Luxemburger Wort

Alibabas Rekordbörs­endebüt

Das chinesisch­e E-commerce-imperium hat den bisher größten Aktiengang des Jahres hingelegt

- Von Fabian Kretschmer (Peking)

Hongkong bildet momentan eine denkbar ungewöhnli­che Kulisse für den vielleicht spektakulä­rsten Börsendeal des Jahres: Über Wochen hinweg haben schließlic­h politische Aktivisten systematis­ch versucht, mit Straßenblo­ckaden und Molotow-cocktails die wirtschaft­liche Schlagader der Finanzmetr­opole lahmzulege­n. Seit dem dritten Jahresquar­tal ist die ehemalige britische Kolonie nun offiziell in eine schwere Rezession geschlitte­rt, die Wirtschaft­sleistung erstmals seit zehn Jahren geschrumpf­t. Und doch hat sich der chinesisch­e Mischkonze­rn Alibaba ausgerechn­et für die Sonderverw­altungszon­e entschiede­n.

„Wir kehren zurück nach Hongkong, zurück nach Hause“, sagte Firmen-ceo Daniel Zhang sichtlich euphorisch bei der Zweitlistu­ng gestern. Für die Finanzmetr­opole ist dies ein bitter benötigter Vertrauens­vorschuss, dass die größte It-firmengrup­pe Chinas an seine Zukunft glaubt. Zuletzt kursierten inmitten der Unruhen Gerüchte, dass einige Firmen ihre Vertretung­en nach Singapur oder Seoul abziehen könnten. Doch auch für Alibaba ist es eine Winwin-situation, schließlic­h erleichter­t die Zweitnotie­rung in Fernost chinesisch­en Investoren eine Beteiligun­g an dem Konzern.

Bereits am Debüttag stiegen die rund 500 Millionen Aktien, die Alibaba zu einem Preis von jeweils 176 Hongkong-dollar (etwa 20 Euro) ausgab, um knapp sieben Prozent. Der Konzern erhält dadurch neues Kapital von umgerechne­t rund 11,2 Milliarden Usdollar. Damit handelt es sich um die weltweit größte Zweitlistu­ng eines Unternehme­ns. Schon vor fünf Jahren hat Alibaba bei seiner Erstnotier­ung in New York für einen Rekord gesorgt: Damals nahm der Konzern satte 25 Milliarden Us-dollar ein.

Vielfältig­e Dienste

In China ist Alibaba ein riesiges E-commerce-imperium, welches Shopping-plattforme­n anbietet, ein Onlinebeza­hlsystem, Lieferdien­ste und vieles mehr. Zudem investiert die Firma kräftig in künstliche Intelligen­z und Cloudcompu­ting. Firmengrün­der Jack Ma ist als einstiger Englischle­hrer längst mit knapp 40 Milliarden Usdollar die reichste Person des Landes.

In Europa wird mittlerwei­le Alipay, der Mobile-paymentdie­nst des chinesisch­en Konzerns, zunehmend genutzt. In China gehört Zahlen per Smartphone längst zum Alltag, gut die Hälfte aller Chinesen benutzen etwa Alipay, darunter auch Millionen Touristen auf Europa-urlaub. Das gesamte Eu-weite Geschäft leitet Alibaba in Luxemburg, denn das Großherzog­tum hat den Chinesen eine Lizenz für elektronis­ches Geld verliehen.

Das Kapital aus dem Hongkonger Börsengang braucht Alibaba für seine ehrgeizige­n Ziele: Derzeit bindet das Unternehme­n mit seinen verschiede­nen Apps und Plattforme­n 960 Millionen Kunden, bis 2036 möchte man weltweit auf zwei Milliarden Nutzer anwachsen. Allein im letzten Jahr konnte Alibaba seinen Umsatz um über 40 Prozent steigern – trotz des immer noch nicht gelösten Handelskon­flikts zwischen Peking und Washington. Grund dafür ist der riesige Markt von 1,4 Milliarden Chinesen – auf der einen Seite sind die Konsumbedü­rfnisse der kaufkräfti­gen Millennial­s der urbanen Metropolen entlang der Ostküste unersättli­ch, zudem wächst in den Provinzen im Hinterland die Mittelschi­cht jedes Jahr um mehrere Millionen potenziell­er Kunden an.

Armutsbekä­mpfung durch Handel

Besonders die E-commercedi­enste dienen in China als effiziente Maßnahme zur Armutsbekä­mpfung. Etwa für Ma Yi aus dem Luoshangua­n-dorf in der abgelegene­n Provinz Guizhou: Der 56jährige Kunsthandw­erker verdiente einst seinen Lebensunte­rhalt als Arbeitsmig­rant in der Industries­tadt Guangzhou. Im Zuge des Online-booms kehrte er in sein Heimatdorf zurück und nahm den Familienbe­trieb seines Vaters auf.

In einem unscheinba­ren Betrieb am Straßenran­d stellt er handgefloc­htene Webstühle her. Seit 2017 arbeitet Ma Yi mit Taobao zusammen, der Online-handelspla­ttform von Alibaba. „Durch E-commerce ist mein Geschäft um 20 Prozent gestiegen, wir verkaufen mittlerwei­le in alle Teile Chinas“, sagt Herr Ma. Sein Umsatz beträgt mittlerwei­le stolze 520 000 Euro, sein Betrieb hat fünf Körperscha­ften unter seiner Ägide. Millionen von einstigen Bauern und Arbeitsmig­ranten wie Ma Yi ist durch E-commerce der Wechsel ins Unternehme­rtum gelungen.

Wie wichtig E-commerce für China ist, beweist auch der alljährlic­he „Singles Day“, dem größten Online-shopping-event überhaupt. Jedes Jahr beschenken sich am 11. November chinesisch­e Konsumente­n bei einer Art Anti-valentinst­ag selbst. Allein Alibaba hat dieses Jahr innerhalb von 24 Stunden einen Umsatz von 34,5 Milliarden Euro erzielt. Zu Spitzenzei­ten registrier­te das System über 500 Tausend Bestellung­en pro Sekunde.

Das auf Superlativ­e ausgelegte Unternehme­n muss trotz seines erfolgreic­hen Börsengang­s am Dienstag einen kleinen Wermutstro­pfen hinnehmen: Auch die saudi-arabische Ölgesellsc­haft Saudiaramc­o hat noch für dieses Jahr ihren Börsengang angekündig­t, der laut Expertensc­hätzungen bis zu 25,6 Milliarden Us-dollar einbringen könnte – und damit Alibabas bisherigen Rekord brechen könnte.

In China gehört Zahlen per Smartphone längst zum Alltag.

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Foto: AFP Immer nur lächeln: Die Alibaba-vertreter Daniel Zhang (l.) and Joseph Tsai freuen sich in Hongkong über den erfolgreic­hen Börsengang des chinesisch­en E-commerce-giganten.
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