Er muss wachsen, ich aber kleiner werden
„Freut euch im Herrn zu jeder Zeit!“– so das Motto dieses Sonntags. Doch der Auftakt des Evangeliums stimmt uns nicht gerade zur Freude. Johannes, dessen Aufgabe es war, dem Herrn den Weg zu bereiten und auf ihn hinzuweisen, sitzt im Kerker, weil er den Mut hatte, den König Herodes wegen des Ehebruchs mit der Frau seines Bruders scharf zurechtzuweisen (Mt14, 3ff.) Damit hatte er sein Leben verwirkt, und sein Sendungsauftrag wird so ein jähes Ende finden. Prophetenschicksal! Aus dieser furchtbaren Lage heraus stellt er an Jesus die Frage: „Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“
Es gibt viele Versuche, die beklemmende Anfrage des Täufers an Jesus zu erklären. Manche sehen das Motiv im unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Verkündigungsund Wirkungsstil der beiden. Einerseits der in Wort, Gestalt und Kleidung höchststrenge Bußprediger, der seine Zuhörer als Schlangenbrut anschimpft und die schonungslose
Säuberung der Tenne androht (vgl. Mt 3,7.12). Anderseits der barmherzige Samariter: Er ist den Menschen nahe, er beugt sich über die Bedrückten und richtet sie auf, er heilt die Kranken, er sucht die Verlorenen auf und sitzt mit Sündern zu Tisch, um sie auf den Weg des Heils zurückzuführen, ohne sie zu verurteilen.
Das mag auch mit der zur Zeit des Johannes weitverbreiteten Messiaserwartung zusammenhängen. Die zeitgenössischen Juden erwarteten einen Messiaskönig, der in Macht und Herrlichkeit auf den Wolken daherkommen und das Königreich Israel in Pracht und Glanz wieder herstellen sollte. Jesus aber kommt, wie es in einem alten Weihnachtslied heißt, „in Menschenhülle“. Gerade in seiner Menschlichkeit, seiner erbarmenden Nähe zu den Menschen lässt er „die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Retters“(Tit 3,4) aufleuchten. Das entspricht der Weissagung des Propheten Jesaja (61,1-4), die Jesus dem Täufer als Antwort übersendet. Der letzte der Propheten weiß, was damit gemeint ist.
Manche meinen, das Ansinnen des Täufers als Reflex der Eifersucht auf den Erfolg Jesu deuten zu können. Das ist mit Einschränkungen ein abwegiger Erklärungsversuch.
Johannes ist erfüllt von der Freude am Anbruch des endgültigen Gottesreiches, an der Erneuerung des Bundes. Die Freude des Vorläufers ist auch die adventliche Freude, zu der das Motto des heutigen Sonntags uns aufruft.
Die Mahnung nicht vergessen
Darüber dürfen wir aber die Mahnung des Johannes nicht überhören: „Er muss wachsen, ich aber geringer werden“. Denn auch heute treiben, wie Papst Franziskus unter dem Stichwort „Klerikalismus“stetig anmahnt, Rivalitätsdenken, ungezügelter Ehrgeiz und Machtstreben, Großspurigkeit, Überheblichkeit und Selbstgefälligkeit unter uns Christen, nicht zuletzt unter kirchlichen Amtsträgern, ihre Blüten. Vor allem aber gilt das Wort im Hinblick auf Christus, dessen ganze Existenz geprägt war durch die radikale Entäußerung, die der Philipperbrief (Phil 2,5-11) besingt. Wir müssen uns zurücknehmen. ER muss stetig in uns wachsen und in uns Gestalt annehmen, vornehmlich in diesen Tagen des Advents, da wir uns auf das Fest seiner Geburt vorbereiten. Denn, „wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren, und nicht in dir, du wärest doch verloren“. (Angelus Silesius).