Bahnfahren wird zur Lotterie
Auch zu Weihnachten ist vor allem der Großraum Paris von Streiks betroffen
Wer in diesen Tagen in Frankreich seine Mails und SMS checkt, tut das nicht, um Weihnachtsgrüße zu lesen. Wichtig ist vielmehr die Post von der SNCF, die mitteilt, ob der Zug über die Feiertage fährt oder wegen des Streiks gestrichen wurde.
Wenige Tage vor dem Reisetermin verschickt die Staatsbahn in der Regel ihre Informationen, die über ein gelungenes Fest entscheiden können. Eine Art Weihnachtslotterie für die Passagiere.
Unter dem Strich sind es nicht wenige glückliche Gewinner: Die Hälfte der 850 000 Passagiere, die für das letzte Adventswochenende einen Zug gebucht hatten, konnten ihn auch nutzen. Etwa 15 Prozent bekamen andere Verbindungen vorgeschlagen und der Rest musste entweder selbst umbuchen oder sich das Ticket erstatten lassen.
Seit fast drei Wochen dauert der Streik gegen die Rentenreform schon und ein Ende ist nicht absehbar. Die Gewerkschaften der Eisenbahner lehnten fast einstimmig eine Pause während der Feiertage ab. Zu groß ist die Sorge, dass die Bewegung hinterher an Fahrt verliert. Schon jetzt ist die Zustimmung zum Streik von 56 auf 51 Prozent gesunken. Ein Ausstand, der ihnen das Fest verdirbt, ist vielen der streikerprobten Franzosen dann doch zu viel.
Der Bus als Streikgewinner
Am letzten Wochenende vor Weihnachten war einer von zwei TGV, einer von vier Intercitys und einer von drei Regionalzügen TER unterwegs. Etwas besser sah es auf den Verbindungen ins Ausland aus: Zwischen Paris und Stuttgart wurde beispielsweise nur jeder vierte Zug gestrichen. Die anderen waren allerdings ausverkauft, sodass alle, die wegen des Streiks umbuchen mussten, das Nachsehen hatten.
Gefragte Alternativen der Bahn sind Mitfahrgelegenheiten wie Blablacar oder Flixbus. Der Marktführer in Frankreich wirbt ganz offensiv damit, wegen des Streiks doch seine giftgrünen Reisebusse zu nutzen. Das deutsche Unternehmen gehört schon jetzt zu den Gewinnern des Arbeitskampfes: 700 000 Passagiere transportierte es in zwei Streikwochen gegenüber 200 000 sonst in derselben Zeit. Die Preise gingen wegen der hohen Nachfrage allerdings kräftig nach oben: Die Strecke Parisstraßburg, die sonst für 20 Euro zu haben war, kostet derzeit knapp 80 Euro.
Franzosen, die über die Feiertage geplant hatten, nach Paris zu fahren, verzichten lieber auf ihren Ausflug in die Hauptstadt. Denn die beliebten Weihnachtsspektakel werden oft abgesagt und in den Museen herrschen verkürzte Öffnungszeiten. Lediglich Asiaten und Amerikaner, die ihre Reise schon lange vorher gebucht hatten, erhalten ihren Trip aufrecht. In Paris erwartet sie allerdings ein Verkehrschaos, denn auch bei den Verkehrsbetrieben RATP wird gestreikt. Am Sonntag fuhren nur die beiden automatischen Linien 1 und 14 durch die Hauptstadt. Auch die Vorortbahnen RER, die beispielsweise das Schloss Versailles oder den Flughafen Charles de Gaulle anfahren, waren weitgehend unterbrochen. Tausende Pariser stiegen deshalb auf Elektro-tretroller oder Fahrräder um, die mittlerweile die Radwege verstopfen. Für alle unfreiwilligen Fußgänger veröffentlichte die Zeitung „Le Parisien“am Freitag eine bunte Karte mit den Zeiten, die nötig sind, um von einem Punkt der Stadt zum anderen zu kommen.
30 Prozent weniger Kunden
Die zwölf Millionen Einwohner des Großraums Paris bewegen sich derzeit vor allem zwischen ihrem Arbeitsplatz und zu Hause hin und her. Die Weihnachtseinkäufe erledigen sie dieses Jahr vor allem im Internet, sodass der Einzelhandel leidet, dem im vergangenen Jahr schon die Proteste der „Gelbwesten“zu schaffen machten. Laut Pariser Handelskammer verzeichneten die Läden der Innenstadt 30 Prozent weniger Kunden als im vergangenen Jahr.
Ähnlich düster sieht es bei den Hotels aus, die über Stornierungen wegen des Streiks klagen. Auch die Restaurants sind weniger besucht als sonst zum Jahresende. Gutes Essen scheint in Streikzeiten eher Nebensache zu sein.