„Erkennen, was wahrhaftig ist“
Dimitrios Pandermalis, Leiter des Neuen Akropolis Museums, über kühlen Marmor und hitzige Diskussionen mit den Briten
Eigentlich besteht sein Job darin, Dinge aus der weiten Vergangenheit ans Tageslicht zu bringen und sie für die ferne Zukunft zu bewahren, doch auch als Bauherr erwies sich der Archäologe Dimitrios Pandermalis überaus effizient: Unter seinem Vorsitz entstand das vom Schweizer Architekten Bernard Tschumi entworfene Neue Akropolis Museum in Athen, das vor zehn Jahren eröffnet wurde. Ein Gespräch über kühlen Marmor, hitzige Diskussionen mit den Briten und die Zukunft des Museums im digitalen Zeitalter.
Dimitrios Pandermalis, Ihre Landsfrau, die Schauspielerin und spätere Kulturministerin Melina Mercouri bezeichnete es als „Vandalismus“und „Barbarei“: die Akropolis-skulpturen, die der britische Diplomat Thomas Bruce, 7. Earl of Elgin, 1801 von Athen nach London brachte ...
Für mich ist der entscheidende Aspekt, wie diese Teile damals von ihrem ursprünglichen Standort, also dem Gebäude, an dem sie angebracht waren, entfernt wurden. Und zwar nicht auf eine feine Art und Weise: Riesige Sägen wurden eingesetzt, um den hinteren Teil der Skulpturen zu entfernen, weil sie ansonsten zu schwer zum Abtransport gewesen wären. In der Tat haben wir heute diese außergewöhnliche Situation, dass in London Skulpturen ohne Haupt ausgestellt sind, deren Kopf bei uns in Athen ist, beispielsweise die Brust der großen Poseidon-darstellung ist in Athen, während sein Torso in London weilt. Es war also eine regelrecht grausame Art, diese Marmorstücke so fortzuschaffen. Zudem gab es keinerlei gesetzliche Erlaubnis hierfür.
Das haben kürzlich Recherchen in den Archiven des osmanischen Reiches bestätigt, wenngleich die Briten ihn gerne regelmäßig bemühen ...
Richtig, wir haben mit türkischen Kollegen zusammengearbeitet, die die Archive durchforstet und keinen legalen Erlass gefunden haben. Damals war es überaus kompliziert und langwierig, solch eine Erlaubnis des osmanischen Sultans, einen sogenannten Ferman, einzuholen.
Sie sprachen zuvor die geradezu brutale Art und Weise an, wie diese Skulpturen förmlich zerstückelt wurden. Verwenden Sie deshalb heute auch lieber den Begriff „Wiedervereinigung“als den der „Wiedergabe“?
Genau, es ist die Wiedervereinigung von Skulpturen, die menschliche Figuren und Tiere des Parthenon-frieses zeigen und die von einem Standpunkt der Ethik und Kulturgeschichte natürlich ein sehr schwieriges Thema für alle Beteiligten darstellen.
Derartige Streitereien um Besitzansprüche kennt man ja oft aus einem ehemals kolonial gefärbten Kontext; zwischen zwei „gleichberechtigten“Nationen, ergo Griechenland und Großbritannien, sind sie doch eher selten ...
Dies ist ein anderer Aspekt des Problems. Ich für meinen Teil betrachte dies unabhängig davon, denn für mich persönlich ist das Wichtigste die Zusammenführung dessen, was auseinandergerissen wurde, und so in gewisser Weise die Wiedergeburt dieser einzigartigen Skulpturen herbeizuführen. Aber sie haben Recht, es gibt zahlreiche solcher Fälle: In China beispielsweise ließ James Bruce, der Sohn des 7. Earl of Elgins, aus dem Sommerpalast des Kaisers in Peking über eine Million Objekte mitgehen, bevor er 1860 das Gebäude in Brand stecken ließ. Dass sich bedauernswerterweise selbst gebildete Menschen manchmal leider nicht moralisch benehmen, ist eine traurige Realität, die wir leider akzeptieren müssen ...
