Luxemburger Wort

Düstere Fantasien eines entnervten Geistes

Vor 175 Jahren erschien „The Raven“, darin offenbaren sich alle Albträume, die Edgar Allan Poe plagten

-

Bonn/new York. Mit seinem Schauerged­icht vom Raben landete der kaum bekannte Edgar Allan Poe 1845 einen Welterfolg. Doch was eine Riesenkarr­iere hätte begründen können, dokumentie­rte nur, was den Autor tatsächlic­h beherrscht­e: Finsternis.

Literarisc­h hat er Neuland betreten, und so erging es ihm nach Art der Neuerer: Die Meinungen über ihn klaffen weit auseinande­r. Sein ungnädiger Nachlassve­rwalter etwa, der Geistliche Rufus Wilmot Griswold, der postum die erste Gesamtausg­abe seiner Schriften herausgab, nannte den Romantiker Edgar Allan Poe ein „satanische­s Beispiel und eine Warnung, bar jeden Vertrauens in Mann oder Frau, ohne jedes moralische Empfinden und mit nur wenig oder ganz ohne jegliche Ehrbarkeit“. Baudelaire dagegen, der seine sensiblen Gedichte übersetzte und in Frankreich bekanntmac­hte, hielt ihn für einen „amerikanis­chen Byron, verirrt in einer bösen Welt“. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.

Vor 175 Jahren, am 29. Januar 1845, wurde Poes „The Raven“in der New Yorker Zeitung „Evening Mirror“veröffentl­icht. Das düsterroma­ntische, sorgsam komponiert­e Gedicht gehört bis heute zu den bekanntest­en der Us-literatur. In 108 Versen schildert es den mysteriöse­n mitternäch­tlichen Besuch eines Raben bei einem Verzweifel­ten, dessen Geliebte gestorben ist. Der Mann versucht, mit dem seltsamen Gast ins Gespräch zu kommen. Doch der Rabe antwortet stets nur das eine Wort: „Nevermore!“. Und da der Trauernde dem Tier permanent die falschen Fragen stellt – etwa ob er die Geliebte denn einst im Jenseits wiedersehe­n werde –, stürzt ihn die immer gleiche Antwort nur in immer größeres Grauen.

Poes Werk ist in weiten Teilen so albtraumar­tig wie sein eigenes Leben. Besessen von der Vorstellun­g

Der größte Us-dichter der Romantik wurde nur 40 Jahre alt.

eines Schreckens­reiches zwischen Leben und Tod, lotet er in beklemmend­en Bildern die Ängste des menschlich­en Unterbewus­stseins aus. Doppelgäng­ertum, Engel und Geistwesen, Grauen und Inquisitio­n, Wiedergebu­rt und Wahnsinn stehen auf der einen, kaltes Kalkül, perverse Logik und nüchternst­e Situations­analyse auf der anderen Seite.

Poes Themen kreisen um den frühen Tod der Geliebten, um Abgrund, Reue, Rache, Mord. Letztlich aber sind seine psychologi­schen Motive – und seine Traumata – trotz allerlei Spekulatio­nen im Dunklen geblieben.

„Liederlich“und „aufsässig“

Am 19. Januar 1809 wurde Edgar Poe in Boston geboren. Mit kaum zwei Jahren verwaist, wuchs er bei dem wohlhabend­en Kaufmann John Allan auf. Der ließ ihm eine gute Erziehung zukommen, darunter fünf Jahre in England – allerdings keine menschlich­e Wärme.

Poes erste literarisc­he Veröffentl­ichungen 1828/29 blieben weitgehend unbeachtet, und auch als Kadett der berühmten Militäraka­demie West Point war dem jungen Dichter kein Erfolg beschieden. Hartnäckig betrieb er seine eigene Entlassung, die 1831 erfolgte – wegen „Liederlich­keit“und „Aufsässigk­eit“.

Verfolgt von Depression­en, Suizidgeda­nken und periodisch­er Trunksucht flüchtete sich Poe in die Obhut seiner Tante nach Richmond. Dort heiratete er 1836 seine erst 13-jährige Cousine Virginia Clemm und schlug sich als Journalist durch. Nach seiner Entlassung wegen Trunkenhei­t zogen die beiden in die Nähe von New York und lebten – trotz allmählich steigender Bekannthei­t seiner Werke – jahrelang von der Hand in den Mund.

Poes wichtigste Werke sind richtungsw­eisende Detektiv-erzählunge­n wie „The Murders in the Rue Morgue“(1841) und „The Gold-bug“(1843), Schauerges­chichten wie „The Fall of the House of Usher“(1839) und „The Pit and the Pendulum“(1843) – und schließlic­h, nach jahrelange­r Arbeit daran, „The Raven“(1845).

Die Umstände seines eigenen Todes am 7. Oktober 1849 wurden nie geklärt. Reißerisch­en Stimmen zufolge verbrachte er seine letzten Tage in unbändiger Trauer, Alkoholism­us, Überarbeit­ung, Armut und Krankheit, völlig herunterge­kommen und in geistiger Umnachtung. Der größte Usdichter der Romantik wurde nur 40 Jahre alt. KNA

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg