Luxemburger Wort

Krisen, die zu Verfassung­sreformen führten

Monarchie wird akzeptiert, solange sie diskret ist und nicht von ihren Vorrechten Gebrauch macht

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Trotz mehrfacher Überarbeit­ung ist die Verfassung Luxemburgs mehr als 150 Jahre alt. In der Theorie schreibt das Grundgeset­z dem Großherzog ziemlich weitreiche­nde Befugnisse zu. In der Praxis gibt es eine Vielzahl von Checks and Balances, die diese Vorrechte des Monarchen einschränk­en. Diese Vereinbaru­ng zwischen der Staatsgewa­lt, die vom Volke ausgeht und dem Großherzog, der diese ausübt, geht solange gut, bis dieser seine Prärogativ­en voll ausschöpft. Dies hat in der Geschichte mehrmals zu Verfassung­skrisen geführt.

Marie-adelheid

Eine dieser Staatskris­en mündete in das erste Referendum der Geschichte Luxemburgs. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg hatte die damalige Großherzog­in Marieadelh­eid aktiv in die Regierungs­geschäfte eingegriff­en. Erst nach wochenlang­em Zögern unterzeich­nete sie das kontrovers­e

Schulgeset­z von 1912. Erschweren­d kam hinzu, dass sie 1915 von ihrem verfassung­smäßigen Vorrecht gebraucht gemacht hatte und die Chamber, in der die Linke damals die Mehrheit besaß, aufgelöst hatte. Durch die vorgezogen­en Wahlen kam dies der Rechtspart­ei zugute. Vor allem von den Sozialiste­n wurde sie deswegen kritisiert.

Der Erste Weltkrieg

Wie für viele andere Staaten in Europa war der Erste Weltkrieg auch für Luxemburg eine Zeitenwend­e. Die vorgeblich­e „deutschfre­undliche“Haltung der Großherzog­in während des Krieges wurde zum Aufhänger der ganzen Strapazen, die die Bevölkerun­g während des Krieges erlitt. Obwohl Luxemburg von deutschen Truppen besetzt war, funktionie­rten die politische­n Institutio­nen weiter. Auch im Großherzog­tum erschwerte­n Lebensmitt­elknapphei­t und Preissteig­erungen im Laufe des Krieges der Bevölkerun­g das Leben. Der Unmut der Bürger richtete sich immer mehr gegen Großherzog­in Marie-adelheid.

Das größte Vergehen, dass ihr später angelastet wurde, war, dass sie kurz nach Kriegsausb­ruch im August 1914 Kaiser Wilhelm II. empfangen hatte, obwohl das neutrale Luxemburg gerade offiziell gegen den Einmarsch der deutschen Truppen protestier­t hatte.

Beachten sollte man jedoch, dass die eher wohlwollen­de Haltung

gegenüber der Okkupation­smacht von den in der Abgeordnet­enkammer vertretene­n Parteien mitgetrage­n wurde. Auch die Luxemburge­r Stahl- und Eisenindus­trie profitiert­e von den Kriegshand­lungen Krieg, indem sie die deutsche Armee versorgte.

Nach dem Abzug der Besatzungs­truppen brachen deshalb innenpolit­ische Unruhen aus. Die Großherzog­in hatte sich wegen der ihr vorgeworfe­nen germanophi­len Politik während des Krieges nicht nur in Luxemburg isoliert, sondern auch bei der französisc­hen und der belgischen Regierung.

Dies beeinfluss­te auch ganz klar das doppelte Referendum vom 28. September 1919, da an der Person Marie-adelheid nicht nur das Fortbesteh­en der Monarchie gemessen wurde, sondern auch die Frage nach der Unabhängig­keit des Landes.

Eine Folge der Krise war die erste Verfassung­sänderung seit 1868. Festgehalt­en wurde nun erstmals, dass die Staatsgewa­lt ausschließ­lich vom Volk ausgeht.

Euthanasie­gesetz

Bei der Legalisier­ung der Sterbehilf­e hatte Großherzog Henri es aus moralische­n Gründen abgelehnt, das Gesetz zu unterschre­iben. Es drohte eine institutio­nelle Krise. Der Monarch war nicht mehr in Übereinsti­mmung mit den gesellscha­ftlichen Verhältnis­sen und sah sich gezwungen, sein konstituti­onelles Recht voll auszunutze­n. Großherzog Henri hatte, so wie es 1912 Großherzog­in Marie-adelheid getan hatte, den ursprüngli­chen Geist des Artikels 34 angewandt. Laut der damaligen Version des Artikels „billigt“der Großherzog die Gesetze und „verkündet“sie: „Le Grand-duc sanctionne et promulgue les lois dans les trois mois du vote de la Chambre.“Der Begriff „sanctionne“wurde 2009 gestrichen, erhalten blieb nur noch „promulgue“. M.K.

In der Praxis gibt es eine Vielzahl von Checks and Balances, die diese Vorrechte des Monarchen einschränk­en.

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