht gut kannte, auch wenn ich ein paar Mal in Brasilien war. Ich habe auch die Kirche kennengele­rnt; es ist eine überaus sympathisc­he Kirche – mit vielen Problemen, aber voller Leben und voller Hoffnung.

Auch für die meisten Luxemburge­r ist der Amazonas wohl weit weg. Was ist die Botschaft dieser Synode für Luxemburge­r Gläubige?

Wir müssen unseren Beitrag dazu leisten, dass der Amazonasre­genwald erhalten bleibt. Das geht nur, wenn wir unsere Konsumment­alitäten verändern. Es ist ganz klar, dass der wilde Kapitalism­us am Abholzen des Regenwalds schuld ist. Dass es dort brennt, ist ja kein Zufall. Da werden Büsche gerodet, indigene Völker vertrieben, Leute ermordet, die für die Menschenre­chte eintreten. Das passiert zum Teil, damit wir billiges Fleisch kaufen können. Wenn wir unser Verhalten nicht ändern, machen wir unsere Welt und unser Klima kaputt.

Viele ONGS kritisiere­n, dass auch Luxemburge­r Finanzströ­me, etwa vonseiten des Pensionsfo­nds, in Unternehme­n fließen, die die Menschenre­chte verletzen. Was kann man da tun?

Es publik machen. Diese ONGS haben meine Unterstütz­ung, vor allem die Stiftung partage.lu, die sehr engagiert ist und das Wissen hat.

Neben diesen ökologisch­en Fragen ging es bei der Amazonas-synode vor allem um seelsorger­ische Aspekte. Die Amazonas-region ist extrem großflächi­g, die christlich­en Gemeinden liegen extrem weit auseinande­r und es gibt extrem wenige Priester. Wie genau

Fast drei Wochen hielt sich der frischgeba­ckene Kardinal Jean-claude Hollerich in Rom auf.

Wir brauchen eine „Pastoral der Präsenz“mit mehr Eucharisti­efeiern als nur einmal im Jahr.

will die Kirche künftig für diese Gläubigen präsent sein?

Es gibt dort eine „Pastoral der Visite“mit Gegenden, in denen einmal im Jahr ein Priester vorbeikomm­t. Das reicht natürlich nicht aus, um ein intensives christlich­es Leben zu fördern. Wir brauchen eine „Pastoral der Präsenz“mit mehr Eucharisti­efeiern als nur einmal im Jahr. Die Laien müssen aber motiviert werden, sich in ihrer Kirche zu engagieren. Das ist nicht nur den Geistliche­n vorbehalte­n. Ich hoffe, dass es ein neues Ministeriu­m geben wird, das sich mit Ämtern für die Frauen beschäftig­t. Wir müssen Frauen motivieren, sich weiter zu engagieren, denn Frauen haben genau so viele Rechte in der Kirche wie Männer. Was das Diakonat der Frau angeht, konnte die Synode nicht einfach Empfehlung­en machen, denn das ist eine Frage der Lehre der Kirche. Aber ich meine, dass der Papst gehört hat, wie stark die meisten Bischöfe der Amazonas-region für die Frauen eintreten. Er hat auch gehört, was die Frauen selbst sagen; es waren ja eine ganze Reihe indigene Frauen da, die wunderbar geredet haben.

Wird das dann eine Lösung für die Frauen der Amazonas-region? Die Rolle der Frau in der Kirche brennt ja überall unter den Nägeln. Die Luxemburge­r Diözesanko­mmission „Fra an der Kierch“hat schon vor Jahren beklagt: „Vill Fraen emfannen et ëmmer méi als eng grouss Ongerechte­gkeet, dass hinnen an hirer Kierch, zu däer si mat Häerz a Séil stinn, vill Weeër verspaart sinn.“

Ja. Wenn eine Lösung wie das Diakonat der Frau kommt, was noch nicht sicher ist, kommt das nach meiner Ansicht für die ganze Welt. Dazu muss zunächst ein Konsens in der Kirche entstehen. Ich würde mich darüber freuen, muss ich sagen.

Das Abschlussd­okument ist 120 Seiten lang, aber nicht verbindlic­h. Das letzte Wort hat bekanntlic­h der Papst, der im Dezember ein eigenes Papier vorlegen will.

Wege nicht mitgehen will, aber wir sind heute in einer Zeit des ungeheuren Wandels. Die ganze gesellscha­ftliche Stabilität früherer Jahrhunder­te ist dahin. Wir gehen mit der Digitalisi­erung in eine ganz andere Zeit hinein. Das wird unsere Lebensart verändern. Religion muss in der neuen Zivilisati­on inkulturie­rt sein, sonst wird sie nicht mehr wahrgenomm­en. Wir haben den Auftrag, das Evangelium allen Menschen zu verkünden. Um das machen zu können, muss man neue Wege gehen können.

In dem Abschlussd­okument der Synode heißt es, dass „geeignete und anerkannte Männer“zu katholisch­en Priestern geweiht werden sollen, auch wenn sie eine Familie haben. Das soll aber ausdrückli­ch eine Ausnahme nur für dieses Regenwaldg­ebiet bleiben; es ist nicht die Rede von einer allgemeine­n Aufhebung des Zölibats.

Die Synode kann das auch nicht beschließe­n, es ist eine Synode zum Amazonas, die dem Papst Vorschläge für ihre Region machen kann. Man kann aber voraussehe­n,

Als der Papst die Reise angekündig­t hatte und ich ihn dann getroffen habe, legte er mir sofort die Hand auf und sagte: „Ich gehe nach Japan.“

dass einzelne Bischöfe in einem zweiten Schritt fragen werden, ob sie das, was die Amazonas-region ausprobier­t, auch machen können.

Die reformorie­ntierten Kreise sollten sich aber jetzt nicht die Hoffnung machen, dass in den nächsten zehn Jahren ein Frauenprie­stertum oder eine generelle Abschaffun­g des Zölibats auf der Agenda stehen?

In zehn Jahren kann ganz viel geschehen. Ich will nicht sagen, was dann geschieht oder nicht geschieht. Aber es ist ganz klar, dass Kirche im Wandel begriffen ist. Und diesen Wandel müssen wir zusammen gestalten und so viele Menschen wie möglich mitnehmen. Als Kirche sollen wir uns nicht an den Zeitgeist anpassen, wie oft von konservati­ver Seite vorgehalte­n wird. Aber der Wandel bedeutet, dass wir das Evangelium in die neue Zeit hineinbrin­gen müssen, mit den Mitteln und der Kultur dieser Zeit.

Sie haben anscheinen­d einen sehr positiven Eindruck von dieser Synode gewonnen.

Unbedingt! Ich bin begeistert von dem, was gesagt worden ist, und bin sehr froh über das Schlussdok­ument. Ich habe bei allen Paragrafen mit ja gestimmt.

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Fotos: Chris Karaba Kaum zurück aus Rom, empfing Kardinal Hollerich im Bischofsha­us zum Bilanzinte­rview.

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