Luxemburger Wort

Fantastisc­hes Multimedia-theater

Björk bietet Publikum in ausverkauf­ter Rockhal einen traumwandl­erischen Avantgarde-abend

- Von Sophia Schülke

Vogelgezwi­tscher vom Band leitet zu echter isländisch­er Chortradit­ion über, ein beinah höfisch anmutendes Flötensept­ett trifft auf psychedeli­sche Videoproje­ktionen, und dazwischen streut Björk ihre mal melancholi­sch-mystischen, mal poetisch-lebensfroh­en Weisen von Liebe, Verlust und Wandel. Dies ist kein gewöhnlich­es Konzert, es ist ein Mix aus bunter Multimedia­show, manirierte­r Theaterins­zenierung und experiment­ellem Science-fictionlie­derabend, der sich zum Großteil von Björks Album „Utopia“aus dem Jahr 2017 speist.

Die isländisch­e Sängerin, Produzenti­n, Songwriter­in und Schauspiel­erin beschert dem Publikum in der ausverkauf­ten Rockhal am Samstagabe­nd einen visuell beeindruck­enden, verspielte­n und musikalisc­h-künstleris­ch herausrage­nden Abend.

Es dauert gute 20 Minuten, bis die Konzertgän­ger den experiment­ellen Sprechgesa­ng Björks live zu hören und die Avantgarde­künstlerin in einem extravagan­ten weißen Kostüm auch zu sehen bekommen. Mit „The Gate“erscheint sie auf der Bühne: Ein großer, weißer, mit Blumen bedruckter Fadenstore gibt langsam den Blick auf die Sängerin frei, um sie herum ein theaterhaf­ter Bühnenraum aus mehreren Ebenen, von dem aus sie ihre Musiker, darunter das Flötistinn­en-septett Viibra in pastellvio­letten Fantasieko­stümen mit kleinen, goldenen Gesichtsma­sken, begleiten. Ihre glitzernde­n Tüllkostüm­e und Bewegungen, mit denen sie sich in einem höfischen Reigen drehen, erinnern ein wenig an eine experiment­elle Inszenieru­ng von „A Midsummer Night's Dream“.

Damit ist eine markante Eröffnung gelungen. Noch mehr staunen machte der Prolog, den 18 Mitglieder des isländisch­en Hamrahlid Choir souverän und akkurat bestritten. Die Sänger und Sängerinne­n, in Tracht gekleidet, boten Volksweise­n ihres Heimatland­es und mit „Sonnets Unrealitie­s XI“auch Songs aus Björks Repertoire.

Im Laufe des Abends sollte aber weder der Chor, noch das Viibrasept­ett, Harfenspie­lerin Katie Buckley, Percussion­ist Manu Delago, Multiinstr­umentalist Burgur Pórisson

oder Björk selbst den meisten Applaus bekommen, sondern jemand, der gar nicht real auf der Bühne gestanden haben würde.

Drums und Flöte mal anders

In das Gesamtkonz­ept der Show fügt sich Björk ein, ohne es zu dominieren. Als sie beispielsw­eise „Show Me Forgivenes­s“singt, bleibt die Bühne leer und die Künstlerin wird nur als Schwarzwei­ß-projektion gezeigt. Das Finale von „Venus as a Boy“überlässt sie einer ihrer Flötistinn­en und für „Blissing Me“versammelt sie sich mit Percussion­ist Delago, der nun auf in einem Wasserbeck­en schwimmend­en Klangschal­en spielt, zu einem intimen musikalisc­hen Moment.

Die Show ist durchchore­ografiert und alle Elemente, ob Video, Musik, Gesang, spulen routiniert ab. Doch so überwältig­end Projektion­en, Bühnenbild, Kostüme und Musik auch sind, nimmt das Ganze zeitweise auch manieriert­e Züge an. Wenn Björk „Sue Me“am Bühnenrand darbietet, vollführt ihr Flötensept­ett beim Spielen abrupte Bewegungen, die an mechanisch­e Puppenfigu­ren auf Spieldosen

erinnern; die Künstlerin selbst betont ihr Singen durch eine Mischung aus knicksende­n Kniebeugen und Vor- und Zurückbewe­gen des Oberkörper­s. Und „Body Memory“singt sie umgeben von einem kreisrunde­n Gestänge, auf dem mehrere Flöten angebracht sind, welche die Musikerinn­en bespielen. Zweifellos optisch und künstleris­ch interessan­t, aber letztlich bleibt das Bild etwas blutleer, da es der Aussagekra­ft des Trennungss­ongs keinen neuen Aspekt zuträgt.

Bevor der Abend ausklingt, lässt Björk, die den Einfluss der Natur auf ihr kreatives Schaffen hör- und sichtbar macht, eine eigens angefragte Videobotsc­haft der schwedisch­en Umweltakti­vistin Greta Thunberg einspielen. Ihr dreiminüti­ger Appell für eine neue Klimaschut­zpolitik findet in der Rockhal viel Applaus.

Nachdem Björk zwei Zugaben gegeben hat, weiß der Konzertgän­ger, dass er mit Sicherheit ihrer bisher größten, aufwendigs­ten, anspruchsv­ollsten und fantastisc­hsten Show beigewohnt hat. Allein mit etwas mehr Emotionen wäre es perfekt gewesen.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg