Der Wahrheit verpflichtet
Fritz Bauer war die treibende Kraft bei der Aufarbeitung der Ns-zeit
Serge und Beate Klarsfeld sind lebende Legenden in Frankreich. Das Ehepaar hat in detektivischer Kleinarbeit nationalsozialistische Kriegsverbrecher wie den berüchtigten deutschen „Schlächter von Lyon“, Klaus Barbie, aufgespürt. Indem sie auch die Verstrickung zahlreicher französischer Kollaborateure in die Gräueltaten der Nazis aufdeckten, zwangen sie ihre Landsleute dazu, sich unbequemen Fragen zu stellen. Das Bild von der reinen Opfernation Frankreichs, das seine Helden der Résistance feierte, bekam Risse.
Was die Klarsfelds für die Franzosen sind, das war Fritz Bauer (1903-1968) für die Deutschen: Ein Stachel im Fleisch des saturierten Wirtschaftswunderlandes, das wie Phoenix aus der Asche des Krieges erstanden war und sich nicht gern mit Vergangenheitsbewältigung befassen wollte. Die Hauptkriegsverbrecher, sie waren ja schließlich verurteilt worden. Nach vorne blicken war das Gebot der Zeit.
Doch ein zunehmend bekannter Jurist wollte dieses Spiel nicht mitspielen. „Fritz Bauer hat sich in vielfacher Weise eingemischt“, sagt Sybille Steinbacher dem „Luxemburger Wort“. Sie ist seit 2017 Inhaberin des seinerzeit neu geschaffenen Lehrstuhls zur Geschichte und Wirkung des Holocaust in Frankfurt. „Als jüdischer Intellektueller, als Remigrant, als Sozialdemokrat, als Rechtsreformer. Ihm ging es um die kritische Aufklärung über die Ns-verbrechen.“
Der 1903 in Stuttgart geborene Sohn einer deutsch-jüdischen Kaufmannsfamilie war ein aufstrebender junger Richter in der Spätphase der Weimarer Republik. Mit Beginn der Ns-herrschaft 1933 brachte ihn seine Tätigkeit in der SPD für neun Monate ins KZ. Bauer gelang 1936 die Emigration nach Dänemark. 1949 kehrte er in die Heimat zurück, wurde Landgerichtsdirektor in Braunschweig, 1956 dann hessischer Generalstaatsanwalt in Frankfurt.
An seinem früheren Amtssitz erinnert heute ein Denkmal an das
Wirken Bauers. Es ist ein großer Steinbrocken, der aus dem Boden herausragt. „Sie müssen wissen, es gibt einen Eisberg, und wir sehen einen kleinen Teil, und den größeren sehen wir nicht“, steht an einer Infotafel.
Deutsche Behörden haben kein Interesse an Eichmann
Es ist eines der berühmtesten Zitate Bauers, der sich nicht mit den Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozessen zufriedengab. Er sah es kritisch, dass alliierte Gerichte Männer wie Hermann Göring, Hans Frank und Alfred Jodl zum Tode verurteilt hatten. Er hätte die Führungsriege Hitlers lieber vor deutschen Gerichten gesehen, um „klar und deutlich der Weltöffentlichkeit zu zeigen, dass das neue Deutschland wieder ein Rechtsstaat geworden ist, der mit einer rechtlosen Vergangenheit bricht und die nazistische Vorstellung, Macht sei Recht, verflucht“.
Bauer trieb es um, dass zahlreiche Verbrechen der Nazis ungesühnt geblieben waren. Dass so viele Braune nach dem Krieg so schnell wieder Karriere in der jungen Bundesrepublik machen konnten – und eine weitere Aufklärung zu hintertreiben wussten.
So kam es zu dem heute unfassbaren Umstand, dass Bauer 1957 zwar konkrete Informationen darüber hatte, wo sich Adolf Eichmann in Argentinien versteckt hielt. Er hätte den Mann, der die Deportation der Juden in die Vernichtungslager organisiert hatte, gern vor ein deutsches Gericht gestellt. Doch auf Behörden wie den Bundesnachrichtendienst, die von Altnazis durchzogen waren, war kein Verlass. Also handelte „der General“, wie der Staatsanwalt von seinem Team genannt wurde, auf eigene Faust – und leitete dem israelischen Geheimdienst Mossad die Hinweise weiter. Dieser entführte
„Wir sehen nur einen kleinen
Teil des Eisbergs“: Fritz Bauer, hier 1964 in Frankfurt, war die treibende Kraft der Aufarbeitung.