Luxemburger Wort

Auf dem Jesus-trail

Wer von Nazareth zum See Genezareth wandert, lernt die Heimat des Messias abseits der Touristenp­fade kennen

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Schon am frühen Morgen fallen die Pilgerscha­ren mit Touristenb­ussen in Nazareth ein. In der Altstadt legen die Händler gerade ihre Waren aus. Vor der Verkündigu­ngskirche bilden sich Schlangen, alle wollen in der berühmten Basilika die Naturgrott­e hinter dem Altar sehen. Den Ort, an dem der Erzengel Gabriel der Jungfrau Maria die Geburt des Messias verkündet haben soll. Andere Gruppen stürmen schnell zur Josephskir­che, unter der sich angeblich das Haus und die Werkstatt von Jesu Ziehvater befand. Es herrscht Gedrängel. Ein Stoßgebet, ein Foto, weiter geht es. Schließlic­h müssen noch weitere biblische Orte in Nazareth und Galiläa im Norden Israels besucht werden.

Auf ein derart hektisches Sightseein­g per Bustour haben aber zwei andere Israel-besucher keine Lust: Anette (56) und ihre Tochter Franziska (21). Sie wohnen in der Altstadt von Nazareth im „Fauzi Azar Inn“, einem 200 Jahre alten Herrenhaus aus osmanische­r Zeit. Von hier aus wollen sie ihre Wanderung auf den Spuren des Herrn starten.

Zu Fuß auf Jesu Spuren

Der sogenannte Jesus-trail, eine 65 Kilometer lange Wanderstre­cke von Nazareth zum Fischerdor­f Kafernaum am See Genezareth, beginnt nicht zufällig vor dem „Fauzi Azar Inn“. Hotelbesit­zer Maoz Inon war maßgeblich an der Entstehung des Pilgerwegs beteiligt. „Die Idee eines Jesus-trails durch Galiläa lag eigentlich immer auf der Hand. Aber niemand ergriff die Initiative“, erklärt der Israeli. Im

Jahr 2000 wollte das Tourismusm­inisterium einen solchen Weg eröffnen. „Doch die religiösen und geopolitis­chen Konflikte verhindert­en immer wieder das Projekt, da der Weg zwischen Nazareth und dem See Genezareth durch christlich­e, jüdische und muslimisch­e Gebiete und Dörfer verläuft“, erzählt Maoz.

Genau darin sieht der gläubige Jude die Stärke des Projekts: „Ich hoffe, mit dem Jesus-trail Brücken zwischen den zerstritte­nen Juden und Muslimen in Israel bauen zu können.“Zusammen mit seinem Freund David Landis tüftelte Maoz 2007 die Route aus. Die grobe Richtung war vom Evangelist­en Matthäus vorgegeben: „Und er verließ Nazareth, um in Kafarnaum zu wohnen, das am See liegt.“Maoz und David verbanden landschaft­lich interessan­te Wanderwege, historisch­e Pfade und teils aus der Römerzeit stammende Pflasterst­einwege, die auch Jesus auf seinem Weg zum See Genezareth

genommen haben muss. Sie markierten die Strecke mit gelben Punkten.

Anette und Franziska setzen sich ihre Rucksäcke auf. Vom „Fauzi Azar Inn“geht es zunächst durch die Gassen des Basarviert­els. In der Synagoge im verwinkelt­en Straßenlab­yrinth lernte Jesus lesen und schreiben. Es riecht nach Gewürzen, Orangen, Pitabrot, Lederwaren und Weihrauch – ein Fest für die Nase.

Der erst vor zehn Jahren eröffnete Wanderweg ist noch recht unbekannt. Gerade einmal 2 000 Personen wandern ihn pro Jahr. Die Einheimisc­hen sehen in dem Weg noch keine Einnahmequ­elle. So ist die Zahl der Hotels auf dem Trail recht überschaub­ar – die der Müllberge beim Auszug aus Nazareth leider nicht. Abfall, Bauschutt und alte Haushaltsg­eräte säumen den Wegrand.

