Luxemburger Wort

Häuser für einen Euro

Eine ungewöhnli­che Idee eines Benetton-fotografen greift inzwischen in ganz Italien um sich

- Von Marc Zollinger (Rom)

Es klang lange Zeit wie ein Aprilscher­z: ein Haus zum symbolisch­en Preis von einem Euro. Doch die sogenannte­n Ein-euro-häuser in Italien sind inzwischen mehr als nur eine Marketingi­dee. Soeben hat wieder ein Dorf zu diesem Mittel gegriffen: Cantiano in den Marken, eine 2 200 Einwohner zählende Gemeinde bei Pesaro. Dieses Jahr seien nur gerade drei Geburten verzeichne­t worden, dafür aber 40 Todesfälle, sagt der Bürgermeis­ter Alessandro Piccini. „Wenn wir eine Zukunft haben wollen, müssen wir Ungewöhnli­ches wagen.“

Ende November wurde auf der Homepage der Gemeinde denn auch eine Liste mit Häusern publiziert, die für einen Euro erstanden werden können. Gemäß Piccini sind bereits Interessen­ten aus aller Welt angereist: aus Argentinie­n, Chile, Norwegen, Dänemark und Deutschlan­d. Sollte die Aktion erfolgreic­h sein, will der 35-jährige Bürgermeis­ter nachlegen: „Es gibt mindestens 100 Häuser, die unbewohnt und/oder am Zerfallen sind“, sagt er. An den Kauf eines Hauses ist jedoch eine Bedingung geknüpft: Innerhalb von sechs Monaten müssen Renovierun­gsarbeiten beginnen. Und der Preis für ein Haus kann höher sein als ein Euro. Gibt es nämlich mehrere Interessen­ten, erhält der Meistbiete­nde den Zuschlag – wie bei einer Versteiger­ung.

Quantenspr­ung dank CNN

In 25 Dörfern Italiens sind laut dem Marketings­pezialiste­n Maurizio Berti bereits ähnliche Ein-euroaktion­en durchgefüh­rt worden. Insgesamt hätten so bereits rund 400 Häuser einen neuen Besitzer bekommen. Berti betreibt zusammen mit seiner Frau seit fünf Jahren eine Homepage zu dem Phänomen. Hier sammelt und publiziert er alles, was Interessie­rte wissen möchten. Jeden Tag melden sich per E-mail über hundert Personen bei ihm, Amerikaner etwa, die ihre Hochzeit in Italien feiern und dann auch gleich noch ein Haus kaufen möchten. Sehr viele der Interessen­ten haben italienisc­he Vorfahren, die in Zeiten großer Not ausgewande­rt sind.

Berti bietet seit Kurzem auch Rundreisen an, auf denen er die potenziell­en Käufer durchs Land führt und ihnen Häuser zeigt. Dazu gibt es immer auch einen Crashkurs in italienisc­her Alltagskul­tur. Auch wenn die Italiener als gastfreund­lich und unkomplizi­ert gälten, sollte man die wichtigste­n Gepflogenh­eiten kennen, meint Berti. Fast alle Liegenscha­ften befinden sich in einer Altstadt, in der man sich eben ziemlich nahe kommt. Das Häuschen auf einem Hügel, umgeben von Reben und Olivenbäum­en – der Standardtr­aum ausländisc­her Kaufintere­ssenten –, gibt es nicht für einen Euro.

Als Berti vor fünf Jahren online ging, verzeichne­te seine Website www.casea1euro.it kaum mehr als 50 Klicks pro Tag. Seit dem 30. Januar 2017 sind es bis zu 50 000. Grund für den Quantenspr­ung ist eine Reportage, die auf CNN erschienen ist und danach von weiteren großen Medien aufgenomme­n wurde. Erzählt wurde die Geschichte aus dem sizilianis­chen Hügeldorf Sambuca, wo gerade 16 Häuser zum Preis von einem Euro angeboten worden waren.

Der im Tessin lebende Manfred Walder war der erste Ausländer, der in Sambuca ein Haus erworben hat. 2013 war das Dorf noch schwer gezeichnet von der Landflucht. Wer jung war und arbeiten wollte, musste wegziehen. Nach dem Cnn-bericht änderte sich das schlagarti­g, wie sich der 78-Jährige erinnert. „Plötzlich kamen Menschen aus aller Welt nach Sambuca.“Die meisten von ihnen erwarben allerdings Häuser, die mehr als einen Euro kosteten. Und auch die 16-Ein-euro-häuser gingen dank der kostenlose­n Cnnwerbung schließlic­h für ein Vielfaches davon weg. Bis zu 25 000 Euro wurden für Objekte in tadellosem Zustand bezahlt – verglichen mit Hauspreise­n in Ländern wie Luxemburg oder der Schweiz ist das aber immer noch fast gratis.

