Schatzkästlein im blauen Meer
Die schwedische Insel Gotland lockt vor allem Kreuzfahrer und Sonnenhungrige an
Berühmte Metropolen wie Stockholm, Helsinki und Sankt Petersburg locken viele Entdeckungsfreudige zu einer Ostseekreuzfahrt. Ein eher beschauliches und dennoch spannendes Ziel auf einer solchen Rundreise ist die schwedische Insel Gotland, ein echtes Schmuckstück im nordeuropäischen Binnenmeer.
Visby, der Hauptort Gotlands, einst wichtige Hansestadt und seit 1995 Unesco-weltkulturerbe, beeindruckt den Besucher vor allem durch seine sehr gut erhaltene mittelalterliche Architektur. In Almedalen (Ulmental) beginnt die Entdeckungstour. Hier, außerhalb der Stadtmauern von Visby, befand sich zu Hansezeiten der Hafen, der im Laufe der Jahrhunderte versandete und weiter entfernt von der Stadt, wo die Ostsee noch tiefer war, wieder aufgebaut wurde. Noch lange danach wurde der Platz deshalb „Alter Hafen“genannt. Seine jetzige Bezeichnung verdankt er den Ulmen, die 1870 hier gepflanzt wurden und sein Schicksal als Park begründeten.
Entlang der von Kornspeichern gesäumten Strandstraße führt der Spaziergang zum Pulverturm von anno 1151, Visbys ältestem Bauwerk. Nur wenig jünger sind die anderen Teile der Verteidigungsanlage, die das Bild der einst so mächtigen Hansemetropole immer noch prägt.
Gästekirche mit Warenlager
In der heute mit 23 000 Bewohnern eher verträumten Kleinstadt wirken die gewaltigen Bauten und ihre Überreste wie Filmkulissen. Neben den wuchtigen Wehrtürmen der 3,6 Kilometer langen Ringstadtmauer erweckt vor allem die Ruine der gotischen Visborg, einer im 15. Jahrhundert unter dem dänischen König Erich von Pommern gebauten Festung, diesen Eindruck. Vom früheren Reichtum der Hansestadt mitten in der Ostsee kündet neben prächtigen Kaufmannshäusern und Sakralbauten der von den Gotlandfahrern gebaute Dom Sankt Marien, dessen Geschichte bis ins zwölfte Jahrhundert zurückreicht. Das der Jungfrau Maria geweihte Gotteshaus wurde lange Zeit nur von seinen Erbauern als reine Gästekirche genutzt.
Bei den Gotlandfahrern handelte es sich um deutsche Kaufleute zur See, die Visby im Mittelalter als zentralen Umschlagplatz im Ostseehandel zwischen den Hansestädten der südlichen Küste sowie denen in Russland und dem Baltikum nutzten. Auf ihren Koggen wurde das Geld für den späteren Dom gesammelt.
Da die seefahrenden Händler praktisch dachten, berücksichtigten sie beim Bau der Kirche auch eine sichere Unterbringungsmöglichkeit für wichtige Waren – und zogen ein Extra-stockwerk als Lagerboden ein. Daran erinnern noch heute die alten Windenhaken an der Domfassade. In sie wurden die Flaschenzüge mit der Ware gehängt und nach oben befördert. Auch die gemeinsame Kasse des Hansekontors von Nowgorod wurde hier zeitweilig aufbewahrt.
Erst mit der dauerhaften Ansiedlung vieler aus Lübeck, Hamburg und Bremen stammenden Kaufleute wurde Sankt Marien zur Gemeindekirche der deutschen Bevölkerung Visbys, 1572 zur Bischofskirche. Sein jetziges, vornehmlich barockes Erscheinungsbild erhielt das von vielen Baustilen geprägte Gotteshaus vor allem durch die Turmhauben im 18. Jahrhundert.
Nach einem fantastischen Panoramablick vom Galgenberg auf Dom, Altstadt und Ostsee geht es wieder bergab durch enge, mittelalterliche Kopfsteinpflastergassen in eine weitere grüne Oase, den Botanischen Garten.
1855 von einer humanistischen Gesellschaft gegründet, profitiert die kleine, aber sehenswerte Anlage heute von zahlreichen alten Gewächsen. In dem milden, fast mediterranen Klima auf der sonnenreichen Ostseeinsel gedeihen Magnolien, Maulbeer-, Feigen-, Walnuss-, Tulpen-, Taschentuchbäume und viele andere südliche
Pflanzen. Zu den Publikumslieblingen gehören eine Rosensammlung, der älteste Steingarten Schwedens mit einem hübschen Pavillon sowie die fast komplett von Efeu überwucherte Ruine der Sankt-olaf-kirche, einst so groß und mächtig wie der Dom.
Zu Besuch bei Pippi
Ein weiterer Ausflug führt nach Mittelgotland. Von Visby an der Westküste geht es in südöstlicher Richtung ins geografische Zentrum der Insel auf dem durchschnittlich nur rund 55 Meter hoch gelegenen Kalksteinplateau. Der erste Stopp erfolgt in Dalhem, wo es einen mächtigen Kirchenbau aus dem zwölften Jahrhundert mit reich geschmücktem Portal zu bestaunen gibt. Nur einige Kilometer weiter warten die Ruinen des Klosters Roma sowie die ländlichen Kirchen von Väte und Mästerby auf Gäste.
Zurück an der Westküste werden zwei malerische Fischerdörfer besichtigt. Neben dem winzigen Klintehamn beeindruckt Gnisvärd, einst größtes Dorf Gotlands, mit seinen ungefähr 40 typischen Hütten, dem Netztrockenplatz und einer steinernen Strandkapelle. Unweit davon entfernt liegen die „Schiffssetzungen bei Gnisvärd“, erstaunlich gut erhaltene ovale „Schiffsgräber“aus der Bronzezeit. Die bedeutendste der rund 3 000 Jahre alten Begräbnisstätten ist 47 Meter lang und sieben Meter breit.
Von dem Gräberfeld ist es nicht weit bis zu Högklint, einer bis zu 45 Meter steil aufragenden Kalkklippe, die einen großartigen Ausblick auf Gotlands Westküste bietet. Bevor der Bus wieder in Visby hält, passiert er Kneippbyn. In dessen Freizeitpark steht die legendäre Villa Kunterbunt aus den berühmten Pippi-langstrumpffilmen. Ursprünglich stand das Häuschen an einem militärischen Übungsplatz in der Nähe von Visby und wurde als Verwalterwohnung genutzt. Die meisten Filmszenen nach Astrid Lindgrens beliebtem Kinderbuch drehte Regisseur Olle Hellborn 1968 auf Gotland. Heute dient es als Drehort für Krimiserien wie „Der Kommissar und das Meer“.
Visby, der Hauptort Gotlands, war einst eine Hansestadt und ist seit 1995 Unescoweltkulturerbe.