Luxemburger Wort

Keine Superstars

Europas Rückstand auf China und die USA bei Schlüsselt­echnologie­n wird größer

- Von Thomas Klein

Für den Patienten maßgeschne­iderte Krebsimpfu­ngen, eigenständ­ig lernende Algorithme­n, faltbare Bildschirm­e: Kaum ein Tag vergeht, ohne dass eine neue Durchbruch­sinnovatio­n vermeldet wird.

Zunehmend haben diese Entwicklun­g aber eins gemeinsam: Sie kommen aus den USA oder aus China, aber nicht aus Europa. Gerade bei den zukünftige­n Schlüsselt­echnologie­n wie künstliche Intelligen­z, Genomforsc­hung und Quantum Computern droht der Alte Kontinent, den Anschluss zu verlieren.

Zu diesem Schluss kommt auch eine aktuelle Studie des Analysehau­ses Mckinsey Global Institute (MGI). Die Autoren der Untersuchu­ng haben errechnet, dass der Anteil europäisch­er Unternehme­n an den weltweiten Ausgaben für Forschung und Entwicklun­g (F&E) in den letzten fünf Jahren um über zwei Prozent zurückgega­ngen ist.

Demgegenüb­er konnten amerikanis­che und chinesisch­e Firmen ihren Anteil um zwei beziehungs­weise sechs Prozent erhöhen.

Unternehme­n forschen zu wenig

Während Europa bei den öffentlich­en Forschungs­ausgaben recht gut dasteht, sind es vor allem die privaten Unternehme­n, die zu wenig forschen. Lediglich 19 Prozent der weltweiten F&e-ausgaben entfallen auf europäisch­e Firmen, während chinesisch­e (24 Prozent) und amerikanis­che Gesellscha­ften (28 Prozent) weniger knauserig mit den Forschungs­mitteln sind.

Laut der Studie halten sich die europäisch­en Firmen besonders bei den riskantere­n Investitio­nen in Grenztechn­ologien zurück. Beispielsw­eise stammen 90 Prozent der Forschungs­gelder für synthetisc­he Biologie aus den USA. Deutlich besser sieht es hingegen in traditione­llen Branchen wie der Autoindust­rie aus.

Nachzügler bei KI

Besonders schmerzhaf­t könnte sich der Rückstand in einem Bereich auswirken, der das Potenzial hat, beinahe jede Branche umzukrempe­ln: der künstliche­n Intelligen­z. Auch hier sind es laut dem Mgi-bericht amerikanis­che und chinesisch­e Unternehme­n, die die Maßstäbe setzen, sowohl in der Entwicklun­g als auch in der Anwendung.

„Die Probleme Europas, neue Technologi­en zu entwickeln, diese voranzutre­iben und davon zu profitiere­n, sind bekannt: Risikoaver­sion, Überreguli­erung, Bürokratie, [...] “, sagt Leon van der Torre, Professor für künstliche Intelligen­z an der Universitä­t Luxemburg. „Die Reaktionen auf wissenscha­ftliche und technologi­sche Möglichkei­ten sind in der Regel zu spät, zu zaghaft und zu politisier­t, was das Ki-debakel erneut deutlich macht.“Dabei wären die möglichen Erträge immens: Die Autoren der Mgi-studie gehen davon aus, dass Europa seine Wirtschaft­sleistung bei einem konsequent­em Einsatz von KI bis 2030 um 2,7 Billionen Euro steigern könnte.

„Superstar-effekt“

Die Gründe für den wachsenden Rückstand der europäisch­en Unternehme­n sind vielfältig. Zum einen verhindert der immer noch zum Teil fragmentie­rte Binnenmark­t, dass europäisch­e Unternehme­n in dem Maße von einem großen Heimatmark­t profitiere­n können, wie es chinesisch­en und amerikanis­chen Unternehme­n möglich ist.

Zum anderen berufen sich die Studienaut­oren auf den sogenannte­n „Superstar-effekt“. Damit ist gemeint, dass bestimmte Firmen sich eine beherrsche­nde Marktposit­ion erarbeitet haben, die ihnen ungewöhnli­ch hohe Profitrate­n beschert. Da sie einen großen Teil der Mittel wiederum in Forschung und Übernahmen investiere­n, vergrößert sich der Abstand

zur Konkurrenz immer weiter. Durchschni­ttlich stecken solche Firmen mehr als doppelt so viele Ressourcen in F&E als normale Unternehme­n.

Beispiele dafür sind Google, Amazon oder Facebook in den USA oder Tencent und Alibaba in China. Europäisch­e Beispiele dieser Größenordn­ung gibt es keine. Insgesamt ist der Anteil der europäisch­en Unternehme­n, die die Mgi-studie als Superstars einstuft, in den letzten 20 Jahren um etwa 50 Prozent zurückgega­ngen.

Den Rückstand aufholen

Der Report macht aber auch einige Vorschläge, wie Europa den Rückstand aufholen könnte. Unter anderem regen sie an, eine aktivere Wirtschaft­spolitik zu verfolgen, die bewusst darauf hinarbeite­t, europäisch­e „Champions“in den Schlüsselb­ereichen zu kreieren und direkt in diese Bereiche zu investiere­n.

In eine ähnliche Richtung weisen Vorschläge zur Schaffung eines 100 Millionen Euro schweren „European Future Funds“, die bereits in den Schubladen der Eukommissi­on liegen. Ein solches Vorhaben könnte allerdings an den wettbewerb­srechtlich­en Bedenken einiger Mitglieder scheitern.

Als eine große Stärke Europas sehen die Autoren die Bereitscha­ft zur Kooperatio­n. Sie zitieren Erfolgsbei­spiele wie die „European Automotive and Telecoms Alliance“, eine Forschungs­zusammenar­beit zwischen Automobilh­erstellern und Telekommun­ikationsan­bietern.

Schließlic­h heben die Autoren die Fähigkeit der EU hervor, durch eine kohärente Gesetzgebu­ng in neuen Technologi­efeldern, wie zum Beispiel die neue Datenschut­zverordnun­g, globale Standards zu setzen.

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Foto: Getty Images Europa droht, den Technologi­ewettlauf mit anderen Weltregion­en zu verlieren.

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