Mittendrin, statt nur dabei
1867 bereiste der Luxemburger Tony Dutreux den Orient – und dokumentierte dabei auch den Bau des Suezkanals
„Zu der Zeit gehörte es für die wohlhabende Gesellschaftsschicht einfach zum guten Ton, eine solche Bildungsreise zu unternehmen: Also hat auch er sich aufgemacht, die Welt zu entdecken“, erklärt Norbert Quintus, Mitglied der Amis de l'histoire du Roeserbann und Initiator der aktuellen Schau im Musée rural et artisanal in Peppingen, und zeigt auf das Sepiabild eines jungen Mannes in traditioneller arabischer Kleidung, das ein Beamer gerade an die Wand projiziert.
„Zu der Zeit“, das war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, „er“ist Antoine „Tony“Auguste Jean-pierre Dutreux und „die Welt“war der ferne Orient, den der Sohn aus gutem Hause (Vater Auguste ist General-einnehmer, Mutter Elisabeth eine geborene Pescatore) vom ägyptischen Alexandria über die Sinai-halbinsel bis hin nach Palästina, Petra, Damaskus und dem heute libanesischen Baalbek bereiste. Vom 18. Januar bis 26. April 1867 entdeckt der junge Mann, Jahrgang 1838, per Schiff, Eisenbahn sowie vom Rücken eines Kamels und Pferdes aus Länder, Landschaften, Völker und Kulturen, die ihn in vielerlei Hinsicht faszinieren.
Briefe nach Kockelscheuer
Dass wir all dies heute überhaupt wissen, ist Tony selbst zu verdanken. Denn der damals 28-Jährige schreibt nach seiner Abfahrt aus Marseille fleißig Briefe in die Luxemburger Heimat. Im Kockelscheuer Schloss, wo die Familie lebt, überträgt sein Vater Antoine diese fein säuberlich in einen Sammelband. Später kommen noch zahlreiche, entweder selbst gemachte oder gesammelte Fotografien hinzu, die Tony von der Reise mit zurückbringt und die einen zweiten Band füllen. Beide werden heute in der „Réserve précieuse“der Nationalbibliothek verwahrt.
„Er war ein intelligenter, überaus gebildeter und vielseitig interessierter, junger Mann“, so Quintus, der vom ehemaligen „Amis“mitglied Joseph Mersch Kopien dieser Aufzeichnungen erhielt und sie in eineinhalbjähriger Arbeit transkribierte.
Der Leiter des Musée rural et artisanal, Percy Lallemang, brauchte keine lange Bedenkzeit, um dieser Arbeit eine Vitrine zu bieten: „Es ist schließlich auch die Rolle unseres Museums eine gebührende Plattform für die Lokalgeschichte zu sein – und wenn wir sie noch mit dem Kontext der Weltgeschichte verbinden können, umso mehr!“
Nach Studien in Schottland und einem Abschluss als Metallurge 1859 an der Pariser Ecole Centrale des Arts et Manufactures, besteigt Dutreux am 18. Januar 1867 ein
Schiff in Marseille und segelt gen Morgenland los. Nicht nur der Vergangenheit durch Überreste wie den Nadeln der Kleopatra, die heute in London und New York stehen, auch der Zukunft begegnet Tony dort.
„C’est un très beau vieillard qui a conservé une énergie étonnante. Il est constamment en route, passe les nuits à voyager et se repose le jour en faisant quinze lieues à cheval“, beschreibt der Orientreisende am 9. Februar in einem Brief an seinen Vater aus Ismaïlia, den Mann, den dort damals alle nur „Le Président“nennen: Ferdinand de
Ein Hauch von „Lawrence of Arabia“– Made in Luxembourg: Tony Dutreux in traditioneller Tracht.
Lesseps. Ihn und sein Unterfangen geradezu pharaonischen Ausmaßes, den Suezkanal, dessen Einweihung sich am 17. November zum 150. Mal jährt, erlebt und erzählt Tony den Daheimgebliebenen.
In seiner Beschreibung des mitten in der ägyptischen Wüste zwischen Port Said und Suez gelegenen Städtchens offenbart sich nicht nur der weltoffene und neugierige Reisende, sondern auch der feine und stets humorvolle Beobachter, der Dutreux ist: „Les rues sont alignées à la Haussmann, il y a un café chantant et un orphéon. Voilà paraît-il, les trois signes principaux auxquels on reconnaît que la civilisation française s’est implantée quelque-part.“
Zweieinhalb Jahre vor seiner Eröffnung betrachtet der junge Luxemburger Ingenieur die Baustelle des Suezkanals mit fachmännischem Blick: „Figurez-vous tous les moyens de transport et de travail des terres employés à la fois et dans le plus pittoresque désordre. Voici quelques éléments du tableau: des bandes d’ouvriers de toutes les nations, Bédouins, Grecs, Italiens, Nègres, Allemands qui travaillent aux berges du canal. A côté, d’immenses dragues qui creusent le fond avec une régularité irrésistible et versent le sable dans de longs trains qu’enlèvent les locomotives. D’autres wagons sont traînés par des chameaux. Sur le canal même, ce ne sont que chalands, canots à voile, à vapeur et à rames, dragues et gabares.“Voller Anerkennung betrachtet Dutreux die von Ingenieurkollege Alexandre Lavalley eingesetzten technischen Mittel wie Baggerschiffe mit schwimmendem Förderband und Maschinen zum Aushub.
