Luxemburger Wort

Wenn die letzten Zeitzeugen verstummen

Wie Gedenkstät­ten Schüler heute mit dem Holocaust vertraut machen

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Und wie erreicht man Schüler der 2020er Jahre, die keine Erzählunge­n der Großeltern über Kriegserfa­hrungen mehr kennen?

Von einer Zäsur spricht Hanno Loewy. Das Kapitel, in dem Zeitzeugen eine wichtige Rolle bei der Gedenkarbe­it gespielt haben, sei absehbar bald zu Ende. Was aber bleibe, das seien die literarisc­hen Zeugnisse sowie unzählige Videointer­views der Überlebend­en, sagt Loewy in Frankfurt bei einer Tagung des dortigen „Fritz Bauer Institut“. Der Gründungsd­irektor dieses Instituts zur Geschichte und Wirkung des Holocaust leitet heute das Jüdische Museum im österreich­ischen Hohenems.

Die Entwicklun­g habe sich jedoch längst abgezeichn­et und treffe die Institutio­nen daher nicht unvorberei­tet. Schon heute gebe es die unterschie­dlichsten Herangehen­sweisen in der Bildungs-, Ausstellun­gsund Forschungs­tätigkeit zum Holocaust.

Frage nach dem Warum packt die Jugendlich­en auch heute

Loewy betont, wie wichtig es sei, ernst zu nehmen, dass Menschen unterschie­dliche Perspektiv­en und Wahrnehmun­gen der Ereignisse hätten. So hätten Migranten mitunter ein ganz anderes Verhältnis zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs als Deutsche.

Loewy warnte davor, das Thema Holocaust vornehmlic­h unter dem Aspekt der Verantwort­ung für die Geschichte, der Moralisier­ung und der Schuldfrag­e anzugehen. Denn dadurch werde Kindern mit Migrations­hintergrun­d signalisie­rt: „Ihr gehört nicht dazu – und

Ihr habt auch keine Chance, dazuzugehö­ren.“

Dass sich der Umgang mit dem Thema Holocaust ändert, das erlebt auch Volkhard Knigge. Er ist Direktor der Stiftung Gedenkstät­te im ehemaligen KZ Buchenwald bei Weimar, das eines der größten Konzentrat­ionslager auf deutschem Boden war. Der 65-jährige Historiker stellt fest, dass junge Menschen nicht mehr die Reibungser­fahrungen der älteren Generation mit dem Thema hätten. „Wir waren ja wenigstens noch Nestbeschm­utzer, und das machte ja auch irgendwie Spaß“, sagt er schmunzeln­d.

Viele Schulklass­en besuchen Buchenwald. Sonntagsre­den seien da nicht gefragt, sagt Knigge. In der pädagogisc­hen Arbeit werde auch gar nicht mehr von Erinnerung gesprochen, das interessie­re sie überhaupt nicht. Doch man könne auch zu heutigen Jugendlich­en durchdring­en: „Womit man sie kriegt und erreicht, das ist forensisch­es Lernen, das ist detektivis­ches Lernen. Das ist die Frage: Wie konnte das überhaupt geschehen?“Erst wenn die Warum-fragen dazukämen, könne man auch Kinder mit Migrations­hintergrun­d, mit einer ganz anderen Geschichts­kultur für das Thema einnehmen.

Bei Geschichts­studierend­en geht von der Zeit des Nationalso­zialismus, speziell auch von der Schoah nach wie vor eine hohe Faszinatio­n aus, wie die Holocaust-forscherin Sybille Steinbache­r beobachtet hat: „Das Interesse bei den Studierend­en, bei jungen Leuten für das Thema ist hoch.“mer

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