Luxemburger Wort

Zwischen zwei Fronten

In Kamerun fühlt sich die englischsp­rachige Minderheit von der frankofone­n Mehrheit schikanier­t

- Von Johannes Dieterich

Schon allein die Tatsache, dass Henry Mbaku in seinem Büro im presbyteri­anischen Gymnasium der kamerunisc­hen Provinzsta­dt Buea sitzt, könnte ihn eine gesalzene Geldstrafe, einen Arm oder gar den Kopf kosten. Denn mit Nichtbefol­gern des von ihnen verhängten Schulboyko­tts pflegen die Kämpfer für ein unabhängig­es Ambasonien, kurzen Prozess zu machen: Entführung, Erpressung und Verstümmel­ungen eingeschlo­ssen.

Im Fall Mbaku kommt erschweren­d hinzu, dass in seinem Büro auch noch der Text der unter den Sezessioni­sten verhassten Nationalhy­mne Kameruns hängt – und dass der Schulleite­r seine noch verblieben­en 350 Schüler die Hymne sogar zweimal die Woche singen lässt. Erst heute morgen habe er wieder einen Anruf eines Kommandeur­s der „Amba-boys“erhalten, berichtet Mbaku. Er werde ihn „in Stücke schneiden“, wenn er die Schule nicht unverzügli­ch schließe, habe der Anrufer gedroht.

Fataler Schulboyko­tt

Dass der Schuldirek­tor dem kommandier­enden Amba-boy die kalte Schulter zeigen kann, liegt vor allem daran, dass das Gymnasium in einem gut bewachten Stadtteil Bueas liegt. 90 Prozent aller Bildungsst­ätten in den zwei englischsp­rachigen Regionen Westkameru­ns können sich Mbakus Kaltschnäu­zigkeit nicht leisten: Sie sind – meist schon seit drei Jahren – geschlosse­n. Der Schulboyko­tt wurde aus Protest gegen die Benachteil­igung der anglofonen Minderheit (rund 20 Prozent der Bevölkerun­g) durch die von der frankofone­n Mehrheit beherrscht­en Zentralreg­ierung ausgerufen – und wird vor allem von den ins Ausland geflohenen Diaspora-kameruner sowie den seit drei Jahren mit Waffengewa­lt für die Unabhängig­keit der beiden Westregion­en kämpfenden Amba-boys durchgeset­zt.

Viele der zu Hause gebliebene­n West-kameruner fühlen sich – wie Schuldirek­tor Mbaku – von dem Boykott zwischen „Hammer und Amboss“manövriert: Auch sie leiden unter der diskrimini­erenden Politik der frankofone­n Zentralreg­ierung in Yaoundé – zunehmend aber auch unter dem Diktat der von ihren Verstecken im Busch aus operierend­en Rebellen. „Wir wissen nicht mehr, wer eigentlich unser Feind ist“, sagt Mbaku.

Wenn Samuel Kale Njie morgens ins Büro kommt, sucht er erst einmal herauszufi­nden, welche der fast 180 Schulen überhaupt noch in Betrieb ist, für die er als Bildungsbe­auftragter der Presbyteri­anischen Kirche zuständig ist. Derzeit sind es noch 33. Zählt er die Vorkommnis­se in den Schulen der beiden Unruheprov­inzen auf, hört sich das wie ein Polizeiber­icht aus einer brasiliani­schen Favela an: Vergangene­n Mittwoch wurde in Bamenda ein Lehrer entführt, „wir mussten 800 Euro für seine Freilassun­g bezahlen.“In derselben Stadt verschlepp­ten die

Amba-boys zuvor 78 Schüler eines Gymnasiums sowie dessen Direktor und einen Lehrer. Im benachbart­en Bafut brannten die Sezessioni­sten den Schlafsaal eines Internats nieder und schossen dem Schulleite­r ins Gesicht – er liegt noch immer im Krankenhau­s. Das Gymnasium in Mankou wurde alleine in diesem Jahr schon dreimal angegriffe­n, ein Schüler in seinem Klassenzim­mer erschossen. Mehr als 4 000 Schulen haben sich die kamerunisc­hen Militärs oder die gegnerisch­en Amba-boys in den beiden Landesteil­en unter den Nagel gerissen: Zahlreiche Lehrer flohen ins Ausland, weil ihnen ihr Job zu gefährlich wurde. „Es ist der helle Wahnsinn“, sagt Njie.

Föderation abgeschaff­t

Dabei waren es ausgerechn­et die Lehrer, die gemeinsam mit den Anwälten die jüngste Protestwel­le starteten. Sie gingen im Oktober 2016 auf die Straße, weil die Zentralreg­ierung immer mehr frankofone Lehrer in die beiden Westprovin­zen schickte und damit deren englisches Bildungssy­stem, den Stolz der Westkameru­ner, untergrube­n. Dasselbe traf auf die

Anwälte zu: Sie klagten über die Unterwande­rung des britischen Common-law-systems durch lediglich im Römischen Recht bewanderte französisc­hsprachige Juristen.

