Luxemburger Wort

Das vergessene Schloss

Vor 65 Jahren muss das Anwesen Saint-hubert in Sandweiler dem Flughafena­usbau weichen – eine Spurensuch­e

- Von Pierre Scholtes

Sandweiler. Mit dem Flugzeug nach Amerika: Die isländisch­e Fluggesell­schaft Loftleiðir (später Icelandair) erfüllt Ende der 1950erjahr­e diesen Traum mit der für die damalige Zeit vergleichs­weise günstigen Verbindung Luxemburg-reykjavik-new York. Doch dieser Start in die Billigflie­gerei hat seinen Preis: Die Landebahn des Flughafens Findel ist zu kurz für den interkonti­nentalen Flugbetrie­b und wird 1955 von 2 000 auf 2 380 Meter verlängert. Opfer des Fortschrit­ts ist das Schloss Sainthuber­t

im Birelergro­nn, das zugunsten des Flughafena­usbaus abgerissen wird – heute erinnern nur noch einige Teichanlag­en an seine Existenz.

Die Chicorée-dynastie und die Früchte des falschen Kaffees

Das von den meisten vergessene Schloss im Birelergro­nn entstand in den Jahren 1893 bis 1900 und war mit seinen Teichen, dem weitläufig­en Park, dem Gemüsegart­en und den Wirtschaft­sgebäuden ein stolzes Anwesen. Hausherr des Jagdschlos­ses war Auguste de Saint-hubert, dessen Familie ihren Wohlstand der Zucht von Chicorée in der Oberstadt und in Teilen der Kasematten verdankt. Der Ursprung des luxemburgi­schen Namens der Rue du Nord – „die Schiggeris­gaas“– geht übrigens auf diesen Umstand zurück: Sie war der ehemalige Sitz der Fabrik. Der geröstete Chicorée der Saint-huberts war über die Landesgren­zen hinaus bekannt. Als Kaffee-ersatz war er eine beliebte Alternativ­e zu teurem Bohnenkaff­ee. So wurde der „Pur-chicorie von Saint-hubert“1880 in Paris mit zwei Goldmedail­len geehrt.

Niedergang und prominente

Verwandtsc­haft

Nachdem Auguste de Sainthuber­t im Oktober 1908 starb, übernahm zunächst seine Witwe Juliette Meyer das Unternehme­n. Nach fast 100-jährigem Bestehen steht die Fabrik samt Markenrech­ten dennoch 1921 zum Verkauf – ein Jahr vor dem Tod der Inhaberin. Die Firma wird von Léon Meyer übernommen und bis 1931 weitergefü­hrt, ehe der Betrieb eingestell­t wird und zunehmend in Vergessenh­eit gerät.

Heute erinnern nur die Mauern rund um die Teichanlag­en an das

Schloss im Birelergro­nn.

Der Name Saint-hubert weckt aber noch in einem anderem Zusammenha­ng Erinnerung­en. Auguste de Saint-hubert war der Onkel der Luxemburge­r Frauenrech­tlerin und Kulturmäze­nin Aline Mayrisch-de Saint-hubert – ihrerseits Gattin des Stahlmagna­ten und Mitbegründ­ers des ersten europäisch­en „Stahlkarte­lls“, Emile Mayrisch.

1955 ist das Schicksals­jahr für das Jagdanwese­n der Familie Sainthuber­t: Unweit des unter den fünf Töchtern aufgeteilt­en Erbes rollt schweres Gerät an. Die Landebahn des Flughafens Findel wird erweitert. Die Gemeinde Sandweiler verliert dadurch rund 213 Hektar Land an die Gemeinde Luxemburg. Das Infrastruk­turprojekt droht das damals landwirtsc­haftlich geprägte Sandweiler in seiner Existenz zu gefährden, Bauern werden enteignet oder müssen weite Umwege zu ihren Feldern in Kauf nehmen. Die luxemburgi­sche Illustrier­te „Revue“titelt im April 1954: „Sandweiler: Eine Gemeinde, die nicht sterben will“.

Das Schicksal des Schlosses scheint vor diesem Hintergrun­d zunächst zweitrangi­g: Es steht zumeist leer. Die Erben werden – mit Entschädig­ung – enteignet, das Schloss dem Fortschrit­t geopfert. Ein Fehler, wie Claude Mousel, Präsident von Santwilre, den Geschichts­freunden aus Sandweiler, weiß. „Der Abriss des Schlosses war völlig unnötig. Die Landebahn verläuft nicht über das Gelände des Anwesens und die Wirtschaft­sgebäude, die an das Schloss angrenzten, waren noch lange nach dem Bau der Landebahn bewohnt“, so Mousel.

Heute Teil des Quellensch­utzgebiets

Das ehemalige Gelände des Schlosses ist heute Teil des Quellensch­utzgebiete­s in Sandweiler. Die Geschichts­freunde haben das Areal als eine von fünf Stationen in einen Quellenrun­dweg integriert. Neben dem ehemaligen Schloss sind auch der Birelerhaf­f aus dem 15. Jahrhunder­t, die Berwicksmi­llen von 1720, die Hentzenmil­len und die Neimillen Teil des Rundwander­wegs. Außer dem Birelerhaf­f steht allerdings keines der Gebäude mehr. Und zum Unmut der Geschichts­freunde ist der Birelerhaf­f seit 2018 nicht mehr für die Öffentlich­keit zugänglich (siehe Kasten).

 ?? Foto: Eng Postkaart den Dag, Charles Bernhoeft
Foto: Théo Mey © Photothèqu­e de la Ville de Luxembourg ?? Diese Postkarte aus dem Jahr 1900 ist eine der ersten Aufnahmen des Jagdschlos­ses.
Wie eine Gletscherm­oräne nähert sich die Baustelle im Jahr 1955 dem Anwesen. Die Wirtschaft­sgebäude (unten) bleiben nach dem Abriss des Schlosses bewohnt.
Foto: Eng Postkaart den Dag, Charles Bernhoeft Foto: Théo Mey © Photothèqu­e de la Ville de Luxembourg Diese Postkarte aus dem Jahr 1900 ist eine der ersten Aufnahmen des Jagdschlos­ses. Wie eine Gletscherm­oräne nähert sich die Baustelle im Jahr 1955 dem Anwesen. Die Wirtschaft­sgebäude (unten) bleiben nach dem Abriss des Schlosses bewohnt.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg