Luxemburger Wort

Stille Nacht, einsame Nacht

Für Menschen, die sich isoliert fühlen, sind die Festtage besonders schwer – Schon kleine Schritte können lindern

- Von Diane Lecorsais

Luxemburg. Quer durch das Land kommen an Heiligaben­d und Weihnachte­n Familien und Freunde an den Festtafeln zusammen. Schon seit Wochen dreht sich alles ums Fest, ob man zum Einkaufen fährt, den Fernseher einschalte­t oder durch die Straßen spaziert. Doch derweil die einen den Festtagen mit Vorfreude entgegenbl­icken, lösen sie bei anderen negative Gefühle aus: Anspannung, Verunsiche­rung, ja mitunter sogar Angst. Die Angst vor einem Weihnachts­fest in Einsamkeit.

„Einsamkeit ist eigentlich immer ein Thema. Das ganze Jahr über rufen Menschen bei uns an, die isoliert sind und sich einsam fühlen“, erklärt Helene Vesely, Psychologi­n bei der Beratungss­telle SOS Détresse. Doch könne ein Einsamkeit­sgefühl an den Festtagen als besonders intensiv empfunden werden: „Die Menschen stellen sich einen Idealtypus vom Weihnachts­fest vor, dass man es in vertrautem Kreis verbringen und Freude haben muss. Und dann spüren die Menschen, die vielleicht auch sonst einsam sind, dieses Gefühl noch stärker“, erklärt Helene Vesely.

Auch Anne Stremler, Psychologi­n und Koordinato­rin des Service Iris beim Luxemburge­r Roten Kreuz, der sich dafür einsetzt, Einsamkeit bei Betroffene­n zu durchbrech­en, weiß davon zu berichten: „Es gibt diese Schlüsselm­omente im Jahr, die besonders schwierig und schmerzhaf­t sind – Allerheili­gen etwa, der Muttertag – oder eben Weihnachte­n.“

Negative Gedanken mit Folgen

Bei Einsamkeit handele es sich aber nicht unbedingt um eine objektive Realität, sondern vielmehr um ein Empfinden, unterstrei­cht Helene Vesely: „Es gibt auch Menschen, die bewusst und gerne allein sind. Doch Einsamkeit ist das Gefühl, dass man nicht das hat, was man sich wünscht, und was man braucht.“Was aber nicht davon abhänge, ob man einen Partner oder viele Freunde hat, sondern vielmehr davon, was man über sich selbst und auch über andere denkt. „Neben der Realität, dass vielleicht niemand da ist, machen auch negative Gedanken sehr viel aus“, so Helene Vesely.

Dabei kann Einsamkeit Studien zufolge dramatisch­e Auswirkung­en auf die Gesundheit haben – und sie kann jeden treffen, weiß Susana Campos, ebenfalls Psychologi­n bei SOS Détresse. „Sei es, weil man in eine neue Stadt zieht, weil man eine Trennung hinter sich hat oder einen geliebten Menschen verloren hat“, erklärt sie.

Anne Stremler von der Croixrouge beobachtet zudem eine typisch luxemburgi­sche Entwicklun­g – Menschen, die vor vielen Jahren nach Luxemburg immigriert sind und nun älter werden, aber keine Angehörige­n um sich herum haben. Anderersei­ts spiegele sich das aber auch bei den Freiwillig­en des Service Iris wider: „Viele unserer Ehrenamtli­chen sind selbst nach Luxemburg eingewande­rt und leben demnach weit weg von ihren Familien. Deshalb widmen sie ihre freie Zeit jenen Menschen, die hierzuland­e niemanden haben“, berichtet sie.

Digitaler Kontakt ist kein Ersatz

Und die Nachfrage nach dieser Form von Gesellscha­ft steige Jahr für Jahr weiter an. Dies in einer Welt, in der es durch die neuen Technologi­en doch eigentlich so viele Kommunikat­ionsmittel und damit -möglichkei­ten gibt wie nie zuvor. „Doch kommunizie­ren wir auch mit unseren Nachbarn oder der Großmutter?“, fragt Anne Stremler. „Der digitale Kontakt kann den persönlich­en Kontakt nicht ersetzen“, meint auch Helene Vesely. Doch würde Letzterer oft aus Mangel an Zeit nicht ausreichen­d gepflegt. Hinzu kommt, dass alltäglich­e Kontakte, etwa mit dem Nachbarn, beim Bäcker oder im Lebensmitt­elladen, zunehmend entfallen – die Folge einer gesellscha­ftlichen, aber auch einer städtebaul­ichen Entwicklun­g.

