Gegen das schlechte Gewissen
Radteam Deceuninck-quick Step macht einen ersten Schritt in Richtung Klimaneutralität
Das Klima befindet sich im Wandel. Das müssen gar die Skeptiker anerkennen. Kein Tag vergeht ohne Klimaschlagzeile. Die schwedische Aktivistin Greta Thunberg wurde vom „Time“-magazin zur Person des Jahres ernannt, Klimahysterie in Deutschland zum Unwort des Jahres 2019 gewählt und die Umweltsau-polemik hat in der Bundesrepublik für heftige Debatten und erhitzte Gemüter gesorgt.
Eine Tatsache ist nicht von der Hand zu weisen: Die vom Menschen verursachten Veränderungen sorgen für einen besonders schnellen Wandel mit immer bedrohlicheren Folgen für Mensch und Natur. In Zeiten von anvisierten Klimazielen und einer mehr oder weniger ambitionierten Energiepolitik kann das Fahrrad ein (kleines) Puzzlestück auf dem Weg zur Besserung sein. Denn: Radfahren ist umweltschonend – und gesund dazu.
Vor einer besonderen, weil ambivalenten Situation stehen die professionellen Radteams. Alessandro Tegner, Kommunikationschef der Mannschaft Deceuninckquick Step, erklärt die Widersprüche. „Im Vergleich zu vielen anderen Sportarten hat der Radsport eine fast einzigartige Beziehung zur Umwelt. Die Natur ist unser Stadion. Wir müssen sie pflegen und nach ihr schauen“, sagt der Italiener. Tegner weiß aber auch: „Als Mannschaft reisen wir pro Jahr Tausende von Kilometern und setzen dabei eine große Menge an Energie und Schadstoffen frei.“
Die Natur ist unser Stadion. Wir müssen sie pflegen und nach ihr schauen.
Alessandro Tegner, Kommunikationschef von Deceuninck-quick Step.
325 000 Kilometer
Die Statistiken des belgischen Topteams aus dem Jahr 2019 sind kolossal: 272 Renntage in 20 verschiedenen Ländern standen auf dem Programm. Bei 79 Rennen wurden von 28 Fahrern 325 000 km abgespult. Besonders frappierend sind die Zahlen in Sachen Material. 280 Fahrräder, 180 Helme, 750 Trikots, 2 000 Futterbeutel und nicht weniger als 27 000 Trinkflaschen hat die Mannschaft Deceuninck-quick Step benötigt.
„Wir müssen Verantwortung übernehmen“, sagt Tegner. Dazu wurde eine Nachhaltigkeitskampagne (#itstartswithus) gegründet. Das Ziel ist ambitioniert: Die Mannschaft will das erste klimaneutrale Radsportteam werden. Tegner erklärt: „Wir sehen dies als langfristigen Prozess, der dazu führen soll, die Leute zu erziehen und deren Gewohnheiten zu ändern. Es geht dabei nicht nur um eine Sache“, sagt Tegner und führt hinzu: „So, wie wir alles gemeinsam als Team erledigen, so wollen wir auch hier, dass alle involviert werden: die Fahrer, der Betreuerstab, die Verantwortlichen, die Sponsoren und die Fans.
Damit die Ökobilanz effizient verringert werden kann, musste diese erst einmal ermittelt werden. Deceuninck-quick Step hat sich an die Beratungsfirma CO2 logic gewandt. Das Ergebnis: Der ökologische Fußabdruck der Mannschaft belief sich im vergangenen Jahr auf 1 288 Tonnen Kohlenstoffdioxid. Eine Zahl, die dem Co2-wert entspricht, der bei 539 Hin- und Rückflügen von Brüssel nach New York freigesetzt wird! Oder: 179 Autos müssten die Welt umrunden, um ungefähr auf einen ähnlichen Wert zu kommen.
Das klingt nach viel. Und es ist es auch. „Es ist nicht einfach, auf der einen Seite klimaschützende Projekte zu lancieren, ohne auf der anderen Seite die Schwierigkeiten und die unausweichliche Heuchelei anzuerkennen, die es mit sich bringt, ein international funktionierendes Team in unserem Sport zu sein.“Radprofi James Knox bringt die Gefühlswelt vieler Radprofis auf den Punkt. Sein Teamkollege Bob Jungels erklärt: „Unter
uns Fahrern ist der Klimaschutz schon länger ein Thema. Wir wollten etwas bewegen und ein Vorbild sein.“
Deceuninck-quick Step engagiert sich unter anderem, weniger Plastik zu benutzen, mehr zu recyceln, den Energieverbrauch zu reduzieren, noch mehr auf das Fahrrad als Transportmittel zu setzen und mehr biologisch abbaubaren Müll zu produzieren.
Hinzu kommt die Klimakompensation, ein durchaus kontrovers diskutiertes Instrument zum Klimaschutz, das entstehende Schadstoffemissionen ausgleichen soll. Der Handel mit Zertifikaten boomt. Deceuninck-quick Step und seine Partner investieren in zwei Projekte. Im Kaliro-distrikt in Uganda soll die Wasserversorgung gewährleistet und verbessert werden. Eine einfache Versorgung mit sauberem Wasser durch Bohrlöcher sorgt dafür, dass das Wasser
nicht extra auf umständlichen Wegen angeliefert werden muss. Zudem werden keine Wälder abgeholzt, damit das Wasser mittels Verbrennen des Holzes gekocht werden kann.
Vielflieger Marquinhos
Interessant ist ebenfalls die zweite Kompensationsmaßnahme. Die Kampagne #itstartswithus unterstützt vom Centre régional de la propriété forestière entwickelte Aufforstungsprojekte in der Gegend um den Mont Ventoux. Dort sollen auch wieder vermehrt Wölfe angesiedelt werden, ein Tier, das dem Deceuninck-team, das sich gerne als Wolfsrudel bezeichnet, ganz besonders am Herzen liegt.
Es bewegt sich also etwas. Das Deceuninck-team macht es vor. Das schlechte Gewissen ist zu groß geworden. Klimaneutralität mag ein hochtrabender Begriff sein, doch jede einzelne Maßnahme – egal, wie klein sie sein mag – ist erst einmal ein begrüßenswerter Schritt. Die eingeleiteten Maßnahmen treffen den Nerv der Zeit.
Andere Sportvereine engagieren sich ebenfalls: Der 1. FSV Mainz 05 ist seit 2010 klimaneutral, vor allem dank großer Solardachund Fotovoltaikanlagen auf dem Tribünendach. Apropos Fußball: Die Ausnahmekönner fliegen viel und verursachen so einen gewaltigen Co2-ausstoß. Sie spielen national und international, reisen für die Champions League quer durch Europa und für Länderspiele in ihre Heimat. Beim Brasilianer Marquinhos von Paris SG kamen in einem Jahr beeindruckende 111 000 km und ein Ausstoß von 53,5 Tonnen CO2 zusammen – nur mit der Fliegerei. Ob mit oder ohne Flugscham, klimaschädigend ist dies auf jeden Fall.