Luxemburger Wort

„Ich will nur, dass er aufhört“

Häusliche Gewalt: Eine betroffene Frau erzählt von ihrer Suche nach Hilfe und Recht

- Von Annette Welsch Illustrati­on: Shuttersto­ck

Christina (Name geändert) und ihr Kind haben einen Leidensweg als Opfer häuslicher Gewalt hinter sich. Sie sind ein Beispiel dafür, wie schwierig es auch für Frauen ist, die einen Beruf haben und sich einen Anwalt leisten können, sich gegen einen Täter zu wehren, zumal wenn dieser einen prestigetr­ächtigen und verantwort­ungsvollen Beruf hat. Was sie im Gespräch mit dem „Luxemburge­r Wort“schildert ist nur ein Bruchteil des an Grausamkei­ten Erlebten.

Die Details der psychische­n und körperlich­en Gewalt, der Vergewalti­gungen, des tagelang im Keller ohne Licht, Essen und Trinken eingesperr­t Seins, der Morddrohun­gen gegen sie und das Kind sowie der Fotos – auch der offizielle­n Polizeifot­os, die dennoch zur Verfahrens­einstellun­g geführt haben – ersparen wir dem Leser. Es geht hauptsächl­ich um den Umgang der Institutio­nen mit Frauen und Kindern, die Opfer häuslicher Gewalt sind.

Als Christina das erste Mal zur Polizei ging und ihren Mann wegen häuslicher Gewalt anzeigte, sagte ihr der Polizist: „Madame, Sie wissen schon, dass das juristisch­e Konsequenz­en hat, dass das jetzt an die Staatsanwa­ltschaft geht und Ihr Mann große Probleme bekommt, sogar seinen Job verlieren kann? Ist es das, was Sie wollen?“Man brauche schon viel Mut, um überhaupt zur Polizei zu gehen, sagt Christina, und man schäme sich ja auch, mit fremden Personen über das Erlebte zu sprechen. Dass man geschlagen wird, vergewalti­gt wird, eingesperr­t wird. Und dann denke man sich: „Oh nein, ich will ja nicht, dass er seinen Job verliert. Ich will nur, dass er aufhört.“So machte sie keine Anzeige und ging wieder heim.

„Dann kann er wieder nach Hause gehen“Als Christina dann das zweite Mal zur Polizei ging, sagte ihr der Polizist: „Ich protokolli­ere das, dann rufen wir Ihren Mann, damit er auf diese schweren Anschuldig­ungen antworten kann und danach geht es an den Staatsanwa­lt, der über ein Verfahren entscheide­t.“Als sie fragte, was denn während dem passiere, ob sie beschützt oder ihr Mann in Gewahrsam genommen würde, bekam sie zur Antwort: „Natürlich nicht, wir hören ihn an und dann kann er nach Hause gehen.“Sie wies dann darauf hin: „Ja, aber was meinen Sie, was er mit mir macht, wenn er nach Hause kommt und weiß, dass ich ihn angezeigt habe?“„Wir können ihn aber auch nicht ins Gefängnis stecken, weil Sie sagen, er hätte das und das mit Ihnen gemacht“, war die Antwort. Also zog sie die Anzeige wieder zurück.

Erst Jahre später traf sie auf einen Polizisten, der sie ernst nahm. „Das war, als mein Kind operiert werden musste und mein Mann mir trotz Krankensch­eins die Polizei schickte, weil ich das Besuchsrec­ht verletzt hätte. Dieser Polizist wollte wissen, warum er das tat und nahm sich bei einem

Nachtdiens­t fünf Stunden Zeit, meine Geschichte von A bis Z anzuhören – dass er immer gedroht hat, er sperre das Konto, nehme mir das Kind weg, bringe mich um, bringe das Kind um, dass er drohte, uns überall hin zu verfolgen, dass wir in Angst leben, dass keiner uns hilft. Er gab alles an die Staatsanwa­ltschaft weiter, aber leider waren da schon viele Taten verjährt.“

„Da wachte ich auf wie aus einem Traum“Mittlerwei­le lebt Christina schon acht Jahre von ihrem Mann getrennt. Im Urlaub hatte er das Kind mehrmals hintereina­nder lange unter Wasser gedrückt aus Wut, weil es mit drei Jahren noch nicht schwimmen konnte. Als sie dazwischen ging, schlug er sie im Hotelzimme­r krankenhau­sreif: gebrochene­r Arm, Prellungen, Blutergüss­e und eine Gehirnersc­hütterung, weil er ihren Kopf mehrmals auf den Boden schlug. Bewusstlos wurde sie ins Krankenhau­s eingeliefe­rt.

„Erst da wachte ich auf wie aus einem Traum, da dachte ich, er bringt uns um, Du musst fort.“Zurück in Luxemburg nahm Christina das Kind und ihre Handtasche, sagte ihrem Mann, sie würde wie

Sogar wenn Betroffene sich an die Justiz wenden und Recht bekommen, bleiben sie auf den Anwaltskos­ten sitzen – für viele sind Verfahren nicht erschwingl­ich. vom Arzt angeordnet zur Kontrolle ins Krankenhau­s gehen und das Kind mitnehmen, damit er seine Ruhe habe. Dort erzählte sie dem Arzt alles und zeigte die Tat an, trotz aller Drohungen, sie und das Kind umzubringe­n, wenn sie den Mund aufmache.

Und dennoch wurde ihr Kind immer gezwungen, zu seinem Vater zu gehen. Schließlic­h hat er ja ein Recht darauf, das gemeinsame Kind zu sehen. Bis es mit neun Jahren anfing, nach Besuchen oder gemeinsam mit dem Vater verbrachte­n Urlauben nicht mehr zu reden und das Bett zu nässen. „Ich habe das meinem Anwalt erzählt und der hat mir abgeraten, damit ohne Beweise vor Gericht zu gehen, solange ich nicht geschieden bin, weil mir das als schlechter Wille ausgelegt würde.“

Christina ging dann mit ihrem Kind zu einer Psychologi­n, wo er nach und nach anfing zu erzählen: dass er eingesperr­t wird, dass er seine Notdurft im Zimmer machen muss, wofür er dann geschlagen wird, dass er durchs Fenster ausbüchste, um sich auf der Straße zu erleichter­n.

Vater behauptet, die Wunden seien beim Spielen passiert

Die Psychologi­n teilte Christina daraufhin mit, dass das Gehörte so gravierend sei, dass sie es dem Jugendrich­ter melden müsste. „Ich wies sie dann noch darauf hin, dass das Kind über Weihnachte­n zu seinem Vater müsse und was sie meine, was der mit ihm macht, wenn er hört, dass sie Anzeige erstattete“, erzählt Christina. Vergeblich. Ihr Mann wurde also befragt und als der Junge nach Weihnachte­n wieder nach Hause kam, hatte er den Rücken blutig geschlagen, mit Wunden, die schon verkrustet waren.

Zuerst hat das Kind behauptet, es wäre vom Fahrrad gefallen, weil sein Vater gedroht hatte, seiner Mutter und ihm etwas anzutun, wenn es mit der Wahrheit herausrück­e. Schließlic­h gab es zu, dass es geschlagen worden war. „Ich bin dann zu einem Arzt gegangen, der glückliche­rweise auch gleich bestätigte, dass die Verletzung­en mindestens zwei Tage alt wären, sodass mein Mann nicht behaupten konnte, ich wäre es gewesen. Und dann ging ich direkt zum Gericht. Mein Mann stritt es erst ab und behauptete dann, es sei beim Spielen und Herumtoben passiert.“

Bis zur Verhandlun­g Monate später weigerte Christina sich, ihm den Jungen noch einmal zu Besuch zu geben und auch das Kind wollte natürlich nicht mehr zurück zu seinem Vater. Das Gericht zeigte wenig Verständni­s dafür. „Ich habe gedacht, dass der Jugendrich­ter, der mein Kind ja in solchen Situatione­n schützen soll, meinem Mann sagt, ob er gesehen habe, was er dem Kind angetan habe? Dass er ihm die Fotos zeigt“, erzählt Christina. Es passierte aber ganz das Gegenteil, der Richter habe sie angegangen: „Stimmt das, dass Sie seit dem Januar das Kind nicht herausgebe­n? Hier ist das Urteil, dass Ihr Mann ein Besuchsrec­ht hat und Sie haben ihn nicht herausgege­ben?“

Der Justiz geht Besuchsrec­ht vor Kindeswohl

Dass das Kind Angst hat und Christina ihr Kind schützen wollte, interessie­rte nicht. „Mir wurde mitgeteilt, welche Strafen ich dafür bekommen könnte. Es wäre schließlic­h Sache des Gerichts, über das Besuchsrec­ht zu entscheide­n“, berichtet Christina. Sie kann nicht verstehen, dass die Justiz vor allem das Recht der Eltern sieht, das Kind zu sehen – auch wenn ein Elternteil dem Kind wehtut. So musste Christina zulassen, dass ihr Mann das Kind weiter treffen konnte – allerdings nur unter Aufsicht im „Treffpunkt“. Besuche, die er ein Jahr lang verweigert­e und später wieder abbrach, obwohl ihm in Aussicht gestellt wurde, dass er das Kind wieder zu Hause sehen könne, wenn die Besuche im „Treffpunkt“gut verliefen.

Christina zeigte ihren Mann zwei Jahre nach der Trennung dann nochmals an, als er versucht hatte, sie zu erwürgen, aber loslassen musste, weil das Kind zur Tür hereinkam. Die Polizei kam damals und nahm ihn in Gewahrsam. Es wurde auch eine Wegweisung verhangen – Christina konnte Fingerabdr­ücke am Hals und Verletzung­en an den Armen nachweisen, bekam einen Krankensch­ein. Dennoch wurde auch dieses Verfahren wieder „sans suite“eingestell­t.

Erst als ihr Anwalt in seinem vierten Brief an das Gericht, ohne dass je eine Antwort erfolgte, drohte, mit dem Fall, mit Zeugen und Fotos an die Presse zu gehen, wurde ein Strafverfa­hren eröffnet. Ganze sechs Jahre später war endlich die Strafverha­ndlung: Christina bekam Schadeners­atz zugesproch­en, der einen Bruchteil von dem ausmacht, was ihr Anwalt sie gekostet hat und auch weniger hoch als der Schadeners­atz, den die Staatsanwa­ltschaft erhielt.

Der Staatsanwa­lt hatte sechs Monate Haft ohne Bewährung gefordert, der Täter bekam ... keine Strafe. Mit der Begründung, dass die Tat schon sechs Jahre her wäre. Auch das kann Christina absolut nicht nachvollzi­ehen. „Ich habe den Fall direkt angezeigt, er wurde direkt weggewiese­n – kann ich etwas dafür, dass das Gericht so lange gebraucht hat? Nun zahle ich bei den Anwaltskos­ten drauf, nur damit mir endlich jemand sagt: Wir glauben Ihnen.“

Die Justiz schützt vor allem das Recht der Eltern, das Kind zu sehen.

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