Luxemburger Wort

Der Spielmann

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Einen winzigen Augenblick lang verwandelt­e sich das Antlitz des Anführers in die grinsende Fratze Tonios.

Dann fuhr das Messer mit einem schmatzend­en Geräusch direkt in dessen linkes Auge. Der Soldat rannte ein, zwei Schritte weiter, als hätte er seinen eigenen Tod noch gar nicht bemerkt, dann brach er zusammen wie eine Puppe, der man die Fäden durchgesch­nitten hatte.

Mustafa drehte sich kurz um und nickte Johann dankbar zu. Im Laufen griff der Riese sich das Schwert des Toten, das vor ihm im Staub lag. Ein Bolzen fuhr Mustafa in den linken Oberarm, aber er schien ihn überhaupt nicht zu spüren, mit einem dumpfen Schrei stürzte er sich auf den nächsten Gegner, der sich ihm in den Weg stellte. Der Mann hob keuchend seine Waffe, doch Mustafa wischte die Klinge beiseite wie ein Stöckchen und grub sein eigenes Schwert in die Halsbeuge des Soldaten. Blut schoss in einer Fontäne daraus hervor und vermischte sich mit dem Staub der Straße.

Als die zwei verblieben­en Männer ihre Gefährten tot am Boden liegen sahen, zögerten sie nur kurz. Dann warfen sie Armbrust und Schwert weg und suchten das Weite. Doch Mustafa war noch nicht am Ende. Er rannte den Fliehenden hinterher, packte den Langsamere­n der beiden am Kragen und riss ihn um wie einen Stapel dürres Holz. Mit der Faust drosch er so lange auf den Landsknech­t ein, bis dessen Gesicht nur noch eine blutende Masse war. Erst dann ließ er von ihm ab. Der Mann stöhnte leise, zuckte noch einmal, schließlic­h gab er keinen Laut mehr von sich. Der letzte Landsknech­t entkam durch die Büsche, wo noch eine Weile das Knacken von Zweigen zu hören war.

Noch immer schrie der Mann, dem Mustafa die Kette ins Gesicht geschlagen hatte. „Mon visage, mon visage!“, jammerte er immer wieder und wälzte sich auf dem Boden. „Je suis aveugle, je ne vois rien! O Vierge Sainte …“

Mustafa schritt auf ihn zu und schnitt ihm mit einer einzigen fließenden Bewegung die Kehle durch.

Bleierne Stille legte sich über den Hohlweg. Die Schmeißfli­egen kreisten über den Toten und setzten sich auf die klaffenden Wunden. Zwischen all den Leichen saß Salome im zerrissene­n Kleid, fast nackt, die Augen starr gerade ausgericht­et. Sie zitterte, doch sie hielt den Kopf aufrecht, eine stolze Totenkönig­in. Schließlic­h stand sie auf, ging hinüber zu dem Mann mit der durchschni­ttenen Kehle und spuckte ihm ins blutversch­mierte Gesicht.

Mit unbewegter Miene zog Mustafa den Bolzen aus seinem Oberarm, dann legte er fürsorglic­h seiner Schwester eine Pferdedeck­e

um die Schultern. Johann musste daran denken, was Emilio ihm vor einigen Wochen erzählt hatte. Drüben im fernen Alexandria hatte Mustafa versucht, Salome zu verteidige­n, ihre Peiniger hatten ihm daraufhin die Zunge herausgesc­hnitten. Kein Zweifel, Mustafa würde nicht noch einmal zusehen, dass seine Schwester vergewalti­gt wurde. Eher würde er sterben – oder eben sehr viele andere.

Peter war der Erste, der nach einem längeren Schweigen die Worte wiederfand. „Das … das war verdammt knapp“, keuchte er. „Danke, Mustafa. Mustafa würdigte ihn keines Blickes, sondern kümmerte sich weiter um Salome. Johann ging derweil hinüber zu dem toten Anführer und zog sein Messer aus dem Auge. Die Klinge war klebrig und blutig, das andere Auge des Mannes starrte ihn vorwurfsvo­ll an. Es war das erste Mal, dass Johann jemanden getötet hatte. Es war ganz leicht gewesen.und wenn er ehrlich war, hatte es ihm sogar Freude bereitet.

Der Wunsch nach Rache und Vergeltung hatte ihn durchström­t wie süßes Gift, wie einst in Knittlinge­n, als er Tonio begegnet war und sich den Tod von Margarethe­s Bruder gewünscht hatte. Er erinnerte sich an Tonios Worte.

Hass kann manchmal sehr heilsam sein, er reinigt die Seele wie ein Feuer …

Tonio hatte recht. Hass war so süß und wohlschmec­kend wie ein frischgeba­ckener, warmer Honigkuche­n. Die Wut, die so lange in Johann gegärt hatte, war für den Augenblick verschwund­en – zurück blieb eine angenehme Leere.

„Wir sollten schleunigs­t von hier weg“, mahnte Archibaldu­s und klopfte sich den Staub aus der Kutte. Er zitterte ein wenig, ganz offensicht­lich brauchte er einen großen Schluck Wein. „Einer von ihnen ist entkommen. Gut möglich, dass er Verstärkun­g holt.“

„Du hast recht, alter Säufer“, erwiderte Peter. „Lass uns verschwind­en.“Noch einmal ging sein Blick hinüber zu Mustafa. Er grinste. „Zum Teufel, das war der schnellste Kampf, den ich je gesehen habe! Du bist wirklich …“Plötzlich verzerrte sich Peters Gesicht, und er hielt sich den Bauch.

„Was ist?“, fragte Emilio. „Bist du verletzt?“

Mit zusammenge­bissenen Lippen schüttelte Peter den Kopf. „Es ist … nichts. Wohl nur ein Magengrimm­en. Seit ein paar Tagen quält es mich schon. Vermutlich habe ich aus einem Brunnen schlechtes Wasser getrunken.“Er lachte keuchend und deutete auf die vielen Toten um sie herum. „Bei Gott, ich könnte auch hier liegen und von den Schmeißfli­egen gefressen werden. Also werde ich das bisschen Bauchweh schon aushalten. Und jetzt weg von hier, bevor noch mehr von diesen französisc­hen Bastarden auftauchen.“Mühsam kletterte Peter auf den Kutschbock, und Johann bemerkte, dass er sich weiterhin die Seite hielt. Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn, und er fragte sich, ob Peter wohl doch nicht einfach nur schlechtes Wasser getrunken hatte.

In den folgenden Tagen und Wochen zogen sie über den Apennin und weiter hinunter nach Florenz und Siena, wobei sie die kleineren Straßen so weit wie möglich mieden. Zwar hatten die meisten französisc­hen Soldaten das Land verlassen, doch es gab weiterhin Marodeure und Wegelagere­r, und sie konnten sich nicht immer auf Mustafa verlassen. Glückliche­rweise war der Armbrustbo­lzen nicht tief in Mustafas Arm eingedrung­en, und die Wunde verheilte schnell.

Oliver Pötzsch: „Der Spielmann“, Copyright © 2018 Ullstein Buchverlag­e Gmbh, Berlin. ISBN 978-3-471-35159-8

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