Der Kulturschatz der Akropolis geht aber doch nicht nur Griechen und Briten etwas an – er ist Welterbe der Menschheit. Provokativ nachgehakt: Ist es dann eigentlich nicht letztlich egal, wo seine Skulpturen ausgestellt sind?
Ja, doch der Kontext der Skulpturen liegt jedoch in Athen, wo gleich gegenüber dem Museum die Akropolis steht – und von dort auch gut sichtbar ist. Dem Besucher erschließt sich so beim Gang durch das Museum gleichzeitig ebenfalls der Zusammenhang der Kunstwerke mit dem Bau, für den sie gefertigt wurden. Aus meiner Sicht als Historiker ist dies natürlich ein endscheidendes Argument für Athen.
Sieht man sich das Akropolis Museum an, kann man zumindest die Begründung, dass vor Ort keine adäquaten Strukturen für die Skulpturen bestehen, definitiv nicht gelten lassen ...
Ja, wir haben zudem alles darangesetzt, eine visuelle Verbindung mit der Akropolis zu schaffen. Und wir präsentieren die Skulpturen mit Tageslicht, genau so wie sie auch in der Antike gesehen wurden, um dem Besucher so ein ähnliches Erleben der Werke zu ermöglichen.
Weder Ihre Ausbildung noch Ihre Arbeit haben Sie dazu prädestiniert, dem Bau des Neuen Akropolis Museums vorzustehen ...
Ich hatte bereits eine gewisse Erfahrung auf dem Gebiet durch die Ausgrabungen in Dion, am
Fuß des Berges Olymp, wo ich ebenfalls für die Errichtung des dortigen Museums und die Umwandlung der Ausgrabungsstätte in einen archäologischen Park verantwortlich war. Natürlich war das Projekt in Athen aber viel komplizierter.
In welcher Hinsicht?
Es gab eine große Kontroverse in Griechenland bezüglich dieses Neuen Akropolis Museums – und zwar was seine Architektur und seinen Standort anbelangt. Erschwerend kam hinzu, dass es an einem Platz errichtet wurde, unter dem sich archäologische Überreste befanden, eine bis da recht außergewöhnliche Situation im Land. Ich musste also erst die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass der Bau des Museums ebenfalls der beste Schutz und zugleich die beste Aufwertung für diese Funde war. Die Vorstellung, eine Ausgrabungsstätte einfach der Zeit – und Witterung – zu überlassen, ist nicht nur eine romantische, sondern eine geradezu kriminelle: Man darf solche Spuren der Vergangenheit nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Heute haben wir im Museum u. a. durch einen Glasboden nicht nur einen Panoramablick über diese Ausgrabungen, sondern können auch genau ihre einzelnen Schichten betrachten. Der Besucher kann so in gewisser Weise den Moment der Entdeckung nacherleben. Zudem planen wir gerade ein zusätzliches Museum, das die Funde dieser Ausgrabungen zeigen wird – und ich hoffe, dass wir dies bald umsetzen können. Diese Komplementarität macht den Besuch nämlich zu einem ganz besonderen Erlebnis.
Wieso fällt die Begegnung zwischen Vergangenheit und Gegenwart dann eigentlich immer so kompliziert aus?
Ich glaube, es ist immer eine große Herausforderung, Dinge zusammenzubringen, sie zu kombinieren. Ich selbst hatte auch Zweifel, ob die neuen Säulen nicht die alten Überreste stören würden. Wenn ich mir heute das Zusammenspiel von moderner Architektur und antiken Überbleibseln ansehe, finde ich, dass sie sehr gut harmonieren. Der Bau wirft buchstäblich ein ganz neues Licht auf die Ausgrabungen: Sie ist das erste, das die Besucher im Museum sehen; sie vermittelt ihnen das Gefühl des Ortes.
Wie verlief die Zusammenarbeit mit dem Architekten Bernard Tschumi?