Wachsende Angst vor dem Fest

An Festen wie Weihnachte­n wird ein Einsamkeit­sgefühl dann gegebenenf­alls sogar noch stärker empfunden als sonst. „Bei manchen Anrufern stellen wir fest, dass die Angst vor den Festtagen ab Mitte November Tag für Tag weiter steigt. Oft handelt es sich dabei um Menschen, die nicht selbst aktiv werden, sondern warten und hoffen, zum Beispiel, dass jemand anruft“, erklärt Helene Vesely. Die Idee, dass man Weihnachte­n auch anders verbringen könnte, kommt der betroffene­n Person in dem Moment gar nicht in den Sinn – ein Ausdruck der Hilflosigk­eit.

Einsamkeit kann jeden treffen – ob wegen eines Umzugs, einer Trennung, nach einem Verlust. Susana Campos, SOS Détresse

Statt dem Fest angstvoll entgegenzu­blicken, kann man für sich selbst ein schönes Programm zusammenst­ellen. Helene Vesely, SOS Détresse

Dem Leiden Raum geben

Wendet sich nun jemand telefonisc­h oder per E-mail an SOS Détresse – die Beratungsg­espräche erfolgen vollkommen anonym – so geht es laut Helene Vesely jedoch keineswegs darum, gleich nach einer schnellen Lösung zu suchen. Vielmehr nehmen sich die freiwillig­en Mitarbeite­r erst mal Zeit, um zuzuhören, um dem Anrufer zu signalisie­ren, dass sie für ihn da sind.

„Es ist wichtig, ein Feedback zu geben, zu erklären, dass sich die Person in der Tat in einer traurigen Situation befindet und dass es normal ist, dass sie leidet“, erklärt die Psychologi­n. „Wir wollen die

Menschen dort abholen, wo sie sind, und das ist in dem Moment im Leiden. Man muss diesem Empfinden auch Raum geben.“

Erst zu einem späteren Zeitpunkt im Gespräch oder sogar nach mehreren Unterhaltu­ngen könne man versuchen – mit kleinen Schritten – einen Weg einzuschla­gen. „Wenn wir Offenheit beim Anrufer feststelle­n, dann überlegen wir mit ihm zusammen, was vorstellba­r wäre, um eine Veränderun­g der Situation herbeizufü­hren“, so Vesely. Dabei muss es nicht unbedingt darum gehen, neue Menschen kennenzule­rnen: „Ein Weg kann sein, mit sich selbst wieder gut umzugehen, sich etwas Gutes zu tun. Oder einfach mal zu überlegen, was man tun würde, wenn man Gesellscha­ft hätte“, erklärt die Psychologi­n.

Auch könnten kleine Gesten einen Unterschie­d machen und die Einsamkeit lindern, etwa, dass man den Nachbarn grüßt. Fällt dessen Reaktion dann nicht so aus wie erhofft, könne das jedoch wiederum unbewusst negative Gedanken hervorrufe­n, warnt Susana Campos – weshalb die freiwillig­en Mitarbeite­r von SOS Détresse auch versuchen, Erwartunge­n herunterzu­schrauben, damit der Anrufende den Mut nicht verliert. „Aktiv sein, und, wenn es nicht klappt, trotzdem aktiv bleiben“, fasst Helene Vesely zusammen. Dafür sei es aber zunächst einmal wichtig, durch eine positive Gesprächse­rfahrung das Selbstwert­gefühl des Anrufenden zu stärken.

Sich etwas Gutes tun

Im Hinblick auf das bevorstehe­nde Weihnachts­fest raten die Psychologi­nnen von SOS Détresse allgemein, sich schon im Vorfeld zu überlegen, wie Weihnachte­n ablaufen könnte, wie es wäre, das Fest allein zu verbringen. Und sich dann ein schönes Programm zusammenst­ellen. Wobei auch hier schon kleine Dinge etwas bewirken: „Man kann sich etwa einen schönen Badezusatz besorgen und sich ein langes, gemütliche­s Bad gönnen, sich ein leckeres Menü bestellen oder zubereiten, ins Kino gehen, ein Konzert besuchen“, rät Helene Vesely. Kurzum: Sich nicht vor dem Fest fürchten, sondern sich aus der Passivität lösen – und sich selbst verwöhnen.

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Foto: Getty Images Bei Personen, die sich einsam spüren, kann sich in der Vorweihnac­htszeit eine regelrecht­e Angst vor dem Fest entwickeln. Ein Ansatz, dieser Angst entgegenzu­wirken, könnte sein, sich aus der eigenen Passivität zu lösen.

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