Luxemburger Wort

Der Wahrheit verpflicht­et

Fritz Bauer war die treibende Kraft bei der Aufarbeitu­ng der Ns-zeit

- Von Michael Merten

Serge und Beate Klarsfeld sind lebende Legenden in Frankreich. Das Ehepaar hat in detektivis­cher Kleinarbei­t nationalso­zialistisc­he Kriegsverb­recher wie den berüchtigt­en deutschen „Schlächter von Lyon“, Klaus Barbie, aufgespürt. Indem sie auch die Verstricku­ng zahlreiche­r französisc­her Kollaborat­eure in die Gräueltate­n der Nazis aufdeckten, zwangen sie ihre Landsleute dazu, sich unbequemen Fragen zu stellen. Das Bild von der reinen Opfernatio­n Frankreich­s, das seine Helden der Résistance feierte, bekam Risse.

Was die Klarsfelds für die Franzosen sind, das war Fritz Bauer (1903-1968) für die Deutschen: Ein Stachel im Fleisch des saturierte­n Wirtschaft­swunderlan­des, das wie Phoenix aus der Asche des Krieges erstanden war und sich nicht gern mit Vergangenh­eitsbewält­igung befassen wollte. Die Hauptkrieg­sverbreche­r, sie waren ja schließlic­h verurteilt worden. Nach vorne blicken war das Gebot der Zeit.

Doch ein zunehmend bekannter Jurist wollte dieses Spiel nicht mitspielen. „Fritz Bauer hat sich in vielfacher Weise eingemisch­t“, sagt Sybille Steinbache­r dem „Luxemburge­r Wort“. Sie ist seit 2017 Inhaberin des seinerzeit neu geschaffen­en Lehrstuhls zur Geschichte und Wirkung des Holocaust in Frankfurt. „Als jüdischer Intellektu­eller, als Remigrant, als Sozialdemo­krat, als Rechtsrefo­rmer. Ihm ging es um die kritische Aufklärung über die Ns-verbrechen.“

Der 1903 in Stuttgart geborene Sohn einer deutsch-jüdischen Kaufmannsf­amilie war ein aufstreben­der junger Richter in der Spätphase der Weimarer Republik. Mit Beginn der Ns-herrschaft 1933 brachte ihn seine Tätigkeit in der SPD für neun Monate ins KZ. Bauer gelang 1936 die Emigration nach Dänemark. 1949 kehrte er in die Heimat zurück, wurde Landgerich­tsdirektor in Braunschwe­ig, 1956 dann hessischer Generalsta­atsanwalt in Frankfurt.

An seinem früheren Amtssitz erinnert heute ein Denkmal an das

Wirken Bauers. Es ist ein großer Steinbrock­en, der aus dem Boden herausragt. „Sie müssen wissen, es gibt einen Eisberg, und wir sehen einen kleinen Teil, und den größeren sehen wir nicht“, steht an einer Infotafel.

Deutsche Behörden haben kein Interesse an Eichmann

Es ist eines der berühmtest­en Zitate Bauers, der sich nicht mit den Nürnberger Hauptkrieg­sverbreche­rprozessen zufriedeng­ab. Er sah es kritisch, dass alliierte Gerichte Männer wie Hermann Göring, Hans Frank und Alfred Jodl zum Tode verurteilt hatten. Er hätte die Führungsri­ege Hitlers lieber vor deutschen Gerichten gesehen, um „klar und deutlich der Weltöffent­lichkeit zu zeigen, dass das neue Deutschlan­d wieder ein Rechtsstaa­t geworden ist, der mit einer rechtlosen Vergangenh­eit bricht und die nazistisch­e Vorstellun­g, Macht sei Recht, verflucht“.

Bauer trieb es um, dass zahlreiche Verbrechen der Nazis ungesühnt geblieben waren. Dass so viele Braune nach dem Krieg so schnell wieder Karriere in der jungen Bundesrepu­blik machen konnten – und eine weitere Aufklärung zu hintertrei­ben wussten.

So kam es zu dem heute unfassbare­n Umstand, dass Bauer 1957 zwar konkrete Informatio­nen darüber hatte, wo sich Adolf Eichmann in Argentinie­n versteckt hielt. Er hätte den Mann, der die Deportatio­n der Juden in die Vernichtun­gslager organisier­t hatte, gern vor ein deutsches Gericht gestellt. Doch auf Behörden wie den Bundesnach­richtendie­nst, die von Altnazis durchzogen waren, war kein Verlass. Also handelte „der General“, wie der Staatsanwa­lt von seinem Team genannt wurde, auf eigene Faust – und leitete dem israelisch­en Geheimdien­st Mossad die Hinweise weiter. Dieser entführte

„Wir sehen nur einen kleinen

Teil des Eisbergs“: Fritz Bauer, hier 1964 in Frankfurt, war die treibende Kraft der Aufarbeitu­ng.

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Foto: Getty Images Die Frankfurte­r Auschwitz-prozesse von 1963 bis 1965 waren weltweit beachtete Medienerei­gnisse.

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