Nun vor der Ausschreibung habe ich mich über ähnlich große Projekte von Stararchitekten informiert – und herausgefunden, dass bei Meinungsverschiedenheiten meist der Architekt daraus als „Sieger“hervorging ... In unserem Fall haben wir jedoch glücklicherweise ein Gleichgewicht gefunden und die Zusammenarbeit verlief sehr gut. Ich reiste einmal monatlich nach New York zu ihm ins Büro, um über den Fortgang des Projekts zu beraten – und brachte ihm Modelle antiker Gebäude mit, sozusagen als Inspirationsquelle. Er hat deren Essenz mit großem Erfolg eingefangen – beispielsweise mit den Kolonnen in der großen Halle, die die Skulpturen aus dem 6. Jahrhundert v. Ch. beherbergt. Säulen waren für die Architekten der Antike wesentlich; Tschumi präsentiert nun die Skulpturen in gewisser Weise genau so wie seine antiken Vorgänger.
Der Bau des Museums dauerte von 2000 bis 2009. Welche besonderen Herausforderungen stellte diese neun Jahre lange „Schwangerschaft“?
Die größte Herausforderung ging dem Bau voraus, denn sie lag darin, die Öffentlichkeit von der Bedeutung dieses Gebäudes zu überzeugen, was uns über einhundert Mal vor die Gerichte brachte, vom kleinsten bis zum höchsten. Man wünschte sich ein klassizistisches Gebäude, während wir ein modernes wollten, um genau diesen Unterschied zwischen unserer Zeit und der Vergangenheit zu zeigen. Der Bau war mit neun Jahren im Vergleich zu den zwei Jahrzehnte langen Diskussionen und Streitereien vorweg eigentlich recht kurz. Sie dürfen nicht vergessen, dass es sich bei diesem
Bau bereits um die vierte Ausschreibung handelte. Und die Arbeiten fielen letztlich recht zügig aus für ein immerhin 25 000 Quadratmeter großes Gebäude, bei dem es zudem ständig galt, antike Überreste vor Ort zu schützen.
Die Herausforderungen waren eher technischer Natur und somit – mit der notwendigen Zeit – auch gut zu meistern.
Wenn ich mir das Zusammenspiel von moderner Architektur und antiken Überbleibseln ansehe, finde ich, dass sie sehr gut harmonieren.
Wie gestaltete sich der Umzug der Sammlung ins Museum?
Das Gebäude war bereits 2008 fertiggestellt und wir haben uns sofort an die Aufstellung der Exponate gemacht. Es waren drei riesengroße Kräne notwendig, um die Stücke aus dem alten in das neue Museum zu bringen. Dies dauerte sechs, von Angst begleitete Monate lang: Schließlich handelte es sich hierbei um unschätzbare Kunstwerke. Wir haben auch später an der Darstellung so manches geändert – und dies stets vor dem Publikum gemacht, um ihm so ebenfalls Einblicke in diesen anderen Aspekt der musealen Arbeit zu geben. Durch die Bombardierung der Akropolis durch Francesco Morosini 1687 haben wir viele Fragmente – und auch heute noch finden Stücke zueinander, was natürlich für uns ein ganz besonderes Glückserlebnis ist.
Was fühlte Dimitrios Pantermalis dann beim letzten Rundgang durch „sein“Museum vor dessen offizieller Eröffnung?
Es war ein starkes Gefühl, doch ich habe versucht, diese Emotionalität unter Kontrolle zu halten, denn sie ist gefährlich. Natürlich war ich glücklich, doch habe ich zugleich auch das Gewicht meiner Verantwortung für all diese Stücke gespürt, schließlich ist das Thema Erdbeben in Griechenland ebenfalls an der Tagesordnung. Das Museum verfügt zwar über eine entsprechende Absicherung, aber auch hier galt es, schwierige Entscheidungen zu treffen, denn diese Dispositive waren meist nicht mit ästhetischen Kriterien vereinbar ...
Nun reicht es heutzutage beileibe nicht mehr, ein schönes Museum mit einzigartigen Exponaten zu haben: Man muss auch noch Besucher dorthin locken. Wie tut Ihr Haus das konkret?
