Politische Blutgrätschen
Das Thüringer Wahldebakel entlarvt, in welchen Illusionen die Partei der deutschen Kanzlerin sich wiegt
Das Letzte, was die CDU zwei Tage nach dem Debakel bei der Landtagswahl in Thüringen brauchen kann, ist – Spott. Denn die Lage ist ernst. Nicht nur für den Landesverband in der Mitte der Republik. Auch für die Bundespartei – die ja die der deutschen Kanzlerin ist. Und das zählt noch mehr. Angela Merkel höchstselbst muss am Montagvormittag ihrer Nachfolgerin als Parteivorsitzende helfen, den Bundesvorstand zu bändigen. Der ist geneigt, dem Thüringer Landeschef Mike Mohring per Beschluss Verhandlungen mit dem Erfurter Wahlsieger zu verbieten, dem Linken Bodo Ramelow. Annegret Kramp-karrenbauer ist gegen eine solche Bekundung des Misstrauens. Aber erst als Merkel sich einmischt, verzichtet der Vorstand.
Derlei Aufruhr hat es in der Cdu-zentrale unter Merkel nie gegeben. Ausgerechnet ein Thüringer beklagte sich einst, dort werde nur abgenickt. Wer sich auflehne, werde abgekanzelt wie ein Schulbub. Nun kann am Montagmittag Mohring im Beisein von AKK öffentlich erklären, er werde sich an das Verbot einer Zusammenarbeit mit der Linken nur „zunächst“halten. Von diesem Moment bis zu Mohrings Kotau vergehen ziemlich genau sieben Stunden. Dann teilt der Landesvorstand in Erfurt mit: „Keine Koalition mit Linke oder AFD, entsprechend der geltenden Beschlusslage der CDU Deutschlands und Thüringens.“Vorausgegangen ist eine Sitzung des Gremiums, in der laut Teilnehmern niemand Mohring gestützt hat, der noch am Wahlabend ein „neues Denken“in Sachen Linke forderte. Nur ein Vorstandsmitglied habe zu bedenken gegeben, wie stark die CDU in weiteren fünf Jahren Opposition an Bedeutung verliere. Alle anderen hätten von Empörung und Protest an der Basis berichtet.
Ähnliche Erfahrungen wie Mohring machten im Sommer 2018 zwei andere Cdu-spitzenpolitiker. Erst erklärte der Landeschef von Brandenburg, Ingo Senftleben, er werde bei einem Wahlsieg auch mit Linken und AFD reden. Dann befand Schleswig-holsteins Ministerpräsident Daniel Günther: „Wenn da vernünftige Menschen in der Linkspartei am Werk sind, vertut man sich nichts damit,
Merkel gerät parteiintern immer stärker unter Druck. nach vernünftigen Lösungen zu suchen.“Der Protest in der Union kam sofort. Und war scharf. Im „Bayernkurier“, dem Parteiorgan der CSU, stand: „Günthers angeblicher ,Pragmatismus’ ekelt die Bürger an.“Und: „Wenn man die CDU endgültig kaputtmachen will, muss man es genau so machen.“
Persönliche Abrechnungen
So sehen sie das auch im Thüringer Landesvorstand. Eine offizielle Zusammenarbeit mit den Linken, glaubt man, würde der AFD Cduwähler und sogar -Mitglieder zutreiben. Allerdings sind zumindest die Wähler auf Mohring-linie. Knapp siebzig Prozent finden, die CDU müsse ihr Nein zur Linken überdenken. Am Sonntagabend aber hat allein Mohring eine schlüssige Erzählung. Allerdings überrascht er damit nicht nur die Bundespartei, sondern auch seinen Landesvorstand. Für den revanchiert sich gestern Mohrings Stellvertreter Mario Voigt mit einem Interview, in dem „Alleingänge“und „Wortbruch“vorkommen, „Todesstoß für die Union“und „Konjunkturprogramm für die AFD“. Adressat unzweifelhaft: Mohring. Auch in Berlin wird die Thüringen-wahl
für persönliche Abrechnungen genutzt. Erst wirft Friedrich Merz der Kanzlerin – die an ihm vorbei Karriere gemacht hat – „Untätigkeit“und „mangelnde Führung“vor und fordert, kaum kaschiert, Merkels Rücktritt. Dann legt ein weiterer einst Unterlegener nach. Hessens Ex-ministerpräsident Roland Koch zürnt Richtung Parteizentrale und Bundesregierung über die „Argumentationsenthaltung der Führung und besonders der Bundeskanzlerin“.
Und tatsächlich hat die immer noch stärkste Partei im dreißigsten Jahr der deutschen Einheit eine Strategie, die aus deren Anfängen stammt – und erkennbar nicht mehr funktioniert. Nicht hat sie den Mut, wenn schon nicht neu, so doch zumindest wahrnehmbar nachzudenken. Stattdessen werden die besten politischen Blutgrätschen gezeigt. Und die Illusionen poliert, die CDU und ihr Frontpersonal könnten damit schon irgendwie weiter durchkommen. Und wie es so ist, im Regierungsviertel. Dem Schrecken folgt gerne der Spott. Für die CDU und ihr Verhältnis zur Linken heißt der aktuell beste: „Fummeln erlaubt – aber nicht mit Zunge küssen.“