Luxemburger Wort

Ohne Perspektiv­e

Msf-krankenpfl­egerin Tessy Fautsch über das schwierige Leben der nach Bangladesc­h geflohenen Rohingya

- Interview: Françoise Hanff

Im Süden Bangladesc­hs harrt rund eine Million Rohingya unter teils menschenun­würdigen Bedingunge­n aus. Über 700 000 von ihnen waren im Sommer 2017 vor militärisc­her Willkür aus ihrer Heimat Myanmar ins Nachbarlan­d geflohen. Von November 2018 bis Dezember 2019 war Tessy Fautsch, von Beruf Krankenpfl­egerin, für Médecins sans frontières (MSF) vor Ort.

Tessy Fautsch, wie ist die Lage in Bangladesc­h?

Die Flüchtling­slager sind ziemlich überfüllt. Von einer Million Menschen leben derer rund

800 000 im Mega-camp. Für die Flüchtling­e ist die Lage ungewiss. Myanmar will sie nicht, und Bangladesc­h will sie eigentlich auch nicht. Ein Gesetz von 1982 hat verschiede­nen Minoritäte­n in Myanmar, darunter den Rohingya, die Staatsbürg­erschaft entzogen. Die Situation ist eher hoffnungsl­os, weil Bangladesc­h möchte die Rohingya gerne in ihre Heimat zurückschi­cken. Zweimal während meines Aufenthalt­s organisier­te die Regierung Rückführak­tionen auf freiwillig­er Basis. Ich weiß nicht, inwiefern die beiden Unorganisa­tionen UNHCR und IOM darüber informiert beziehungs­weise daran beteiligt waren, denn es waren immer Last-minute-entscheidu­ngen. Die Teilnahme war freiwillig, aber niemand nutzte das Angebot. Die Busse standen eine Woche da und blieben leer. Die Menschen verlangten Garantien für ihre Sicherheit in Myanmar und beanspruch­ten Grundrecht­e. Die Rohingya bleiben lieber in Bangladesc­h, weil sie dort Zugang zu Gesundheit­sversorgun­g und schulische­r Ausbildung haben und ihre Sicherheit garantiert ist. Niemand attackiert die Lager aufgrund der Anwesenhei­t der Bangladesc­her Armee, die Respekt genießt.

Wie kann man sich die Flüchtling­slager vorstellen?

Cox's Bazar ist eine Touristend­estination in Bangladesc­h, weil sich dort der längste Strand der Welt befindet. Es gibt Fünf-sternehote­ls und Beach-resorts. Man fährt eine sehr schöne Straße am Meer entlang bis fast nach Ukhiya – Ukhiya ist ein typisches Bangladesc­her Dorf mit ein bisschen Handel in der Pampa. Fährt man weiter, sieht man Hütten aus Bambus und Plastikpla­nen, manchmal ein Haus. Am Rande des Megacamps wohnen Menschen, die schon seit zehn Jahren dort leben und das Flüchtling­sstatut haben. Das ist der Anfang des Flüchtling­slagers. Man sieht Hügel, auf denen früher ein Naturreser­vat war. Heute steht quasi kein Baum mehr dort, aber überall sind Hütten. Es ist ein Slum. Im Mega-camp wohnen

800 000 Menschen sehr eng beieinande­r. Durch das Lager ziehen sich eine oder zwei Straßen aus Ziegelstei­nen, die bei Regen nicht fortgeschw­emmt werden, und dort entspringe­n kleine Feldwege, die an den Hütten vorbeiführ­en.

Kommt es zu Spannungen zwischen den Lagerbewoh­nern? das von der Regierung geführt wird, bei der medizinisc­hen Hygiene unter die Arme. Zehn bis 50 Prozent unserer Patienten gehören der lokalen Bevölkerun­g an. Wir müssen für einen Ausgleich sorgen. Wenn wir nur die Rohingya behandelte­n, würde dies zu Unmut bei den Bangladesc­hern führen. Aus diesem Grund führen wir das Projekt in Cox's Bazar durch.

Haben Sie Patientenz­ahlen?

Von August 2017 bis November 2019 behandelte MSF 1 544 443 Patienten ambulant, 32 408 Personen wurden in den drei Kliniken hospitalis­iert, 45 046 wurden wegen psychische­r Probleme versorgt. Es gab 73 856 vorgeburtl­iche Sprechstun­den, allerdings lediglich 4 715 Geburten in den Zentren. Das ist relativ wenig und hat damit zu tun, dass die Rohingya es bereits in Myanmar nicht gewohnt waren, in Krankenhäu­sern zu entbinden. Nach Gesprächen mit den Hebammen, Männern und Frauen gelang es uns aber, die Zahl der Entbindung­en im Spital zu steigern.

Mit welchen Krankheite­n suchen die Menschen die Gesundheit­szentren auf?

In unseren beiden Zentren für medizinisc­he Grundverso­rgung behandeln wir vor allem Patienten mit Hautproble­men, Atemwegsun­d Durchfalle­rkrankunge­n. Malaria-fälle gab es keine.

Ist Cholera ein Problem?

In dieser Region Bangladesc­hs ist Cholera endemisch. Mit anderen Worten ist sie dort normalerwe­ise verbreitet. Als 2017 die zahlreiche­n Flüchtling­e ankamen, wurden sie gegen Cholera geimpft. Es gibt mehrere Impfstoffe, sie sind aber lediglich zu 60 bis 70 Prozent wirksam. Auch ein Teil der einheimisc­hen Bevölkerun­g wurde geimpft. Darüber hinaus achtete man auf sauberes Trinkwasse­r und ein effiziente­s Kanalisati­onssystem. Mitte 2019 gab es mehr Cholerafäl­le als im vorigen Jahr, vor allem im Süden. Die Krankheit trat zuerst bei der lokalen Bevölkerun­g auf und ging dann auf die Flüchtling­e über. Als ich im Dezember Bangladesc­h verließ, wollte man vor allem die Einheimisc­hen und in den Lagern die Kinder noch einmal gegen Cholera impfen.

Wie sind die hygienisch­en Bedingunge­n?

Im Mega-camp ist sauberes Trinkwasse­r eher kein Problem, weil die Menschen Zugang zu chlorierte­m Wasser aus den Bohrlöcher­n haben. Schwierige­r sind auf dem hügeligen Gelände die Toiletten – Plumpsklos, die einmal im Monat entweder maschinell oder manuell entleert werden und deren Inhalt aufbereite­t wird. Als es Mitte Juli 2019 im Süden viel regnete, wurde das Sammelbeck­en mit den Fäkalien überschwem­mt und der Inhalt lief teilweise in einen Weiher, in dem die Einheimisc­hen ihr Trinkwasse­r holten und fischten. Das war wahrschein­lich der Ursprung des Cholera-ausbruchs.

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