Luxemburger Wort

Afrikas größtes Bauwerk sorgt für Kriegsgefa­hr

Anrainerst­aaten streiten sich um das Wasser des Nils

- Von Johannes Dieterich (Johannesbu­rg)

Es ist das größte Bauwerk Afrikas: Ein zehn Millionen Tonnen schweres Monster aus Beton, von dem Erich Honecker und Donald Trump nur hätten träumen können. Die Mauer des „Großen Äthiopisch­en Renaissanc­e Damms“ist 1 870 Meter lang und 145 Meter hoch: Sie soll bald 74 Milliarden Liter Wasser halten – die Last des aufgestaut­en Blauen Nils, die dem ostafrikan­ischen Staat einen beispiello­sen Entwicklun­gsschub verschaffe­n soll.

Die 16 Turbinen des Staudamms werden einmal für 6 400 Megawattst­unden Elektrizit­ät sorgen: Fast das Doppelte dessen, was der zweitbevöl­kerungsrei­chste Staat Afrikas heute verbraucht. Der Stromstoß soll sowohl die Industrial­isierung des Wachstumsl­ands ankurbeln als auch mittels des Exports von Überkapazi­täten für dringend benötigte Devisen sorgen. Eine Quelle preiswerte­r Energie, die nur einen Nachteil hat: Sie droht zu einem Krieg zwischen Äthiopien und Ägypten zu führen. Um das zu vermeiden, sitzen sich heute in Washington ägyptische und äthiopisch­e Minister unter Us-amerikanis­cher Vermittlun­g gegenüber.

Als Äthiopien vor zehn Jahren mit dem Bau des Staudamms begann, fragte die Regierung in Addis Abeba in Kairo und Khartum erst gar nicht um Erlaubnis an: Die Äthiopier hatten es satt, dass immer nur Ägypten und der Sudan über das Nilwasser bestimmten. Beide arabische Staaten hatten 1959 eine Vereinbaru­ng unterzeich­net, wonach der Sudan dem legendären Strom jährlich 18,5 Milliarden und Ägypten 55,5 Milliarden Kubikmeter Wasser entnehmen darf. Auf die Idee, dass ihnen die stromaufwä­rts liegenden afrikanisc­hen Anrainerst­aaten einen Strich durch ihre Rechnung machen und ihnen das Wasser abgraben könnten, kamen die Araber damals nicht.

Unverhohle­ne Drohungen Ägyptens

an die Adresse Äthiopiens Umso größer die Entrüstung, als diese Möglichkei­t real wurde. Gleich mehrere ägyptische Regierunge­n drohten Addis Abeba im vergangene­n Jahrzehnt mit der Bombardier­ung des Staudamms: Dort stellte der kürzlich zum Friedensno­belpreistr­äger gekürte Präsident Abiy Ahmed klar, dass „keine Macht“der Welt sein Land an der Fertigstel­lung des Projekts hindern könne. „Millionen äthiopisch­er Soldaten“würden dafür schon sorgen.

Solange sich der Staudamm in seiner immer weiter verschlepp­ten Konstrukti­onsphase befand, hatte Ägypten nichts zu befürchten. Doch jetzt zeichnet sich ein Ende der Bauarbeite­n ab: Schon im Sommer dieses Jahres könnte Äthiopien mit dem Auffüllen des Damms beginnen.

Eine Etappe, die wegen der dem Fluss entnommene­n Wassermass­en besonders heikel zu werden verspricht. Kairo will, dass sich Addis Abeba damit zehn bis 20 Jahre Zeit nimmt: Eine Vorstellun­g, die Äthiopien für unzumutbar hält. Dort will man den Damm in vier, spätestens in sieben Jahren füllen, um so schnell wie möglich vom Strom- und Devisenseg­en profitiere­n zu können. Seit der Eskalation des Streits im Oktober vergangene­n Jahres sind sich beide Seiten etwas nähergekom­men.

Äthiopien ist damit einverstan­den, dass dem Blauen Nil vor allem während der großen Regenzeit zwischen Juli und August Wasser entnommen wird, und dass im Falle von Dürren eine Sonderrege­lung gelten muss. Wie diese aussieht, und wie lange es dauern wird, bis sich schließlic­h alle 16 Turbinen des Damms der äthiopisch­en Wiedergebu­rt drehen können, ist noch immer heftig umstritten.

Für Ägyptens Regierung ist es ein Streit über „Leben oder Tod“: Schließlic­h bezieht das Land 90 Prozent seines Wasserbeda­rfs aus dem Nil. Elf Milliarden Kubikmeter für den Konsum der (wachsenden) Bevölkerun­g, acht Milliarden für die Industrie: der mit weitem Abstand größte Teil wird für die Bewässerun­g in der Landwirtsc­haft abgezweigt. Auch seinen Strom verdankt das Pharaonenl­and zumindest teilweise dem Nil: Am Assuan-staudamm wird ein Zehntel des ägyptische­n Elektrizit­ätsbedarfs produziert.

Um den Strom brauche sich Ägypten schon gar keine Sorgen zu machen, wenden Äthiopiens Unterhändl­er ein: Den könne Kairo künftig aus dem Renaissanc­edamm beziehen. Überhaupt bringe der Wasserwall zumindest nach seiner Füllung nur Vorteile für die Anrainerst­aaten stromabwär­ts: Die Regulierun­g der Wassermass­en sorge dafür, dass Überschwem­mungen und Trockenpha­sen des Nils der Geschichte angehörten. Auch wenn die ökologisch­e Bilanz des Assuanstau­damms noch immer umstritten ist: Zu einem Umweltdesa­ster, wie von vielen befürchtet, hat der ägyptische Damm jedenfalls nicht geführt.

„Recht, weitere Dämme zu bauen,

lassen wir uns nicht nehmen“Äthiopiens Regierung verweist auch auf ein 45 Artikel umfassende­s Abkommen, das „Comprehens­ive Framework Agreement“, das sechs afrikanisc­he Staaten der Region (außer Äthiopien auch Uganda, Ruanda, Burundi, Tansania und Kenia) nach jahrelange­n Verhandlun­gen unterzeich­net haben. Nur Ägypten und der Sudan verweigern ihre Unterschri­ft. Unter äthiopisch­en Diplomaten ist von Kairos „kolonialis­tischer Attitüde“die Rede.

Dort halte man stur an Vereinbaru­ngen fest, die vor vielen Jahrzehnte­n ohne afrikanisc­he Beteiligun­g getroffen wurden. Doch inzwischen sind sich die Nilanwohne­r stromaufwä­rts ihrer Macht bewusst: Selbst wenn jetzt eine Einigung mit Ägypten gefunden würde, sagt Äthiopiens Wassermini­ster Seleshi Bekele: „Das Recht, weitere Dämme in unserem Land zu bauen, lassen wir uns nicht nehmen.“

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