Rebellion gegen Erdogan
Davutoglu gründet neue Partei – Zerfallsprozess der türkischen Regierungspartei beschleunigt
Es kommt Bewegung in die politische Landschaft der Türkei. Seit Jahren wird die Bühne von Recep Tayyip Erdogan und seiner Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei AKP beherrscht. Jetzt tritt Ahmet Davutoglu aus der Kulisse, ein langjähriger enger Berater Erdogans und zwei Jahre lang Premierminister, bevor der Staatschef ihn 2016 zum Rücktritt zwang. Der 60-Jährige macht seinem einstigen Gönner mit einer eigenen Partei Konkurrenz. Damit beschleunigt sich der Zerfallsprozess der türkischen Regierungspartei.
Der Name der neuen Partei ist Programm: „Gelecek Partisi“heißt sie – Zukunftspartei. Sie werde „neues Leben in die türkische Politik bringen“, heißt es in Davutoglus Umgebung. Rund 150 Gründungsmitglieder hat Davutoglu um sich geschart. Die neue Partei wolle „in einer Ära der autoritären und populistischen Tendenzen ein Land aufbauen, in dem ehrenwerte Menschen erhobenen Hauptes leben können“, sagte Davutoglu gestern bei der Vorstellung der neuen Bewegung. Davutoglu will für die Meinungsfreiheit, die Stärkung der Zivilgesellschaft, freie Medien und eine unabhängige Justiz eintreten – ein klares Kontrastprogramm zum Kurs Erdogans, der kritische Stimmen mundtot macht, Medien gleichschaltet und die Justiz gängelt.
Der heute 60-jährige Politikprofessor war lange Erdogans Chefberater und danach Außenminister, bevor er nach Erdogans Wechsel ins Präsidentenamt 2014 Premierminister wurde. Aber schon zwei Jahre später kam es zum Zerwürfnis: Davutoglu musste gehen, weil er Erdogans Pläne für ein Präsidialsystem nicht mittragen wollte. Im September dieses Jahres trat er aus der AKP aus. Er warf der Partei vor, sie habe ihre Grundprinzipien verraten.
Davutoglu ist nicht der einzige Abtrünnige. Auch der Akp-mitbegründer und frühere Wirtschaftsminister
Ali Babacan hat sich von Erdogan losgesagt und plant eine neue Partei. Vergangenen Monat kritisierte Babacan Erdogans „Ein-mann-herrschaft“. Er sieht die Türkei „in einem dunklen Tunnel“.
„Verräter“Erdogan brandmarkt die beiden Dissidenten als „Verräter“, die „einen hohen Preis bezahlen“müssten. Er wirft Davutoglu finanzielle Unregelmäßigkeiten bei der von ihm mitgegründeten Eliteuniversität Sehir vor. Davutoglu kontert mit der Forderung, Erdogan und alle früheren Präsidenten sollten ihre Vermögensverhältnisse offenlegen – ein heikles Thema für den Staatschef, der im Laufe seiner 25-jährigen politischen Karriere
zu bemerkenswertem Reichtum gekommen sein soll.
Politische Analysten räumen zwar keiner der beiden neuen Parteien die Chance auf einen Wahlsieg ein. Vor allem der kleine, schnauzbärtige Davutoglu ist mit seinem eher professoralen Auftreten kein Publikumsmagnet, von dem man sich vorstellen kann, dass er auf der Wahlkampfbühne die Massen in seinen Bann zieht, wie es Erdogan versteht. Trotzdem werden die Rivalen für Erdogan zu einer ernsten Bedrohung, gerade weil sie getrennt marschieren. Während Davutoglu eher die konservative Kern-klientel der AKP anspricht, repräsentiert Babacan den liberalen, pro-europäischen und wirtschaftsfreundlichen Flügel. Die Wirtschaftspolitik galt früher als Trumpfkarte Erdogans. Aber steigende Arbeitslosenzahlen und eine schwache Konjunktur haben den Präsidenten in die Defensive gebracht. Bei den Kommunalwahlen im Frühjahr erlitt die Regierungspartei massive Verluste. Seitdem gärt es in der AKP.
Die beiden neuen Parteien könnten der AKP so viele Wähler abspenstig machen, dass sie bei der nächsten Wahl keine Mehrheit mehr im Parlament bekommt. Gefährlicher noch: Sollten Akp-abgeordnete jetzt in größerer Zahl zu Davutoglu und Babacan überlaufen, könnte die Regierung ihre Mehrheit im Parlament verlieren. Das würde Erdogan zu Neuwahlen zwingen. Dann wäre auch seine Zukunft als Staatschef in Gefahr.