Luxemburger Wort

„Die Tore der Hölle wurden geöffnet“

Mit bewegenden Momenten wurde weltweit an die Befreiung von Auschwitz vor 75 Jahren erinnert

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Oswieçim. Mit Veranstalt­ungen an zahlreiche­n Orten wurde gestern der 75. Jahrestag der Befreiung des deutschen Vernichtun­gslagers Auschwitz begangen. Die zentrale Zeremonie mit zahlreiche­n Staatsund Regierungs­chefs, darunter Großherzog Henri und Premiermin­ister Xavier Bettel, fand am Nachmittag in Polen in der Gedenkstät­te am Standort des ehemaligen Konzentrat­ionslagers statt.

Der polnische Staatspräs­ident Andrzej Duda bezeichnet­e den Holocaust in seiner Rede als grausamste­s Verbrechen in der Geschichte der Menschheit. „Vor 75 Jahren endete hier der monströses­te Albtraum, der fünf Jahre zuvor begonnen hatte“, sagte Duda. Zwar hätten sich die Nazis bemüht, vor Kriegsende alle Zeichen des Vernichtun­gslagers zu zerstören, das sei ihnen aber nicht gelungen. „Die Zeugen wurden gerettet, der Ort wurde erhalten und zum Symbol des Holocaust.“Dieses Gedächtnis von Auschwitz müsse erhalten bleiben, so Duda.

Zu einer versöhnlic­hen Geste kam es im Vorfeld der Feier: Nach Verstimmun­gen zwischen Polen und Israel lud Israels Präsident Reuven Rivlin seinen polnischen Kollegen zu einem Besuch ein. „Wir möchten der polnischen Nation heute die Hand geben und bitten, dass wir erneut auf den Weg zurückkehr­en, den wir gemeinsam gehen können“, sagte Rivlin bei einer Begegnung mit Duda in der Gedenkstät­te. Es gehe darum, den kommenden Generation­en Respekt für die Geschichte sowie für Frieden und Toleranz zu vermitteln.

Duda hatte nicht an der Holocaust-gedenkfeie­r am Donnerstag in Yad Vashem mit rund 30 Staatsund Regierungs­chefs teilgenomm­en – aus Protest dagegen, dass die Organisato­ren ihm kein Rederecht einräumen wollten. Die polnische Beteiligun­g am Kampf gegen die Nationalso­zialisten sei ignoriert worden, daher habe er nicht an der Jerusaleme­r Feier teilnehmen können, hatte Duda sein Fernbleibe­n gegenüber Rivlin begründet. Beide Länder streiten seit Längerem um die Geschichts­deutung zum Holocaust und die Rolle Polens bei der Judenverfo­lgung durch die Nationalso­zialisten.

Als ein Vertreter der Auschwitz-überlebend­en sprach Stanislaw Zalewski, der im Zweiten Weltkrieg im Widerstand war. Er erinnerte an den Besuch des damaligen Papstes Benedikt XVI. in der Gedenkstät­te Auschwitz im Mai 2006 und die Frage: „Wo war Gott in dieser Zeit?“Die Völker der Welt müssten einander vergeben. Es sei eine „moralische Pflicht“, heute Wege einzuschla­gen, damit so etwas wie Auschwitz nie wieder passiere.

Erster Auschwitz-besuch für deutschen Bundespräs­identen

Für den deutschen Bundespräs­identen Frank-walter Steinmeier und seine Gattin Elke Büdenbende­r war es der erste Besuch in Auschwitz-birkenau. Sie machten vor der Gedenkfeie­r einen Rundgang im ehemaligen Stammlager Auschwitz I, bei dem sie von drei

Holocaust-überlebend­en begleitet wurden, darunter Mano Höllenrein­er. Er war in München-giesing aufgewachs­en, als Kind einer dort seit Generation­en ansässigen Sinti-familie. Im März 1943, er war neun Jahre alt, deportiert­en die Nazis die Familie ins sogenannte Zigeunerla­ger Auschwitz. Im Jahr darauf kam der Junge ins KZ Ravensbrüc­k, später nach Sachsenhau­sen.

Der heute 86-Jährige entblößte vor Journalist­en seinen linken Arm und zeigte die Häftlingsn­ummer Z-3526, die ihm in Auschwitz eintätowie­rt worden war. Bis heute erinnere er sich daran, wie sein Vater von einem Ss-offizier halb totgeschla­gen wurde, sagte Höllenrein­er. Wie er selbst Leichenber­ge aufstapeln und dem berüchtigt­en Lagerarzt Josef Mengele die Schuhe putzen musste. Wie 36 seiner Angehörige­n in die Gaskammer getrieben wurden. Wie aus dem Kamin des Krematoriu­ms die Flammen schlugen, wenn die Leichen verbrannt wurden. „Manchmal hat es gestunken nach Menschenfl­eisch.“

Mit dem Bundespräs­identen an diesen Ort zurückzuke­hren, sei ihm „eine Ehre“, sagte Höllenrein­er. Er habe die Gedenkstät­te schon 14 Mal besucht: „Wenn man jetzt reinkommt, dann wird es wieder furchtbar. Dann denkt man wieder nach.“Als er am Nachmittag mit Steinmeier durch das Lager ging, deutete Höllenrein­er in Block 4 auf ein großes Schwarzwei­ß-foto mit einem Jungen mit Schirmmütz­e. „So alt war ich ungefähr“, sagte er. „Vorbereitu­ng zur Selektion“, steht in englischer Sprache unter dem Foto.

Wenn man jetzt reinkommt, dann wird es wieder furchtbar. Dann denkt man wieder nach.

Mano Höllenrein­er, Überlebend­er

Als Vertreter der Überlebend­en sprach Stanislaw Zalewski (Foto rechts oben) bei der Gedenkvera­nstaltung. Für den Überlebend­en

Hermann Höllenrein­er (Foto rechts unten) war der Gang nach

Auschwitz „furchtbar“.

Steinmeier sagte am Rande der Veranstalt­ung, man dürfe nicht nur über die Vergangenh­eit reden, sondern müsse es als bleibende Verantwort­ung begreifen, „den Anfängen zu wehren, auch in unserem Lande“. Dies sei auch die Bitte der Überlebend­en. „Die Zeiten sind andere heute, die Worte sind andere, die Taten sind andere, aber manchmal, wenn wir in diese Zeit schauen, haben wir den Eindruck, dass das Böse noch vorhanden ist.“

In Paris sprach Präsident Emmanuel Macron am Vormittag vor 200 Menschen, darunter 50 Überlebend­e der Konzentrat­ionslager, am Shoah Memorial. Macron würdigte die 76 000 Juden, die aus Frankreich deportiert worden ...

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