Der „Président“höchstpersönlich ist bemüht, seinem Gast den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, so stellt Lesseps ihm Boote und Pferde zur Verfügung und Dutreux stellt anlässlich eines Ausflugs nach Port Said, am Nordende des Suezkanals, fest: „Ce qui frappe le plus dans cette excursion, c’est le nombre de gens distingués qu’on rencontre sur les travaux.“Dass mit ihm auch ein Luxemburger vor Ort ist, der die Wehen des Jahrhundertprojekts aus nächster Nähe miterleben kann, dürfte rein mathematisch gesehen die verborgene Sensation der Geschichte sein. Bereits 2015 organisierte die Nationalbibliothek im Rahmen des Mois européen de la photographie eine Ausstellung der Fotografien aus dem Nachlass Dutreuxs, den Tonys Sohn Antoine der Institution überließ.
Die aktuelle Schau in Peppingen versucht sich indes im historischen Brückenschlag, indem sie auch aktuelle Bilder der Orte zeigt, die Dutreux 1867 besuchte. „Dabei macht es doch schon irgendwie nachdenklich, dass er damals scheinbar leichter in dieser Gegend herumreisen konnte, als wir das heutzutage könnten“, meint Quintus.
Viel Herzblut, aber wenig Mittel
Hilfreich ist dem jungen Mann damals ein Schreiben, das ihn als Mitglied des Herrscherhofs auszeichnet: „Tous les consuls se mettent en quatre pour moi. Mon titre ,Secrétaire de S. M. le Roi des Pays-bas pour les Affaires du Grand-duché de Luxembourg‘ me sert d’autant mieux qu’il est si vague et si inconnu“, notiert Dutreux am 14. Februar, wozu Norbert Quintus ausführt: „So konnte er während seiner Reise wichtige Akteure, wie beispielsweise den algerischen Freiheitskämpfer Abd el-kader oder die Britin Jane Digby kennenlernen.“
„Wir haben natürlich versucht, die Schau durch zusätzliche Exponate etwas lebendiger zu gestalten“, erklärt derweil der Leiter des Museums und fügt hinzu, „Trotz unserer sehr begrenzten finanziellen Mittel sind wir bemüht, den Besuchern das bestmögliche Erlebnis zu bieten.“
Gerade weil das Herzblut bei der Ausrichtung der Ausstellung erkennbar ist, mutet es umso bedauerlicher an, dass, um diese spannende Geschichte zu erzählen, nicht mehr als recht dürftig anmutende Bordmittel zur Verfügung stehen, wenngleich bestmöglich eingesetzt. Die Schau fordert dann auch vom Besucher reichlich Leseausdauer und somit Konzentration, eine Investition, die jedoch allemal lohnt – genau wie das Lesen des vor Ort erhältlichen Hefts mit dem Transkript der gesamten Reiseaufzeichnungen.
Zum Glück gab es für Percy Lallemang und sein Museum jedoch auch materielle Schützenhilfe von mehreren Institutionen und Privatpersonen. Das Centre national de l'audiovisuel aus Düdelingen und die Photothèque der Stadt Luxemburg stellten jeweils eine von 1860 bzw. 1880 stammende Kollodium-nassplatten-kamera bereit, die Besuchern zeigen sollen, mit welchen Apparaten seinerzeit die ebenfalls per Beamer groß gezeigten Aufnahmen wohl entstanden.
In einer Vitrine finden sich Exponate, die den altägyptischen Kontext illustrieren wie beispielsweise ein Modell des Steins von Rosetta, dank dem Jean-françois Champollion 1822 die Hieroglyphen entzifferte.
In einem weiteren Schaukasten sind französische Lefaucheux-gewehre und -Pistolen – „Die Reisegesellschaft von Tony Dutreux hatte aus Sicherheitsgründen eine bewaffnete Eskorte, doch sein eigenes Gewehr und seinen Hund Stop vermisste der junge Mann besonders bei einer Rothuhn-jagd, unweit der Felsenstadt Petra“, so Percy Lallemang – „En un clin d'oeil, j'en avais tué huit. Avec Stop et un Lefaucheux, j'en aurais tué cinq fois autant dans le même temps“, bedauert der Abenteuerlustige.
Der junge Mann ist damals nicht alleine unterwegs: „Er hatte nicht nur einen ,Drogman‘, sprich Führer und Übersetzer, den man heutzutage ,Fixer‘ nennt, sondern gar einen Koch mit dabei – um selbst mitten in der Wüste ein Drei-gänge-menu genießen zu können“. Ob sich der wahre Luxemburger Tourist mit seiner Gaumenfreude verrät? Norbert Quintus antwortet mit einem schelmischen Schmunzeln.
„Viele seiner Beobachtungen bestechen durch eine überraschende Aktualität, wenn er beispielsweise von der prächtigen Architektur der Moscheen und Kalifengräber in Kairo schwärmt und im gleichen Atemzug bedauert, dass sich danach nicht mehr
passend um ihren Erhalt gekümmert wurde“, so der ehemalige Geschichtsund Geografielehrer, der in Düdelingen unterrichtete. „Il paraît que chez les Musulmans, il est oeuvre de construire une mosquée, mais non pas de l’entretenir, ce qui fait que les plus belles choses disparaissent peu à peu“, schreibt Tony Dutreux 1867 – eine Feststellung, die heute geradezu erstaunlich an das Schicksal so manch historischer Bausubstanz in Luxemburg erinnert.
Die eigentliche Offenbarung der Bekanntschaft mit dem Zeitzeugen Dutreux ist mehr noch als die Begegnung der großen Geschichte mit den kleinen Geschichte, die erfreuliche Tatsache, dass man in der Ferne beim Zusammentreffen von Unterschieden stets auch die Gemeinsamkeiten der Menschen erkennt.
Noch bis zum 24. November täglich von 14 bis 18 Uhr im Musée rural et artisanal (38, rue de Crauthem, Peppingen). Freier Eintritt. Ein Heft mit dem kompletten Transkript der Korrespondenz von Tony Dutreux ist für 10 Euro vor Ort erhältlich.