„Ich bin nicht naiv“
Sportminister Dan Kersch spricht über Doping und seine Mitgliedschaft in der WADA
Dan Kersch tanzte bereits auf vielen Hochzeiten. Der 57-Jährige war bereits Präsident des Städte- und Gemeindesyndikats Syvicol, saß im Staatsrat, war Bürgermeister in Monnerich und wurde 2013 erstmals ins Parlament gewählt. Er machte sich als durchsetzungsfähiger Innenminister einen Namen. Mittlerweile ist der Escher, dem der lokale Handballclub ganz besonders am Herzen liegt, in der Regierung für die Bereiche Arbeit, Beschäftigung, Sozialund Solidarwirtschaft sowie für den Sport zuständig. Vom 1. Januar an gehört er dem Exekutivkomitee der Weltantidopingagentur (WADA) an. Eine Aufgabe, auf die er sich freut, wie er im Interview in der Chamber erzählt.
Dan Kersch, im Skandal um manipulierte Daten aus dem Moskauer Kontrolllabor hat die WADA eine Vierjahressperre gegen Russland verhängt. Das Exekutivkomitee folgte einstimmig einer Empfehlung der unabhängigen Prüfkommission. Ist das richtig so?
Es ist eine ausgewogene Entscheidung. Anhand der Fakten konnte es fast keinen anderen Entschluss geben. Was mich beunruhigte, war die Sorge, dass Leute bestraft werden, die eigentlich unschuldig sind und die nicht für das ganze Schlamassel verantwortlich sind. Dass es Manipulationen gab, ist unbestritten. Da stimmt mittlerweile wohl jeder klar denkende Mensch zu. Hätte es einen Komplettausschluss gegeben (russische Sportler, die nachweisen können, dass sie nicht vom Dopingskandal betroffen sind, dürfen nach einer Prüfung als „neutrale Athleten“bei Großevents starten, Anmerkung der Redaktion), dann wären auch die russischen Sportler bestraft worden, die sich seit Jahren an die Regeln halten, indem sie sich beispielsweise regelmäßig im Ausland testen lassen. Das wäre falsch gewesen. Harte Sanktionen waren notwendig. Es musste einfach gezeigt werden, dass Grenzen überschritten wurden. Unter dem Strich blieb der WADA keine andere Option, als Russland zu sperren. Ansonsten hätte sie wahrscheinlich jede Glaubwürdigkeit verloren.
Russisches Staatsdoping beherrscht die Schlagzeilen seit Jahren. Glauben Sie, dass sich seit den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro etwas an den Machenschaften geändert hat?
Als Außenstehender ist es schwierig, sich ein Bild von den internen Gepflogenheiten zu machen. Zumindest zeigen die aufgedeckten Fälle, wozu es führen kann, wenn die Politik sich zu sehr in den Sport einmischt. In Luxemburg gibt es eine klare Trennung zwischen Sport und Politik. Das ist ein unberührbares Prinzip. Es muss eine Gewaltentrennung geben, ansonsten sind Praktiken, wie vom Staat organisiertes Doping, die Tür geöffnet. Es gibt Nationen, die über den Sport versuchen, Prestige zu gewinnen und sich nach außen glamourös darzustellen, weil sie merken, dass sie auf politischem Terrain an Gewicht verlieren und ihr Image angekratzt ist, da sie sich nicht an internationale Regeln halten. Dass Russland jetzt im Fokus der Schlagzeilen steht, lenkt allerdings auch von den Praktiken in anderen Ländern ab.
Meinen Sie die USA?
Wenn ich höre, dass Travis Tygart, der Präsident der amerikanischen Antidopingbehörde, erklärt, alle russischen Sportler hätten gesperrt werden müssen, denke ich sofort an die vergangene Leichtathletik-wm und an den Sprinter Christian Coleman, der trotz drei verpasster Dopingkontrollen teilnehmen durfte. Die USADA täte besser, vor der eigenen Tür zu kehren, als Sanktionen gegen andere als nicht ausreichend zu betiteln.
Was fällt Ihnen dazu ein, dass Vladimir Putin die Sanktionen als „politisch motiviert“darstellt?
Solche Aussagen sollte man nicht ernst nehmen. Wenn sich die Russen nun von der Täter- in die Opferolle begeben wollen, ist das wenig glaubwürdig. Ich will hervorheben, dass es auch im russischen Sport Menschen gibt, die die Probleme an der Wurzel bekämpfen wollen. Dafür benötigt es eine Menge Mut. Yuri Ganus, Chef der russischen Antidopingbehörde, ist einer dieser Leute.
