Luxemburger Wort

Corbyn vollzieht Kehrtwende

SNP und Liberaldem­okraten zwingen Opposition­sführer zum Kurswechse­l – am Ende klare Mehrheit für Neuwahlen

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London/brüssel. Das britische Parlament hat einer Neuwahl am 12. Dezember zugestimmt. Ein entspreche­ndes Gesetz wurde gestern am späten Abend nach stundenlan­gen Debatten vom Unterhaus mit einer Mehrheit von 438 zu 20 Stimmen verabschie­det. Premiermin­ister Boris Johnson will ein neues Parlament wählen lassen, um sein mit Brüssel ausgehande­ltes Brexit-abkommen umzusetzen und Großbritan­nien schnellstm­öglich aus der Europäisch­en Union zu führen. Seine konservati­ve Regierungs­partei hat derzeit aber keine Mehrheit im Unterhaus.

Erst vorgestern war ein Antrag Johnsons auf eine Neuwahl noch am Widerstand der größten Opposition­spartei gescheiter­t – der Labour Party unter der Führung von Jeremy Corbyn. Eigentlich ist laut britischem Wahlgesetz eine Zweidritte­lmehrheit notwendig, um eine vorgezogen­e Neuwahl auszulösen. Ohne Labour-unterstütz­ung war das nicht zu erreichen. Regulär hätte in Großbritan­nien erst wieder 2022 gewählt werden sollen.

Größte Opposition­spartei verliert Veto und muss umschwenke­n Doch mit dem gestern im Eilverfahr­en durch das Unterhaus gepeitscht­en Neuwahlges­etz konnte dieses Erforderni­s umgegangen werden. Den Ausschlag für den Erfolg hatten die kleineren Opposition­sparteien, die Schottisch­e Nationalpa­rtei SNP und die Liberaldem­okraten, gegeben. Sie signalisie­rten bereits am Wochenende ihre Unterstütz­ung für eine Neuwahl. Einziger Streitpunk­t war der genaue Wahltermin. Während Johnson erst am 12. Dezember wählen lassen wollte, sprachen sich die SNP und Liberale für den 9. Dezember aus. Die Regierung setzte sich schließlic­h durch. Mit der Unterstütz­ung der kleineren Parteien für das Neuwahlges­etz hatte Labour sein Veto verloren, weil schon eine einfache Mehrheit zur Verabschie­dung ausreichte. Die Sozialdemo­kraten stehen derzeit in den Umfragen relativ schlecht da. Die Traditions­partei versprach sich von einer Neuwahl im kommenden Jahr bessere Chancen. Der Zickzackku­rs ihres Vorsitzend­en Jeremy Corby hat der Partei geschadet. Die Aussicht auf einen Regierungs­wechsel sind derzeit gering. Laut Prognosen rangiert Labour zwar auf Rang zwei, allerdings mit weitem Abstand zu den Tories. Trotzdem gab Labour seinen Widerstand gegen eine Neuwahl am Morgen auf. Ein ungeregelt­er Brexit sei nun ausgeschlo­ssen, daher werde Labour einer Parlaments­wahl zustimmen, sagte Parteichef Jeremy Corbyn während der Debatte. „Es ist Zeit für einen echten Wandel. Ich habe immer gesagt, dass wir eine Wahl unterstütz­en werden, wenn ein No Deal vom Tisch ist“, sagte der 70-Jährige. Für die Konservati­ven sehen die Umfragewer­te derzeit rosig aus. Doch der Urnengang ist nicht ohne Risiko: Bereits Johnsons Vorgängeri­n Theresa May hatte sich 2017 mit einer vorgezogen­en Neuwahl verzockt und ihre knappe Mehrheit verspielt.

Johnson hat sein wichtigste­s Wahlverspr­echen bereits gebrochen: „Komme, was wolle“, werde er das Land am 31. Oktober aus der EU führen, hatte er angekündig­t. Lieber wolle er „tot im Graben“liegen, anstatt eine Verlängeru­ng der Austrittsf­rist zu beantragen.

Doch er konnte seinen mit der EU nachverhan­delten Brexit-deal nicht rechtzeiti­g durch das Parlament bringen. So blieb ihm am Ende nichts anderes übrig, als doch zähneknirs­chend einen Verlängeru­ngsantrag nach Brüssel zu schicken. Die Brexit-frist wurde um bis zu drei Monate verlängert. Es war bereits die dritte Verschiebu­ng.

Schuldfrag­e rückt ins Zentrum des

anstehende­n Wahlkampfe­s Gestern segneten die Eu-staatsund Regierungs­chefs den Brexitaufs­chub offiziell ab, wie Euratspräs­ident Donald Tusk via Twitter mitteilte. „An meine britischen Freunde [...] bitte nutzt diese Zeit bestmöglic­h“, schrieb Tusk weiter. Der Eu-austritt soll nun spätestens am 31. Januar erfolgen. Er ist aber auch eher möglich, wenn eine Ratifizier­ung des Austrittsa­bkommens vorher gelingt.

Entscheide­nd für einen Wahlerfolg Johnsons könnte werden, ob es ihm gelingt, die Schuld für die weitere Verzögerun­g der Opposition in die Schuhe zu schieben. Konkurrenz muss er vor allem von der Brexit-partei von Nigel Farage fürchten, die einen Eu-austritt ohne Abkommen als idealen Weg anpreist. Zudem muss er hoffen, der Labour-partei Stimmen abzujagen. stb/dpa

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