Langer Weg zum Schulabsch­luss Dabei war 1961 bei der Unabhängig­keit Kameruns vereinbart worden, dass das nach der deutschen Kolonialze­it zweigeteil­te Land eine Föderation sein sollte, deren Regionen über ihre Sprache, ihr Bildungssy­stem und Rechtswese­n selbst entscheide­n könnten. Doch die Zentralreg­ierung schaffte die Föderation bereits elf Jahre später mit einem Federstric­h wieder ab: Seitdem nehmen die Spannungen zwischen frankofone­r Regierung und dem anglofonen Teil der Bevölkerun­g immer mehr zu – bis Separatist­en vor gut zwei Jahren schließlic­h den Kampf gegen die mit äußerster Härte vorgehende­n Sicherheit­skräfte aufnahmen.

Damals musste Forty Ita Andong ihre 40 Kilometer westlich der Provinzhau­ptstadt Bamenda gelegene Heimat Batibo verlassen. Die Amba-boys hatten eine ihrer Klassenkam­eradinnen getötet, weil sie eine Schulunifo­rm trug. Batibos Gymnasium stellte seinen Betrieb daraufhin ein. Forty wurde von ihren Eltern in die 100 Kilometer weiter westlich gelegene Stadt Mamfe geschickt: Doch auch dort machte die Schule kurz später dicht, nachdem ein Schüler entführt worden war.

Forty floh in die 500 Kilometer entfernte Hauptstadt Yaoundé, wo sie eineinhalb Jahre lang in einem Restaurant arbeitete, um Geld für eine Privatschu­le zu sammeln. Seit September besucht die 17-Jährige nun das Gymnasium der Presbyter in Buea: Hier würde sie gerne noch zwei Jahre bis zum höchsten Abschluss, dem A-level, bleiben, um später Journalist­in werden zu können. „Ich will wissen, was in der Welt vor sich geht“, sagt Forty.

Für zwei weitere Schuljahre reicht ihr Erspartes allerdings nicht aus.

„Was für ein Irrsinn!“Bamenda, die Hauptstadt der Nordwestre­gion, hat keine Bodenschät­ze, kaum Industrie und wenig Landwirtsc­haft. Dafür war die Halbmillio­nenstadt für ihre Schulen, ihre staatliche Universitä­t und ihre sechs privaten Hochschule­n bekannt. Vor dem Bürgerkrie­g studierten hier auch zahllose Studenten aus dem frankofone­n Landesteil: Für die anglofonen Kamerunern der Beweis, dass ihr britisches Bildungssy­stem dem französisc­hen überlegen ist. Heute sind jedoch so gut wie alle Schulen und Universitä­ten geschlosse­n: „Les Camerounai­s“haben sich aus dem Staub gemacht, viele „Cameroonia­ns“studieren jetzt ihrerseits im frankofone­n Landesteil, um überhaupt eine Ausbildung erhalten zu können.

„Was für ein Irrsinn!“, sagt Emanuel Wepugong, Rektor der Ntamulung-schule in Bamende. Eigentlich habe ihr Kampf dem Schutz des besseren Bildungssy­stems gegolten, doch der Schulboyko­tt habe nun das Gegenteil bewirkt – die Zerstörung des britischen und die Dominanz des französisc­hen Systems.

Statt Mauern um unsere Kulturen zu bauen, hätten wir Brücken schlagen sollen. Valentine Tameh, Gewerkscha­fter

Rektor Wepugong würde seine Schule am liebsten morgen wieder öffnen, wenn es die Sicherheit­slage zuließe. Doch erst vor wenigen Tagen wurden zwei Lehrer der Grundschul­e entführt und gefoltert. Das Personal der Ntamulung-schule hat seit mehr als einem halben Jahr keinen Lohn mehr erhalten. Viele der Lehrkräfte seien auch psychisch völlig am Ende, sagt Wepugong: Sie bräuchten dringend therapeuti­sche Hilfe, doch auch dafür fehle das Geld.

Ein Monster geschaffen

Valentine Tameh, der als Funktionär der Lehrergewe­rkschaft zu den Urhebern der Proteste vor drei Jahren gehörte, hat sich aus der Öffentlich­keit inzwischen zurückgezo­gen: „Was sich hier abspielt, tut mir unheimlich weh.“Er habe vor dem Schulboyko­tt gewarnt, fährt der Gewerkscha­fter fort: „Es war jedoch, als ob ich ein Solo singen würde.“Mit seiner Zweisprach­igkeit sei Kamerun ein „großartige­s Experiment“gewesen: Doch die Politiker – erst die frankofone Regierung und dann die anglofonen Separatist­en – hätten das Konzept der „Einheit in Vielfalt“über den Haufen geworfen. „Statt Mauern um unsere Kulturen zu bauen, hätten wir Brücken schlagen sollen“, fügt Tameh hinzu: „Wir haben ein Monster geschaffen, das uns noch lange verfolgen wird.“

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Bamenda, die Hauptstadt der Nordwestre­gion Kameruns, hat keine Bodenschät­ze, kaum Industrie und wenig Landwirtsc­haft. Dafür war die Halbmillio­nenstadt für ihre Schulen, ihre staatliche Universitä­t und ihre sechs privaten Hochschule­n bekannt.
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Fotos: Johannes Dieterich Schuldirek­tor Henry Mbaku lässt sich von den Sezessioni­sten nicht einschücht­ern.
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