Wie groß ist die Gefahr einer Einflussnahme der Politik im Sport?
In meinen Augen lauern zwei Gefahren, die den Sport in Zukunft ernsthaft gefährden können: das Geld, beziehungsweise die vollkommen ausufernde Kommerzialisierung auf der einen Seite und die Intervention der Politik. Zum einen sind die Summen, die mittlerweile im Sport zirkulieren, nicht mehr vermittelbar. zum anderen ist es kein Zufall, dass die Dopingproblematik in den Ländern, in denen pseudodemokratische Kräfte an den Hebeln der Macht sitzen, ganz besonders ausgeprägt ist.
Sind diese Entwicklungen zu bremsen oder umzukehren?
Das glaube ich nicht. Sport ist das Opfer der internationalen Situation. Deshalb ist es auch ein Trugschluss zu glauben, der Sport könne sich selbst reinigen. Solange kommerzielle Interessen, in dem Ausmaß wie es derzeit üblich ist, und nationale beziehungsweise nationalistische Motive in den Sport Einzug erhalten, wird es fast unmöglich sein, vollkommen saubere Wettbewerbe zu sehen. Das soll aber nicht heißen, dass wir nicht alles unternehmen müssen, die gültigen Regeln so zu gestalten, dass es immer schwieriger wird, diese zu brechen.
Wie kommt man als Luxemburger Sportminister zur WADA?
Ich bin ganz ehrlich: Es war nie meine Absicht, Mitglied des Exekutivkomitees zu werden. Ich wurde von einem Mitglied in der ständigen Vertretung Luxemburgs bei der Europäischen Union darauf angesprochen, dass eine Wahl anstehen würde, die praktisch bereits entschieden sei. Das hat mich gestört: Wahlen, die eigentlich keine sind, sind nicht mein Ding. Das hat mich angespornt. Hinzu kommt die Tatsache, dass Sport eine echte Leidenschaft von mir ist. Sport muss unter einheitlichen Wettbewerbsbedingungen ausgeübt werden. Wenn die Voraussetzungen nicht für jeden gleich sind, verliert der Sport seinen Anreiz. Er macht dann nur noch wenig Sinn. Das darf nicht sein. Als früherer Sportler (Kersch spielte 30 Jahre lang Handball in Esch, Anmerkung der Redaktion) habe ich den persönlichen Anreiz, mich gegen jegliche Formen des Mogelns einzusetzen. Mich störte das sportpolitische Geschacher auch. Ich wollte versuchen, „den Hond tëschent de Keelen“zu sein, der alles über den Haufen wirft.
Sie waren vor einigen Wochen als Beobachter bei der Weltantidopingkonferenz. Haben Sie dort den neuen Präsidenten Witold Banka (vom 1. Januar an) kennengelernt?
Ja, es gab auch ein kurzes Vieraugen-gespräch. Ich bin nicht unbedingt mit all seinen Konzepten einverstanden, dennoch ist er als Ex-sportler ehrlich daran interessiert, dass die ganze Antidoping-bewegung einen Schritt nach vorne macht. Er stammt aus Polen, einem Land, das nicht die besten Verbindungen zu Russland unterhält. Da kann es schwierig sein, die viel zitierte Neutralität an den Tag zu legen. Ich will ihm aber auf keinen Fall etwas unterstellen. Ich will nur sagen, dass er, genau wie alle anderen Wadamitglieder, unter einem gewissen Druck von außen steht.
Wurden Sie vor Antritt ihres Mandats in Sachen Russlandaffäre kontaktiert?
Es gab eine konkrete Initiative. Es wurde versucht, mich mit dem Präsidenten des russischen Olympischen Komitees (Stanislav Podznyakov, ein ehemaliger Weltklassefechter, Anmerkung der Redaktion) in Kontakt zu bringen, als er zu Besuch in Luxemburg war. Er ist auch Präsident des russischen Fechtverbands. Ich habe das abgelehnt. Vor solch einer wichtigen Entscheidung, wie der der Vierjahressperre, war dies einfach nicht opportun. Ich hätte gerne mit dem Mann über das Fechten geredet, befürchtete aber, dass das Gespräch schnell in eine andere Richtung abgedriftet wäre.
Banka hat eine Reihe von Ideen lanciert. Was muss konkret im Antidopingkampf passieren?
