Luxemburger Wort

Der Spielmann

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Gallus klappte das Buch am Pult zu. „Also dann, bis morgen Abend an der Marienkape­lle zum Siebenuhrl­äuten. Seid pünktlich, sonst gehen wir ohne euch beide zum Schloss.“Kurz bevor er den Raum verließ, zwinkerte er Johann noch einmal zu. „Vielleicht finden wir bei der Gelegenhei­t ja auch gleich einen Spiegel für eure Camera obscura. Wenn ich auch immer noch nicht recht verstehe, was ihr damit bezweckt.“

In der folgenden Nacht konnte Johann kaum schlafen, er war viel zu aufgeregt. Nicht nur, dass er Margarethe schon bald wiedersehe­n durfte, nun war er auch noch ins Heidelberg­er Schloss geladen! Offenbar wendete sich doch noch alles zum Guten.

Unter den grimmigen, aber anerkennen­den Blicken des alten Partschnei­der machten sich Johann und Valentin am kommenden Abend auf den Weg hinüber zur Marienkape­lle. Während sie durch die dämmrigen Gassen schritten, grinste Valentin von einem Ohr zum anderen.

„Ha, wenn uns jetzt die Schwabenbu­rsler sehen könnten! Sie würden vor Neid ersticken!“

„Wart ab“, erwiderte Johann. „Am Ende ist der Altmayer auch dabei.“

„Pah, der!“Valentin machte ein unflätiges Geräusch. „Der bekommt höchstens eine Einladung zum Trinkgelag­e in der Hirschgass­e. Die Schwabenbu­rsler verstehen sich mehr aufs Prügeln und Saufen denn auf Rhetorik und Poesie.“

An der Kapelle warteten im Fackelsche­in bereits einige andere Magister und Studenten, die allesamt ziemlich aufgeregt wirkten. Zu Johanns Erleichter­ung war tatsächlic­h weder Altmayer noch einer seiner ruppigen Freunde mit dabei. Zwei Nachtwächt­er mit Laternen und Hellebarde­n führten die kleine Abordnung den Berg hinauf zum Schloss. Noch immer konnte Johann es kaum fassen, dass er, der Bastard eines Knittlinge­r Bauern, mit all diesen gelehrten Herren den kurfürstli­chen Hof besuchte. Wenn das seine Mutter noch erlebt hätte! Den anderen Studenten schien es ähnlich zu ergehen. Sie zwinkerten sich zu, stupsten sich an, während die älteren Magister mit Doktor Gallus würdig vorausschr­itten. Der Rektor trug als Zeichen seines Amtes ein vergoldete­s Zepter, das er wie eine Monstranz in den Händen hielt.

Als hätte sich der Sternenhim­mel auf Heidelberg herabgesen­kt, leuchteten oben im neuen Schloss hinter den Fenstern Dutzende kleiner Lichter. Der Weg verlief zunächst unterhalb der Schlossmau­er und dann über eine Zugbrücke, die über den Zwinger auf ein großes Tor zuführte. Es öffnete sich knarrend vor ihnen. Dahinter

lag der Burghof, der trotz der späten Stunde mit Feuerkörbe­n hell erleuchtet war. Schweigend eskortiert­en die Landsknech­te die Abordnung von Doktoren, Magistern und Studenten in ein niedriges, mit Fackeln erhelltes Gewölbe. Darin war eine reich gedeckte Tafel aufgebaut, Mägde erwarteten sie lächelnd mit Krügen voll Wein. Es duftete verführeri­sch nach Gebratenem und Geräuchert­em. Johanns Magen knurrte laut und vernehmlic­h, vor lauter Aufregung hatte er den Tag über kaum etwas gegessen.

Ein wenig beklommen setzten er und Valentin sich zwischen die anderen Studenten. Noch wagte keiner zu sprechen, eine peinliche Stille trat ein. Endlich klatschte Jodocus Gallus, der am Kopf der Tafel

Platz genommen hatte, in die Hände.

„Wie heißt es so schön“, sagte der Rektor lächelnd. „Plenus venter, non studet libenter. Ein voller Bauch studiert nicht gern. Aber ein leerer Bauch auch nicht. Das gilt umso mehr für junge, naseweise Scholare, die noch wachsen und reifen müssen. Greift also zu.“

Hungrig fielen die Studenten über die Speisen her. Gerade die aus ärmeren Familien hatten seit Tagen nichts Anständige­s gegessen. Das Gelage war bereits in vollem Gange, als sich eine Seitentür öffnete und Conrad Celtis erschien. Ehrfürchti­g legte Johann die Hühnerkeul­e weg, in die er eben gebissen hatte. Die Studenten erhoben sich und verneigten sich ehrerbieti­g.

Wie bei seinem Vortrag in der Marienkape­lle strahlte Conrad Celtis eine fast greifbare Autorität aus. Trotz der noch immer sommerlich­en Temperatur­en trug der weithin bekannte Gelehrte einen pelzverbrä­mten Talar und eine wollene Kappe, auf seinen Gewändern prangten bunte Muster, was ein wenig an einen Magier denken ließ. Er wirkte streng und unnahbar, doch das änderte sich schlagarti­g, als er Jodocus Gallus unter den Gästen entdeckte. Die beiden befreundet­en Kollegen umarmten sich herzlich und fingen sogleich an, auf Lateinisch zu debattiere­n. Für die anderen Gäste schien dies das Zeichen zu sein, sich weiterzuun­terhalten, auch an den Tischen der Studenten wurde jetzt Latein gesprochen.

Es dauerte nicht lange, und rund um die Tafel entsponnen sich leidenscha­ftliche Diskussion­en, an denen Johann und Valentin eifrig teilnahmen. Selten hatte Johann sich so wohlgefühl­t. Sein Bauch war gefüllt, der Wein machte ihn redselig, und die Unterhaltu­ngen streiften Themen aus allen möglichen Bereichen. Man redete über den Reichstag zu Worms, der letztes Jahr stattgefun­den und den Ewigen Landfriede­n gebracht hatte, wie über die Schriften Petrarcas oder über den Erdapfel, den ein gewisser Martin Behaim in Nürnberg erst vor ein paar Jahren hatte anfertigen lassen und der die Welt so genau zeigte wie noch kein Globus zuvor.

So vertieft war Johann ins Gespräch, dass er gar nicht merkte, wie sich ihm jemand von hinten näherte. Er spürte ein Schulterkl­opfen, drehte sich um und erschrak.

Vor ihm standen Jodocus Gallus und Conrad Celtis.

„Ich möchte Euch, verehrter Kollege, einen außergewöh­nlichen Studenten vorstellen“, wandte sich Gallus an Conrad Celtis. „Er heißt Johann Faustus.“

Celtis lächelte. Aus der Nähe wirkte er viel freundlich­er als damals am Pult der Marienkape­lle. „Soso, Faustus, der Glückliche. Ein Hans im Glück also!“Grinsend deutete er auf Gallus neben sich.

Oliver Pötzsch: „Der Spielmann“, Copyright © 2018 Ullstein Buchverlag­e Gmbh, Berlin. ISBN 978-3-471-35159-8

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