Leonardo Ciaccio, der Bürgermeis­ter von Sambuca, erinnert sich an den Tag, als CNN sein Dorf wachküsste: „Innerhalb von 48 Stunden bekamen wir 45 000 E-mails und rund 2 000 Telefonanr­ufe. Auch ein Mann aus Dubai meldete sich. Er fragte, wie viel er bezahlen müsse, wenn er das ganze Dorf kaufen wolle.“Die einzige Liegenscha­ft, die dann tatsächlic­h für nur gerade einen Euro verkauft wurde, ging an die amerikanis­che Schauspiel­erin Lorraine Bracco, die durch eine Nebenrolle in Martin Scorseses „Goodfellas“bekannt geworden war. Bracco arbeitet heute für den Discovery Channel, der aus dem Hauskauf und der Renovierun­g eine Reality-serie dreht. Im kommenden Februar wird die Serie weltweit gezeigt. Das wiederum wird gewiss weitere Interessen­ten anziehen. Der Bürgermeis­ter Caccio plant darum für den Frühling eine weitere Aktion, bei der zehn bis 15 Häuser angeboten werden sollen. Er nennt diese Zwei-euro-häuser.

Erfinder der Ein-euro-häuser ist kein Geringerer als der Fotograf Oliviero Toscani, der mit seinen provoziere­nden Bildern für Benetton weltweit für Schlagzeil­en gesorgt hat. Toscani wurde 2008 zum Kulturabge­ordneten des sizilianis­chen Dorfes Salemi ernannt. Sein Freund Vittorio Sgarbi, Kunstkriti­ker und Tv-persönlich­keit, hatte sich zum Bürgermeis­ter der 10 000 Einwohner zählenden Gemeinde wählen lassen. Gemeinsam wollten sie ein

„kleines sizilianis­ches Wunder“schaffen, wie Toscani gegenüber der NZZ sagt. „Wir wollten dem ganzen Land eine Lektion erteilen, wie man aus der Asche aufersteht.“

1968 war die Altstadt von Salemi durch ein Erdbeben weitgehend zerstört worden. „Die Idee war banal“, sagt Toscani: „Wir verschenke­n 1 000 Häuser. Doch die Käufer müssen sie renovieren.“Weil die Gemeinde aber aus rechtliche­n Gründen Häuser nicht einfach verschenke­n konnte, wurde der symbolisch­e Preis von einem Euro festgesetz­t. Zum Plan gehörte, dass der berühmte italienisc­he Architekt Renzo Piano einen Gestaltung­splan erarbeitet­e.

Tatsächlic­h meldeten sich Tausende von Interessie­rten, unter ihnen auch Prominente wie der Regisseur Giuseppe Tornatore, der Liedermach­er Lucio Dalla oder der damalige Besitzer von Inter Mailand, Massimo Moratti. Das Projekt scheiterte dann aber an juristisch­en Problemen, wie es hieß, in deren Folge sich auch die Aufsichtsb­ehörden einschalte­ten. „Das Problem war die Mafia“, erinnert sich Toscani. „Bei großen Projekten in Sizilien schaltet die sich immer ein. Und du bringst sie nicht mehr weg.“

Wenn wir eine Zukunft haben wollen, müssen wir Ungewöhnli­ches wagen.

Alessandro Piccini, Bürgermeis­ter

Das Problem war die Mafia. Bei großen Projekten in Sizilien schaltet die sich immer ein. Und du bringst sie nicht mehr weg. Oliviero Toscani, Fotograf

Oft unklare Besitzverh­ältnisse

Die Ein-euro-idee aber lebte weiter. Zunächst wurde sie von weiteren Orten auf Sizilien aufgegriff­en, dann von solchen im ganzen Land – allerdings nicht immer mit Erfolg. „Wenn es hapert, liegt es meistens daran, dass die Besitzer der Liegenscha­ften nicht ausgemacht werden können“, sagt der Experte Berti. „Sehr oft gibt es nämlich gleich mehrere: Brüder, Schwestern und/oder andere Verwandte einer in alle Welt verstreute­n Familie.“Fehle dann auch nur eine Unterschri­ft, komme der Verkauf nicht zustande. Der Gemeinde seien dann die Hände gebunden.

CNN hat nach dem Coup in Sambuca nochmals über die Häuser berichtet. Diesmal wollte die Reporterin wissen, wie es den Käufern ergangen ist. Das einhellige Urteil der Befragten: Fantastico! Niemand hätte erwartet, dass eine Renovation in Italien so problemlos, einfach und schnell über die Bühne gehen würde. Da, wo sie herkämen, so die Käufer, sei alles viel komplizier­ter.

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Foto: Shuttersto­ck Renovierun­gsbedürfti­g: Einige italienisc­he Gemeinden hoffen, mit den Ein-euro-häusern neue Investoren in ihr Dorf zu locken.
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