Die Stunde der Wahrheit
Heute stimmt das Europäische Parlament über Ursula von der Leyens Eu-kommissionsteam ab
Für Ursula von der Leyen, die im Juli als künftige Präsidentin der Europäischen Kommission gewählt wurde, soll das Warten heute endlich ein Ende haben: Das Europäische Parlament wird gegen Mittag in Straßburg über ihr gesamtes Kommissionsteam abstimmen. Gibt es für die vorgeschlagene Mannschaft eine Mehrheit, kann von der Leyen bereits nächste Woche ihre Arbeit an der Spitze der Brüsseler Behörde beginnen – und Jean-claude Juncker darf in den europapolitischen Ruhestand.
Von der Leyen sollte diese letzte Hürde ohne allzu große Probleme schaffen. Die konservative Europäische Volkspartei (EVP), die Sozialdemokraten und die liberale „Renew“-fraktion haben gestern verkündet, dass sie für die neue Kommission stimmen werden. Dazu sollten sich auch einige Stimmen aus der rechtskonservativen Ekr-fraktion addieren – in von der Leyens Team stellt die rechtskonservative Regierung in Polen den Agrarkommissar. „Ich rechne mit einer klaren Mehrheit“, sagen unisono Martin Schirdewan,
Chef der linken Fraktion, und Manfred Weber, Chef der Evp-fraktion – die sich ansonsten eher selten einig sind.
Für diese These sprechen auch die Modalitäten des Votums: Anders als bei der Wahl um die Person von der Leyen im Juli, bei dem es eine knappe Mehrheit von nur neun Stimmen gab, ist die heutige Abstimmung nicht geheim. Das erhöht die Fraktionsdisziplin, weil persönliche Trotzreaktionen dadurch nicht verborgen bleiben. Zudem genügt diesmal eine einfache Mehrheit und keine absolute – was Enthaltungen weniger folgenreich macht.
Dennoch wird die Abstimmung spannend sein und einiges über die Dynamik der nächsten fünf Jahre in Brüssel verraten. Ohnehin lässt sich vor der Abstimmung schon sagen, dass die Eu-kommission von Ursula von der Leyen eine schwere Geburt ist. Von der Leyen war – anders bei Jean-claude Juncker – keine Spitzenkandidatin bei den Eu-wahlen und wurde dem Parlament von den Eu-staatsund Regierungschefs erst nach den Wahlen aufgedrängt. Alleine deswegen gibt es noch einige Ressentiments gegen sie in der Volksvertretung.
Ursula von der Leyen will bald richtig loslegen.
Zudem kommt, dass es zwischen den großen Fraktionen der Mitte noch keinen wirklichen Pakt gibt, um die Europäische Kommission in Grundsatzfragen zu unterstützen.
Von der Leyen bekam dies bereits zu spüren, als sie in ihrem Team bereits drei Kommissare auswechseln musste, weil sich keine Mehrheit für sie im Parlament finden ließ. Dies führte dazu, dass die neue Eu-kommission nicht wie geplant schon Anfang November startbereit war.
Komplizierte Mehrheitsfindung
Heute wird sich zeigen, ob sich das mittlerweile geändert hat. Iratxe García Pérez, die spanische Fraktionschefin der Sozialdemokraten sagte gestern, dass die neue Kommission mit der „absoluten“Unterstützung ihrer Fraktion rechnen kann. Die neue Kommission habe viele fortschrittliche Programmpunkte verinnerlicht, wie etwa die eine starke Ambition im Klimaschutz, obschon „nicht alle Kommissare perfekt sind“.
In der Kritik stehen etwa der ungarische Kommissar Oliver Varhelyi, der als Orbán-alliierte, die Erweiterungspolitik der EU managen soll oder die kroatische Kommissarin für „Demokratie und Demografie“Dubravka Šuica, die sehr konservative Ansichten zu Frauenrechte vertritt. Ob die gesamte Fraktion der Sozialdemokraten den Anweisungen der Fraktionschefin folgen wird, wird sich heute zeigen. García Pérez wird Führungsschwäche nachgesagt. Ähnliches gilt für Dacian Ciolos, der rumänische Boss der „Renew“-fraktion. Das könnte auch in Zukunft ein Problem für von der Leyen und die Mehrheitsverhältnisse im Eu-parlament werden.
Die Grünen haben angekündigt, dass sie sich bei der Abstimmung enthalten werden. Ihnen geht es darum, „die Kommission nicht zu verhindern, aber abzuwarten, was diese konkret vorschlagen wird“, so Philippe Lamberts, der Fraktionschef der Grünen. Die linke Fraktion wird indes gegen von der Leyens Team stimmen, da sie die Kommissionspläne im Kampf gegen den Klimawandel und den Ungleichheiten als „sehr unzureichend“sehen. Die Linken schließen aber nicht aus, die Eu-kommission bei einigen Fragen zu unterstützen, wie etwa bei der Schaffung eines Eu-mindestlohns.