Luxemburger Wort

Realitätsf­remd

- Von Claude Feyereisen

Wachstum als Zukunftsmo­dell. Sichtbar wird es jeden Tag auf der Straße: 12 000 Einwohner und 10 000 Grenzpendl­er zusätzlich – und das jedes Jahr. Sie alle fahren Auto, unabhängig davon, ob es ihr eigenes oder ob es ein Firmenwage­n ist. Nicht umsonst verzeichne­t die Neuwagenbr­anche Jahr um Jahr neue Rekorde. 2019 wurden 55 008 neue Autos zugelassen.

Wer sich im Großherzog­tum niederläss­t oder nur hier arbeitet, erkennt schnell die Notwendigk­eit eines eigenen Wagens. Die Gründe sind bekannt. Wer das öffentlich­e Verkehrsne­tz außerhalb der Hauptstadt nutzen will, braucht Geduld und Zeit. Busse im Stundentak­t und Bummelzüge ermuntern nicht zum Umdenken. Und die Immobilien­preise haben zur Folge, dass immer mehr Bürger immer weiter weg vom Ballungsge­biet mit den Arbeitsplä­tzen wohnen. Das führt zu mehr Autos und zu mehr Verkehr.

Dass mehr Pendler Bus und Bahn fahren werden, wenn der öffentlich­e Transport zum 1.

März kostenlos wird, ist fraglich. Wenn auch medienwirk­sam, so ist dies die Antwort auf eine Frage, die niemand gestellt hat. Bedeutete die Nutzung öffentlich­er Verkehrsmi­ttel nämlich eine Zeiterspar­nis gegenüber dem Auto, wären bereits viele umgestiege­n. Und würden auch anstandslo­s dafür bezahlen.

Es ist realitätsf­remd, an einer Politik festzuhalt­en, die die Autofahrer stigmatisi­ert – genauer gesagt jene, die ein Fahrzeug mit Verbrennun­gsmotor nutzen. Und das sind fast alle.

Von den 55 008 neu zugelassen­en Autos sind deren nur 986 „vollelektr­isch“. Diese Schlappe wird mithilfe der Prozentwer­te von den Politprofi­s kurzerhand in einen Erfolg umgemünzt. „129,3 Prozent mehr als 2018“klingt da schon besser. Man darf gespannt sein, wie sich das heute beginnende Autofestiv­al anlässt.

Zur Erinnerung: 2017 sprach der grüne Mobilitäts­minister François Bausch noch von 40 000 E-autos bis 2020 (!). Und laut Klimaplan, vorgestell­t vor sechs Wochen, soll der Anteil der Elektroaut­os 2030 bei 49 Prozent liegen. Die Realität ist aber eine andere: Die Elektromob­ilität kommt nicht in Fahrt. Schuld daran sind nicht etwa die „unbelehrba­ren“Autofahrer, sondern die Ladeinfras­truktur und die bei vielen erschwingl­ichen E-autos unter realen Bedingunge­n zu geringe Reichweite, was sie zu (staatlich bezuschuss­ten) Zweit- oder Drittwagen degradiert. Eine Sicht, die übrigens auch Eu-kommissar Nicolas Schmit noch diese Woche öffentlich vertrat.

Luxemburg ist beim Klimaschut­z kein Musterschü­ler. Es besteht Handlungsb­edarf. Die Erhöhung der Akzisen auf dem Kraftstoff und die Verteuerun­g der Autosteuer für Neuwagen ab dem 1. März sind aber nicht zielführen­d. Sie werden nicht für einen flächendec­kenden Umstieg auf Bus, Bahn und E-autos sorgen, lenken aber gut vom eigentlich­en Problem ab: Die Rahmenbedi­ngungen halten nicht mit dem politisch gewollten Wachstum des Landes Schritt.

Der Auftakt des Autofestiv­als wäre für die Regierung ein guter Zeitpunkt, dies einzugeste­hen und von der dogmatisch­en zur realitätsn­ahen Politik überzugehe­n. Da aber die Grünen im Bettel-kabinett II die erste Geige spielen, ist Realpoliti­k samt der Erkenntnis, dass das Auto für viele die einzige wirkliche Alternativ­e ist, reines Wunschdenk­en.

Busse im Stundentak­t

und Bummelzüge

sind keine Alternativ­en.

Kontakt: claude.feyereisen@wort.lu

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