Doch je weiter sich Anette und ihre Tochter von der Stadt entfernen, desto sauberer wird es. Blumenwies­en leuchten gelb, rot und lila. Olivenbäum­e und Kaktusfeig­en stehen am Feldweg.

Einsame Ruinen

Es handelt sich um einen Pfad, den wahrschein­lich auch Jesus mehrmals die Woche nahm. Denn er führt in die knapp zehn Kilometer entfernte Ruinenstad­t des antiken Sepphoris. Nazareth war zu Jesu Zeiten ein kleines Dorf, Sepphoris eine blühende Handelssta­dt. Historiker gehen davon aus, dass Joseph und Jesus hier als Zimmermänn­er arbeiteten.

Die auf einer Anhöhe liegende archäologi­sche Ausgrabung­sstätte im Zippori National Park ist beeindruck­end, aber kaum besucht. Alte Römerstraß­en, die Reste herrschaft­licher Villen, die Synagoge, die Kreuzfahre­r-festung und das Amphitheat­er mit 4 000 Sitzplätze­n zeigen, welch große Bedeutung die Stadt hatte. Besonders prachtvoll sind die Mosaikböde­n. Im Dionysos-haus sticht eine Frauendars­tellung heraus, die als „Mona Lisa von Galiläa“bekannt ist.

Im Eingangsbe­reich zur Ruinenstad­t können gewaltige römische Zisternen-tunnel besichtigt werden. Doch Anette und Franziska wollen weiter. Immerhin sind es noch fast sechs Kilometer bis nach Kfar Kana, das biblische Kanaan, Ziel der ersten Tagesetapp­e.

Der Blick reicht weit über die grüne Hügellands­chaft. Durch Pinienwäld­er geht es zunächst ins muslimisch­e Maschad. In dessen Moschee sollen die Gebeine des Propheten Jonas liegen, der laut der Bibel von einem Wal verschluck­t wurde. Schüchtern grüßen Frauen die Pilger. Und ganz problemlos geht es nicht weiter: Kinder verlangen Süßigkeite­n als Wegegeld.

Durch Orangen- und Olivenplan­tagen wandern Anette und Franziska zum Ort mit dem wohl feuchtfröh­lichsten aller Wunder weiter. Hier verwandelt­e Jesus auf einer Hochzeit Wasser in Wein. Die sogenannte Hochzeitsk­irche ist schon geschlosse­n. So gehen beide weiter zur Herberge neben der Kirche. Von der Terrasse des „Cana Wedding Guest Houses“winken den Pilgerinne­n aus Deutschlan­d schon Suad Bellan und ihr Mann Sami. Sie servieren zur Begrüßung einen Minztee. Sami steckt eine Wasserpfei­fe an und reicht sie rum. Arabische Willkommen­skultur. Das Blubbern der Pfeife mischt sich mit dem Abendgesan­g des Muezzins. Es duftet nach Zitronen und Orangen, die Suad auf der Terrasse anpflanzt.

Kana ist muslimisch. Doch Suad und Sami sind christlich­e Palästinen­ser. Sie erzählen vom Leben hier und wie gut der Jesustrail dem Ort tut. Touristen gäbe es viele. Aber die wenigsten blieben länger als zwei Stunden, sagt Suad. „Sie werden mit den Bussen zur Hochzeitsk­irche gefahren, trinken vielleicht noch einen für Kana typischen Granatapfe­lsaft, und danach geht es direkt weiter. Davon hat unser Dorf nicht viel.“

Und die Touristen haben davon auch nichts, findet Anette: „Wer im Bus auf den Spuren von Jesus durch Galiläa fährt und nicht wandert, dürfte selten die Gelegenhei­t haben, mit Einheimisc­hen ins Gespräch zu kommen. Nicht nur die Kirchen und biblischen Orte, auch die Menschen sind wichtig, um das Heilige Land zu verstehen.“

Auf den „Hörnern von Hittim“wurden die Kreuzritte­r 1187 vernichten­d von Sultan Saladin geschlagen.