Den Ländern, die nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügen, muss unter die Arme gegriffen werden. Das hat sowohl etwas mit sportlicher als auch mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Jedes Land muss über die richtigen Strukturen verfügen, um kontrollieren und notfalls sanktionieren zu können. Deshalb finde ich die Einrichtung eines Solidaritätsfonds richtig.
Sollen Sponsoren aus der Privatwirtschaft in diesen Topf einzahlen können?
Diesen Aspekt sehe ich kritischer. Ich verstehe die Beweggründe.
Banka weiß, dass es ohne solche Geldgeber schwierig wird, die nötigen finanziellen Mittel für einen rigorosen Antidopingkampf aufzutreiben. Es besteht die Gefahr eines Interessenkonflikts. Falls man das so macht, muss es ganz klare Regularien geben. Ansonsten läuft es nach dem Prinzip: „Wer den Spielmann bezahlt, bestimmt auch, welche Musik er spielt.“Das darf nicht so sein.
Mich interessiert weder die Fahne noch das Trikot, das ein Sportler trägt. Mich interessiert die Leistung.
Die WADA verfügt über ein Jahresbudget von rund 35 Millionen Euro. Das ist recht wenig ...
Die Rechnung kann nicht aufgehen. Es gibt Radsportteams, die mehr Geld zur Verfügung haben. Ich finde es einfallslos vom Iocpräsidenten (Thomas Bach), an
Land sich plötzlich dazu auserkoren fühlt, Polizist der gesamten Welt zu sein. Das ist im Bereich der Dopingbekämpfung die Aufgabe der WADA. Damit sie diese erfüllen kann, benötigt sie jedoch die nötigen Mittel.
Werden insgesamt genug Kontrollen vorgenommen?
Nein, mit Sicherheit nicht. Ich bin mir sicher, dass weltweit nach wie vor gedopt wird und nie alle Betrüger gefunden werden. Ich bin allerdings auch der Auffassung, dass im Namen des sauberen Sports nicht plötzlich alles erlaubt sein sollte. Sportler müssen bereits viele Einschränkungen in Kauf nehmen.
Wie stehen Sie zu Sportlern, die einmal gedopt haben. Dürfen oder sollen diese eine zweite Chance bekommen?
Prinzipiell bin ich ein Verfechter der Theorie, dass jemand, der einmal betrogen hat, im Sport nichts mehr zu suchen hat. Ich weiß aber, dass es Grenzfälle gibt, in denen die Schuld eines
Wenn sich die Russen nun vom Täter in die Opferrolle begeben wollen, ist das wenig glaubwürdig.
Sportlers nicht definitiv bewiesen werden kann. Jeder hat eine zweite Chance verdient. Nach dem zweiten Vergehen müssten die Strafen allerdings allgemein drakonischer sein – auch auf finanzieller Ebene.
Ist es für Sie kein Problem, dass nicht mehr Profis oder Ex-sportler als Whistleblower oder Kronzeugen an die Öffentlichkeit treten?
Ich weiß nicht, ob diese Zahl tatsächlich so niedrig ist. Ich kann ihnen sagen, dass ich zu meiner Zeit als Handballspieler einen Betrüger denunziert hätte. Leute, die sich auf Kosten anderer bereichern oder das System missbrauchen, kann ich seit jeher nicht ausstehen.
Können Sie sich noch ganz unbeschwert Sportevents ansehen, im Wissen, dass nicht alle Sportler sauber sind? Nimmt das nicht viel vom Zauber und der Faszination?
Nein, ich schaue mir beispielsweise weiterhin mit Begeisterung die Tour de France an, obschon deren Dopingvergangenheit bedenklich ist. Es macht mir weiterhin sehr viel Spaß, weil das Rennen unabhängig vom Doping weiterhin faszinierend ist. Mich beeindruckt der Spitzensport unglaublich – trotz Kommerz, Doping und politischer Einmischung. Ich dachte stets, dass sich die Fans vom Fußball abwenden würden, wenn ein Spieler einmal 100 Millionen Euro verdienen würde. Die Gegenwart straft mich Lügen. Die Gesellschaft regt sich über das Gehalt eines Professors auf, hat aber kein Problem damit, wenn ein Fußballer das Hundertfache verdient. Das finde ich erstaunlich. Die Leute laufen den Stars gar hinterher und zahlen bereitwillig Eintrittsgelder.