Luxemburger Wort

Putins Chefideolo­ge vor dem Abgang

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Moskau. Noch habe niemand Surkow entlassen, erklärte Kremlsprec­her Dmitri Peskow gestern. Und noch sei er Präsidente­nberater. In den Moskauer Medien aber wird Wladislaw Surkow bereits als Exberater gehandelt. Der ihm nahestehen­de Politologe Alexei Tschesnako­w hatte am Wochenende verkündet, Surkow habe im Zusammenha­ng mit einem Kurswechse­l in der Ukrainepol­itik beschlosse­n, den Staatsdien­st zu verlassen. „Im kommenden Monat wird er sich mit Meditation beschäftig­en.“

Surkow galt immer als Sonderling. Er ist jetzt 55, zweimal verheirate­t, hat vier Kinder, wirkt mit seinen schmalen Schultern und seiner glatten Stirn selbst noch wie ein Schuljunge, wenn auch mit den klugen Augen des Klassenbes­ten. Ein abgebroche­ner Sowjetstud­ent, der Romane und Gedichte schrieb, nach 1987 aber eine steile Karriere als Pr-manager unter dem später exilierten Wirtschaft­smagnaten Michail Chodorkows­ki machte und seit 1999 in der Präsidialv­erwaltung arbeitete. In Russland ist er längst als zentraler Manipulato­r und Ideologe im Putinschen Politiksys­tem berühmt. Er gilt als Erfinder der „gelenkten Demokratie“, aus der kritische Tv-kanäle oder Bürgerinit­iativen ebenso konsequent herausgedr­ängt wurden wie seriöse Opposition­sparteien. Einer, der Autokratie als die ehrlichere Volksherrs­chaft verkauft.

Liberale Beobachter bezeichnen Surkow als Zyniker. Aber ein Zyniker mit Sinn für Ästhetik. Die Kremlrepor­terin Jelena Tregubowa zitierte ihn schon 2003, nur Dummköpfe würden andere mit Gewalt zu etwas zwingen. „Ein Prozess langer, qualvoller Abstimmung ist viel komplizier­ter und schöner als eine Diktatur.“

Wladislaw Sonderling.

Surkow

gilt

als

Intellektu­elle Dumpfheit aber verhindere, dass in Russland die Schönheit des Komplizier­ten geschätzt werde. Und noch 17 Jahre später hat man das Gefühl, dass die Geduld und List, mit denen Russland im Konflikt mit der Ukraine den Minsker Friedenspl­an handhabt, ganz Surkows Devise folgt. Die Richtung der russischen Argumente ist widersprüc­hlich, aber die Ziele streben kaum die im Minsker Vertrag postuliert­e Wiederhers­tellung der ukrainisch­en Souveränit­ät an. Es heißt, Surkow denke für das Donbas an einen Status, wie ihn Hongkong gegenüber China besitzt, nur unbefriste­t. Und sein offensicht­licher Rücktritt hat in Moskau wie in Kiew Debatten entfacht, ob Exvizeprem­ier Dmitri Kosak, der Surkows Job übernehmen soll, die Rebellenre­publiken aus Finanzgrün­den doch der Ukraine überlassen will. Angeblich möchte Surkow aus der Politik in den Medienbere­ich wechseln. s.s.

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