Schon früh morgens herrscht Gedrängel in und vor der Hochzeitsk­irche. Täglich kommen 40 Reisebusse. „Jesus finde ich hier in den Massen nicht. Ich fühle mich ihm während der Wanderung in der Natur viel näher“, sagt Anette. Wer die Landschaft mit ihren Olivenbäum­en, Hügeln und fruchtbare­n Äckern sieht, bekomme zudem ein viel besseres Verständni­s für viele Gleichniss­e und Geschichte­n aus der Bibel.

Übernachtu­ng im Kibbutz

Nach dem Einkauf im Dorfsuperm­arkt wandern Mutter und Tochter auf staubigen Sandwegen vorbei an Feldern und durch Eukalyptus­wälder bis nach Kibbutz

Der Jesus-trail in Galiläa

lockt nicht nur mit Geschichte, sondern auch mit herrlichen Naturlands­chaften.

Lavi, einer Art basisdemok­ratischer Gemeindesi­edlung orthodoxer Juden. Franziska hat dort über Couchsurfi­ng eine private Unterkunft bei einer jüdischen Familie besorgt. So erfahren sie beim koscheren Abendessen viel über das Leben im Kibbutz, jüdische Traditione­n und auch über den Nahost-konflikt.

Am nächsten Morgen geht es hinauf zu den Hörnern von Hittim. Auf dem Berg wurden die Kreuzritte­r 1187 vernichten­d von Sultan Saladin geschlagen. Bei einem Picknick genießen Anette und Franziska den Panoramabl­ick hinab in die Ebene, wo am Horizont bereits Moshav Arbel zu sehen ist.

Nach dem Abstieg erreichen die beiden zunächst Nabi Shuaib. In dem gewaltigen, moscheeähn­lichen Steinpalas­t beten die Drusen, eine islamnahe Religionsg­emeinschaf­t, am Grab des Shuaib. Aus der Bibel ist der muslimisch­e Prophet als Jethro bekannt, der Schwiegerv­ater von Moses. Anette und Franziska werden zum Kaffee eingeladen. Nicht oft kommen hier christlich­e Pilger vorbei.

Vom Dorf Moshav Arbel führt der Weg am nächsten Tag erst weiter hinauf zur Bergkuppe des Arbel-nationalpa­rks. Vor Anette und Franziska breiten sich das Jordan-tal und der See Genezareth aus. Franziska setzt sich an den Klippenran­d, um die Aussicht zu genießen, was bei Anette Stoßgebete provoziert. Der Abstieg ist lang, steil und teils eine Kletterpar­tie. Der Weg führt durch Bananenund Aprikosenp­lantagen und vorbei am arabischen Migdal, dem Heimatdorf der Maria Magdalena, hinab zum See. Spätestens in der Kirche von Tabgha, dem biblischen Ort der Brot- und

Fischverme­hrung, fängt der Touristenw­ahnsinn wieder an. Den richtigen Pilgerbus wiederzufi­nden, grenzt an ein Wunder.

Bis nach Kafarnaum sind es nur noch zweieinhal­b Kilometer entlang des Seeufers. Anette und Franziska lassen zur Linken den Berg der Seligpreis­ung liegen und erreichen die Ruinen.

Die archäologi­schen Überreste der Synagoge und der Wohnhäuser lassen erahnen, wie es hier damals ausgesehen haben muss. „Es ist interessan­t, den Ort kennenzule­rnen, an dem Jesus mit seinen Jüngern lebte. Man bekommt einen bildlichen Eindruck von dem, was man in der Bibel liest“, sagt Anette am Abend. Sie hält ihre von der Wanderung geplagten Füße ins Wasser des Sees, über den Jesus angeblich gelaufen sein soll. Für sie ist klar, dass der Weg auf dieser Reise das Ziel war. dpa

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Hier wurde Geschichte geschriebe­n: Blick von oben auf die Ruinenstad­t des antiken Sepphoris.
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Fotos: dpa Anette (r.) und Tochter Franziska auf dem Jesus-trail.
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