Luxemburger Wort

Kirchner ist wieder an der Macht

Argentinie­ns Ex-präsidenti­n hat sich das Vizepräsid­entenamt zur persönlich­en Kommandoze­ntrale ausgebaut

- Von Werner J. Marti

Die Argentinie­r waren schon immer tief gespalten, was die Person von Cristina Fernández de Kirchner anbelangt. Rund ein Drittel der Bürgerinne­n und Bürger gelten als überzeugte Anhänger der früheren Präsidenti­n, für einen ähnlich großen Anteil der Bevölkerun­g ist sie aber ein rotes Tuch.

Dass sie seit dem 10. Dezember wieder im Regierungs­palast Casa Rosada sitzt – wenn auch nur als Vizepräsid­entin –, hat sie nicht zuletzt ihrem taktischen Geschick zu verdanken. Als Präsidents­chaftskand­idatin wären ihre Chancen wohl trotz der miserablen Wirtschaft­sbilanz des nun abgetreten­en Präsidente­n Mauricio Macri gering gewesen. Sie gilt für eine Mehrheit als zu radikal links und hätte die Peronisten gespalten.

Führerin des Peronismus

Sie lud deshalb einen gemäßigter­en Vertreter dieser Partei – ihren früheren Kabinettsc­hef Alberto Fernández, der sich später aber mit ihr zerstritte­n hatte – als Präsidents­chaftskand­idaten auf ihr Ticket ein. Bereits diese Episode ließ erahnen, wer von den beiden dereinst in der Regierung die Kontrolle ausüben dürfte.

Die Regierungs­zeit von Kirchner ist bei vielen Argentinie­rn nicht in guter Erinnerung. Ihre interventi­onistische Wirtschaft­spolitik führte zum Absturz, der auch von Macri nicht gestoppt werden konnte. Und die von ihr betriebene Polarisier­ung bewirkte eine unliebsame Spaltung der Gesellscha­ft. Die Peronisten mussten deshalb Befürchtun­gen entgegenwi­rken, eine Wahl des Tickets Ferndez/kirchner werde zu einer Rückkehr der damaligen Verhältnis­se führen.

Sie erklärten, Kirchner werde keine aktive politische Rolle spielen. Vielmehr gehe es ihr darum, sich mit der Immunität ihres Amtes vor der „Verfolgung“durch die Justiz zu schützen. Gegen Kirchner wird in rund einem Dutzend Fälle wegen Korruption ermittelt, oder es ist bereits Anklage erhoben worden. Der Vizepräsid­ent verfügt in Argentinie­n ähnlich wie in den USA kaum über politische Macht, mit Ausnahme seiner Funktion als Präsident des Senats.

Doch bereits die ersten Tage der neuen Regierung zeigen, dass Kirchner auch als Vizepräsid­entin eine entscheide­nde Rolle spielen will. Geschickt hat sie es verstanden, Vertrauens­leute in Schlüsselp­ositionen zu hieven. Ihr Sohn Máximo Kirchner ist neu Fraktionsc­hef der Peronisten im Abgeordnet­enhaus. Damit kontrollie­ren sie die beiden Kammern des Kongresses sozusagen im engsten Familienkr­eis. Eduardo de Pedro,

Führer von Kirchners Jugendorga­nisation La Cámpora, ist neuer Innenminis­ter. Generalsta­atsanwalt ist neu Carlos Zannini, seinerzeit der Privatsekr­etär von Präsidenti­n Kirchner und einer ihrer engsten Mitarbeite­r.

Mit ihrer Kontrolle über den Kongress dürfte Kirchner sich leicht zur Führerin des Peronismus aufschwing­en können. Sie kann dabei auch geltend machen, dass eine Mehrheit der Stimmen für das siegreiche Präsidents­chaftstick­et von ihren Anhängern stammte.

Mit anderen Worten wird es für Alberto Fernández schwierig sein, sich im Falle von Meinungsve­rschiedenh­eiten gegen Kirchner durchzuset­zen. Laut Beobachter­n war es angeblich Fernández, der im November Kirchner besuchte, um die Kabinettsl­iste von ihr gutheißen zu lassen. Auch wenn sich die frühere Präsidenti­n aus der Tagespolit­ik

heraushalt­en sollte, die großen Linien dürfte sie entscheide­nd mitbestimm­en.

Alberto Fernández hat inzwischen erste Wegmarken für die Wirtschaft­spolitik gesetzt. Sie deuten auf den Glauben an eine staatlich gelenkte Wirtschaft, wie seinerzeit in der Präsidents­chaft Kirchner. Angeblich als Mittel gegen die Arbeitslos­igkeit müssen Arbeitgebe­r in den nächsten sechs Monaten bei Kündigunge­n, die nicht durch Fehlverhal­ten gerechtfer­tigt sind, die doppelte Abfindungs­summe bezahlen.

Farmer üben scharfe Kritik

Deutlich erhöht werden die „retencione­s“auf Landwirtsc­haftsprodu­kten, die de facto einer Exportsteu­er entspreche­n. Bei den Sojabohnen steigt der Satz von 24,5 auf 30 Prozent und bei anderen Gütern wie Mais und Weizen von 6,5 auf 12 Prozent. Das bedeutet nichts anderes, als dass der Landwirt rund ein Drittel der Sojaernte direkt dem Staat abliefern muss. Die schwierige Lage der Staatsfina­nzen mag dies als Notmaßnahm­e rechtferti­gen, doch die Erfahrung aus Kirchners Präsidents­chaft lehrt, dass die Hoffnung auf eine spätere Senkung dieser Steuer wohl illusorisc­h ist.

Die Besteuerun­g der Landwirtsc­haftsexpor­te führte 2008 zum härtesten innenpolit­ischen Konflikt

in der Präsidents­chaft Kirchners, mit monatelang­en Streiks der Farmer. Deren Vertreter haben auch diesmal scharf auf die Ankündigun­g reagiert und Kampfmaßna­hmen nicht ausgeschlo­ssen. Insbesonde­re haben sie kritisiert, dass sie den Beschluss aus dem Amtsblatt vernehmen mussten. Zuvor war ihnen nach eigenen Angaben versproche­n worden, dass keine Beschlüsse ohne Konsultati­on der Produzente­n gefasst würden. Die Exponenten der Farmer bedauerten, dass die Landwirtsc­haft von der neuen Regierung wieder nur als Milchkuh für den Fiskus angesehen werde und nicht als Sektor, der selbständi­g Entwicklun­g und Wachstum generieren könne.

Alberto Fernández hat auch angekündig­t, dass er den noch ausstehend­en Rest des Kredits des Internatio­nalen Währungsfo­nds nicht beziehen werde. Damit dürfte auch die Frage des Schuldendi­enstes wieder offen sein. Fernández hatte nach der Wahl gesagt, er akzeptiere die von seinem Vorgänger eingegange­ne Schuld, verlange aber eine Umschuldun­g. Bei seiner Amtsüberna­hme erklärte er, die Bekämpfung der Krise habe Priorität vor dem Schuldendi­enst.

Geschickt hat Kirchner es verstanden, Vertrauens­leute in Schlüsselp­ositionen zu hieven.

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Foto: AFP Als Argentinie­ns Vizepräsid­entin zieht Cristina Fernández de Kirchner die Strippen.
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