Realitätsfremd
Wachstum als Zukunftsmodell. Sichtbar wird es jeden Tag auf der Straße: 12 000 Einwohner und 10 000 Grenzpendler zusätzlich – und das jedes Jahr. Sie alle fahren Auto, unabhängig davon, ob es ihr eigenes oder ob es ein Firmenwagen ist. Nicht umsonst verzeichnet die Neuwagenbranche Jahr um Jahr neue Rekorde. 2019 wurden 55 008 neue Autos zugelassen.
Wer sich im Großherzogtum niederlässt oder nur hier arbeitet, erkennt schnell die Notwendigkeit eines eigenen Wagens. Die Gründe sind bekannt. Wer das öffentliche Verkehrsnetz außerhalb der Hauptstadt nutzen will, braucht Geduld und Zeit. Busse im Stundentakt und Bummelzüge ermuntern nicht zum Umdenken. Und die Immobilienpreise haben zur Folge, dass immer mehr Bürger immer weiter weg vom Ballungsgebiet mit den Arbeitsplätzen wohnen. Das führt zu mehr Autos und zu mehr Verkehr.
Dass mehr Pendler Bus und Bahn fahren werden, wenn der öffentliche Transport zum 1.
März kostenlos wird, ist fraglich. Wenn auch medienwirksam, so ist dies die Antwort auf eine Frage, die niemand gestellt hat. Bedeutete die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nämlich eine Zeitersparnis gegenüber dem Auto, wären bereits viele umgestiegen. Und würden auch anstandslos dafür bezahlen.
Es ist realitätsfremd, an einer Politik festzuhalten, die die Autofahrer stigmatisiert – genauer gesagt jene, die ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor nutzen. Und das sind fast alle.
Von den 55 008 neu zugelassenen Autos sind deren nur 986 „vollelektrisch“. Diese Schlappe wird mithilfe der Prozentwerte von den Politprofis kurzerhand in einen Erfolg umgemünzt. „129,3 Prozent mehr als 2018“klingt da schon besser. Man darf gespannt sein, wie sich das heute beginnende Autofestival anlässt.
Zur Erinnerung: 2017 sprach der grüne Mobilitätsminister François Bausch noch von 40 000 E-autos bis 2020 (!). Und laut Klimaplan, vorgestellt vor sechs Wochen, soll der Anteil der Elektroautos 2030 bei 49 Prozent liegen. Die Realität ist aber eine andere: Die Elektromobilität kommt nicht in Fahrt. Schuld daran sind nicht etwa die „unbelehrbaren“Autofahrer, sondern die Ladeinfrastruktur und die bei vielen erschwinglichen E-autos unter realen Bedingungen zu geringe Reichweite, was sie zu (staatlich bezuschussten) Zweit- oder Drittwagen degradiert. Eine Sicht, die übrigens auch Eu-kommissar Nicolas Schmit noch diese Woche öffentlich vertrat.
Luxemburg ist beim Klimaschutz kein Musterschüler. Es besteht Handlungsbedarf. Die Erhöhung der Akzisen auf dem Kraftstoff und die Verteuerung der Autosteuer für Neuwagen ab dem 1. März sind aber nicht zielführend. Sie werden nicht für einen flächendeckenden Umstieg auf Bus, Bahn und E-autos sorgen, lenken aber gut vom eigentlichen Problem ab: Die Rahmenbedingungen halten nicht mit dem politisch gewollten Wachstum des Landes Schritt.
Der Auftakt des Autofestivals wäre für die Regierung ein guter Zeitpunkt, dies einzugestehen und von der dogmatischen zur realitätsnahen Politik überzugehen. Da aber die Grünen im Bettel-kabinett II die erste Geige spielen, ist Realpolitik samt der Erkenntnis, dass das Auto für viele die einzige wirkliche Alternative ist, reines Wunschdenken.
Busse im Stundentakt
und Bummelzüge
sind keine Alternativen.
Kontakt: claude.feyereisen@wort.lu
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