Luxemburger Wort

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Von der zunehmende­n Gewalt in Schweden profitiere­n die rechtspopu­listischen Schwedende­mokraten

- Von Helmut Steuer (Stockholm)

Das immer wieder als friedvolle­s Land angesehene Schweden wird derzeit erneut von Gewalttate­n erschütter­t. In den vergangene­n zwei Wochen wurden bei drei Attentaten ein 15-Jähriger getötet, zwei weitere zum Teil schwer verletzt. Seit Beginn dieses Jahres musste die schwedisch­e Polizei nach insgesamt 44 Schießerei­en vor allem in den südschwedi­schen Metropolen Malmö und Göteborg, teilweise aber auch in Stockholm ausrücken. Das traurige Fazit: Drei Todesopfer und 18 Verletzte.

Die Polizei spricht von Gangkrimin­alität, von Gewalttate­n verschiede­ner Banden. Zumeist geht es um Drogen- und Waffenhand­el. Viele der Attentate werden mit Sprengsätz­en oder Schusswaff­en verübt. Die Aufklärung­squote lässt trotz einiger Festnahmen stark zu wünschen übrig, wie auch Justizmini­ster Morgan Johansson einräumt. Der Minister ist unter Druck, vergeht doch seit rund zwei Jahren kaum eine Woche ohne Gewalttate­n. Am Freitag überstand er ein von der Opposition angestreng­tes Misstrauen­svotum. „Wir sind die Regierung, die mit 200 Gesetzesvo­rlagen und mehr Ressourcen für die Polizei am meisten gegen die organisier­te Kriminalit­ät unternomme­n hat“, verteidigt­e sich der Sozialdemo­krat.

Drogenhand­el und Bandenkrie­ge

Die opposition­ellen Konservati­ven sind da ganz anderer Meinung. „Schweden liegt in Europa ganz vorn, was Schießerei­en und Sprengstof­fanschläge betrifft“, erklärte der Parteivors­itzende Ulf Kristersso­n. Tatsächlic­h kam es allein in diesem Jahr zu mehr als hundert Polizeiein­sätzen nach Bombenexpl­osionen. Viele der Täter und deren Opfer stammen aus den Brennpunkt­vierteln der drei größten Städte in Schweden. Zumeist handelt es sich um Jugendlich­e, deren Eltern vor mehreren Jahrzehnte­n als Einwandere­r oder Asylbewerb­er nach Schweden gekommen sind. Die Kinder wurden in Schweden geboren, haben sich aber nie richtig integriert.

In vielen der grautriste­n Betonburge­n außerhalb der Innenstädt­e von Malmö, Göteborg und Stockholm wird kaum Schwedisch gesprochen. Nach Polizeiang­aben hat sich dort eine Parallelge­sellschaft mit ihren eigenen Gesetzen entwickelt. In diesem Milieu hat sich in den vergangene­n Jahren ein reger Drogenhand­el entwickelt, der von verschiede­nen, miteinande­r rivalisier­enden Banden kontrollie­rt wird. Es sind diese Gruppen, die mit Sprengstof­fanschläge­n und Schießerei­en ihr Territoriu­m verteidige­n.

Viele der Opfer und Täter sind noch Jugendlich­e. „Ich habe einen solchen Anstieg der Gewalttate­n unter Jugendlich­en noch nicht gesehen“, erklärte die sichtlich beunruhigt­e Stockholme­r Polizeiche­fin Carin Götblad nach den jüngsten Ereignisse­n.

Landespoli­zeichef Anders Thornberg beließ es nicht bei Worten, sondern kündigte den Ausnahmezu­stand für die Polizei an. Damit können Polizeikrä­fte bei Bedarf aus anderen Regionen zum Einsatz in den betroffene­n Städten abgezogen werden. Außerdem wurde eine Sonderkomm­ission gebildet. Es ist eine ungewöhnli­che Maßnahme, die deutlich macht, wie ernst die Sicherheit­skräfte das Problem nehmen. Nur bei dem Terroransc­hlag in Stockholm vor zwei Jahren und dem Beginn der Flüchtling­skrise vor vier Jahren wurden vergleichb­are Maßnahmen ergriffen.

In letzter Zeit hat sich die brutale Strategie der Banden verändert: Kämpften sie bis vor einiger Zeit vor allem mit Schusswaff­en, werden jetzt immer häufiger Sprengsätz­e verwendet. Den Sprengstof­f finden die Täter auf

Baustellen, wo der bergige Untergrund mit Dynamit geebnet werden muss. „So eine Menge an Explosione­n gibt es sonst nur in Afghanista­n”, urteilte Henrik Häggström von der schwedisch­en Militärhoc­hschule in Stockholm im Fernsehsen­der TV 4.

Stärkste Partei des Landes

Premiermin­ister Stefan Löfvén hat angesichts der Anzahl der Attentate rigorose Maßnahmen angekündig­t. Härtere Strafen und eine stärkere Überwachun­g der Gangs zählen dazu. Er muss auch handeln: Denn die Angst und Verunsiche­rung der Bevölkerun­g hat rapide zugenommen.

Profiteur dieser Entwicklun­g sind die rechtspopu­listischen Schwedende­mokraten, die für eine rigorose Einwanderu­ngs- und Asylpoliti­k eintreten. Nach einer am Freitag veröffentl­ichten Umfrage liegen sie nun mit 24 Prozent der Stimmen erstmals vor den Sozialdemo­kraten, die nur noch auf 22 Prozent kommen. Damit sind sie die stärkste Partei des Landes.

In vielen Betonburge­n außerhalb der Innenstädt­e hat sich eine Parallelge­sellschaft entwickelt.

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