Man muss dem Besucher einfach die Möglichkeit bieten, mehr
Neun Jahre dauerte der Bau des Neuen Akropolis Museums (o.), den der Professor Emeritus Dimitrios Pandermalis (l.) leitete. Bislang besuchten 14,5 Millionen Menschen das Kulturhaus am Fuße des Burgbergs von Athen (r.), das vom Schweizer Architekten Bernard Tschumi entworfen und am 20. Juni 2009 eröffnet wurde. zu sehen. Natürlich haben wir nur die Stücke, die wir haben, aber wir können ermöglichen, stets neue Aspekte davon zu entdecken. Ich merke es an mir selbst, wenn ich plötzlich ein Detail oder einen Aspekt entdecke, die mir, auch nach all den Jahren Beschäftigung damit, so zuvor nicht aufgefallen sind ... Um dem Publikum dabei zu helfen, zeigen wir durch eine ganze Reihe von Filme die Stücke, wie sie einst waren: die Skulpturen voller Farben und mit zahlreichen Bronzedetails verziert. Haare wurden so beispielsweise mit Metalllocken geschmückt, die das Licht auf ganz besondere Art widerspiegelten und der Figur buchstäblich Leben einhauchten, wie heute noch an all den winzigen Löchern an verschiedenen Metopenreliefs zu erkennen ist.
Wie werten Sie dann den Erfolg derartiger Aktionen aus?
Nun, wir beobachten die Besucher und ihre Reaktionen, denn sie sind entscheidend für uns. Jede Neuerung zieht viele Menschen
an, dabei ist nicht, was für uns als Wissenschaftler wichtig scheint, auch attraktiv für das Publikum, wie beispielsweise die Inschriften. Also haben wir ein Programm entwickelt, das dem Besucher diese erklärt und ermöglicht, sie zu vergrößern oder bei unterschiedlichem Lichteinfall zu betrachten. Wir können also durchaus auch Interesse für bestimmte Exponate generieren.
Wie tun Sie dies denn praktisch?
Digitale Applikationen ermöglichen es uns, die Erwartungen des Publikums zu verändern. Unser Besucherspektrum hat sich verändert und wir als Haus müssen stets gesellschaftsorientiert bleiben und uns den Veränderungen der Gesellschaft anpassen.
Wie sieht die Zukunft des Museums im digitalen Zeitalter aus?
Das ist eine sehr gute und wichtige Frage. Meiner Meinung nach sollte es auf die Authentizität der Stücke setzen, da das Museum ebenfalls den Bildungsauftrag
hat, dem Publikum den Wert des Originals näherzubringen. In einer Zeit, in der alles immateriell scheint, ist dies auch im übertragenen Sinne eine wichtige Lektion: Das Museum setzt der virtuellen Welt des Internets die Realität entgegen. Wir haben so beispielsweise festgestellt, dass viele Besucher manchmal unsere Rekonstruktionen anzweifeln und dann durch den Vergleich mit den ausgestellten Stücken die Wahrhaftigkeit unserer Arbeit regelrecht nachprüfen.
Erkennen Besucher dann auch diesen Wert des Originals im Vergleich zur beliebig zu vervielfältigenden Kopie?
Ich glaube schon. Genau wie im Leben ist es wichtig, diesen Unterschied zu machen und zu erkennen, was wahrhaftig ist und was es nicht ist.
Welches Publikum stellt die komplizierteste Besucherart für Sie dar?
Vor allem Besuchergruppen waren für uns eine besondere
Herausforderung. Sie haben wenig Zeit und können somit nur wenige Exponate entdecken. Und dies auch noch in einer großen Gruppe, was räumlich nicht besonders vorteilhaft ist, da sie oft nicht nahe rankommen können und sich sich dem Rhythmus der Gruppe anpassen müssen. Also haben wir eine Art Schnellrundgang durchs Museum entworfen, stellen jedoch fest, dass die meisten sich dennoch fast alle Ausstellungsstücke genau ansehen – was uns natürlich sehr freut.
Haben Sie ein Lieblingsstück?
Ich fühle mich wie ein alter Vater mit vielen Kindern, und will keinen Lieblingssohn bzw. -tochter hervortun ... (lacht)
Mit welchem Gefühl betrachten Sie die Sammlung des Museums?
Ich bewundere die Sorgfalt, die Handwerkskunst und die Überlegung, mit der die Menschen vor 2 500 Jahren ans Werk gingen. Sie berührt mich immer wieder aufs Neue.