Individualismus und Konsumismus
Uni Luxemburg untersucht Einstellung der Wähler zu Politik und anderen gesellschaftlichen Themen
Das Wahlverhalten bei den Landeswahlen 2018 und den Europawahlen 2019 hat sich im Vergleich zu den Wahlen 2013 und 2014 stark verändert. Zu diesem Schluss kommen die Forscher der Universität Luxemburg rund um Politikwissenschaftler Philippe Poirier in einer Studie, die gestern im Kammerbüro vorgestellt wurde.
Die Wähler zeigten bei den Europawahlen 2019 ein ähnliches Verhalten wie bei den Landeswahlen. DP-, LSAP- und Grünenwähler haben systematisch DP, LSAP und Grüne gewählt. „Sie sind der Koalition treu geblieben“, so Poirier gestern auf Lw-nachfrage. 2013 und 2014 war das noch anders. „2014 haben viele Dp-wähler die CSV gewählt.“Die Csvkandidaten wurden 2019 hauptsächlich von Csv-wählern gewählt und bekamen kaum Stimmen von anderen Wählern. Neu war auch, dass die Christlich-sozialen 2019 erstmals seit 1974 in allen Gemeinden Verluste hinnehmen mussten.
Der große Wahlgewinner 2019 war die DP mit einem Plus von 6,67 Prozent. Die Analyse der untersuchten Wahlzettel hat gezeigt, dass die DP ihren Sieg Charel Goerens zu verdanken hat. „Alle Wählergruppen haben Goerens systematisch eine Stimme gegeben“, erklärte Poirier.
In Zusammenarbeit mit TNS Ilres hat die Uni nach den Europawahlen 2019 eine Umfrage unter anderen über die europäischen Werte und das Wahlverhalten in Luxemburg durchgeführt. Die Umfrage hat ergeben, dass 44 Prozent der Wähler ihre Wahlentscheidung erst in der letzten Woche vor den Wahlen getroffen haben. Bei den Landeswahlen 2018 waren es 40 Prozent. 2013 lag der Prozentsatz bei 32 und 2019 bei 35 Prozent. Die Unentschiedenheit nimmt also zu, was bedeutet, dass Umfragen – selbst kurz vor den Wahlen – kaum noch verlässliche Aussagen hergeben.
Aus der Umfrage geht auch hervor, dass die Luxemburger und die anderen Eu-wähler in Luxemburg ein quasi identisches Wahlverhalten an den Tag gelegt haben. Sie haben in ähnlicher Proportion die Parteienfamilien gewählt, die auch die Luxemburger gewählt haben. Für Poirier ein Zeichen, dass die hier lebenden Eubürger ähnliche Ansichten teilen, „zumindest was die europäische Politik betrifft, und dass sie nicht unbedingt der politischen Kultur ihres Herkunftslandes verhaftet sind“.
In den meisten europäischen Ländern ist die größte europäische Sorge auch die größte nationale Sorge. In Luxemburg ist das anders. Hier hält man die Zuwanderung für die größte europäische Herausforderung, während die Wohnungsproblematik als die größte nationale Herausforderung angesehen wird.
Die Wähler sprechen sich alle für mehr europäische Integration in fast allen Politikbereichen aus – mit einer Ausnahme: Aus der Steuerpolitik der Länder soll die EU sich heraushalten, sagen die Befragten, unabhängig von der Wählergruppe und der Nationalität.
Individualismus und Konsum
Eine dritte Studie zeigt, dass Individualismus und Konsumismus unabhängig vom sozialen und beruflichen Status zunehmen. „Die Menschen sind auf sich und ihren inneren Kreis bezogen und werden immer gleichgültiger gegenüber allen Formen von kollektiven Organismen“, sagt Poirier. Eine andere Feststellung: Obwohl sie sehr gleichgültig sind, haben die Menschen ein großes Vertrauen in die Institutionen und die Demokratie im Land. Allerdings sorgen sie sich um die Demokratie in anderen Eu-ländern wie Italien oder Frankreich.
Obwohl Wirtschaftswachstum und Konsum den Menschen wichtig sind, pflegen sie einen konservativ-ökologischen Ansatz. Das ökologische Bewusstsein ist also vorhanden, allerdings beziehen die Menschen es vor allem auf ihr eigenes Leben und Wohlbefinden. „Die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft führt zu einem ökologischen Konservatismus, der nicht unbedingt sozial ist“, so Poirier.
Die Menschen sind auf sich bezogen und werden immer gleichgültiger gegenüber allen Formen von kollektiven Organismen.
Philippe Poirier, Uni Luxemburg