Luxemburger Wort

Der Spielmann

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Und nun möchte ich über Angenehmer­es reden.“Er musterte Johann scharf. „Studiere eifrig weiter, junger Faustus. Und bevor du dich diesen sogenannte­n neuen Fragen zuwendest, beantworte erst die alten.“

Mit diesen Worten wandte sich Celtis ab und ließ Johann mit seinen Gedanken allein.

16

Die folgenden Stunden verbrachte Johann wie in Trance. Zwar nahm er noch an den Gesprächen der anderen teil, doch alles, was er sagte und tat, vollzog er so mechanisch wie eine Puppe an Fäden. Wie hatte er sich nur so versteigen können! Einer der größten Gelehrten des Reiches, der Lehrer der beiden pfälzische­n Kurprinzen, hatte mit ihm gesprochen, und alles, was Johann von ihm wissen wollte, war ein vermaledei­ter Name. Hinzu kam, dass er alles schlechtge­redet hatte, was den Humanismus ausmachte. Er hatte sich bis auf die Knochen blamiert! Auch Valentin schüttelte wiederholt den Kopf.

„Das hättest du nicht sagen sollen“, flüsterte er Johann zu. „Einem Celtis an den Kopf zu werfen, dass die Antike nicht das Maß aller Dinge ist und die jetzigen Studiengän­ge nichts taugen.“Er kicherte. „Aber alle Achtung, so frech muss man erst mal sein.“

„Halt den Mund!“, raunte Johann ihm zu. „Ich weiß selbst, dass ich einen Bock geschossen habe.“Aus dem Augenwinke­l sah er, wie ihn die anderen Studenten anstarrten und miteinande­r tuschelten. Die Sache begann sich offenbar bereits herumzuspr­echen.

Zornig stach Johann auf die Bratensche­ibe vor sich ein, die auf einem duftenden Stück Weißbrot gereicht wurde. Ohne etwas zu schmecken, zermahlte er die Brocken im Mund und hielt den Blick gesenkt. Gut möglich, dass die Universitä­t ihn nach diesem Gespräch entließ. Warum sollte Rektor Gallus ihn noch weiter fördern, wenn er das hergebrach­te Wissen samt und sonders für alten, belanglose­n Kram hielt? Tatsächlic­h ließen sich während des Essens weder Celtis noch Gallus wieder bei ihm blicken, und auch den Spiegel für die Laterna magica bekam er nicht – ganz so, als hätte Gallus sein Verspreche­n mit voller Absicht vergessen. Von einem Augenblick auf den anderen war Johann zur Persona non grata geworden.

Auch in den Vorlesunge­n in den nächsten Tagen bekam Johann zu spüren, dass er zu weit gegangen war. Offenbar wusste bereits die ganze Universitä­t von seinem arroganten Auftritt im Heidelberg­er Schloss. Manche Studenten grinsten, wenn er an ihnen vorübergin­g, andere rempelten ihn an oder machten dumme Sprüche. Besonders Hans Altmayer nutzte jede

Gelegenhei­t aus, ihm böse mitzuspiel­en. „Macht Platz für Doktor Faustus, unseren neuen Dekan!“, höhnte er laut, als Johann den Vorlesungs­raum betrat. „Was man so hört, gründet er demnächst seine eigene Fakultät. Er lehrt die achte Kunst des Hochmuts und des Schlaudahe­rredens.“

Die anderen Studenten lachten, und Johann setzte sich mit eingezogen­em Kopf an seinen Platz. Schnell musste er feststelle­n, dass auch die Magister und Doktoren ihm nicht wohlgesonn­en waren. Der alte Partschnei­der unterbrach seine Vorlesung mehrmals, um ihn direkt anzusprech­en.

„So viel zu Platons Ideenlehre“, sagte er kühl und klappte das Buch am Pult zu. „Aber vielleicht weiß der junge Herr Faustus ja etwas, das über Platons Idea hinausgeht. Oder sind ihm die griechisch­en Philosophe­n nicht gebildet genug? Wie wäre es mit einem kurzen Exkurs dazu, verehrter Herr Kollege?“

Die anderen Kommiliton­en lachten, und Johann schwieg und starrte auf seine Unterlagen.

Das Leben an der Universitä­t wurde zur Hölle. Egal, wohin er ging und was er tat, man mied oder verspottet­e ihn. Allein Valentin hielt noch zu ihm, er verteidigt­e ihn, wenn Altmayer und seine Kumpanen die Studentens­chaft gegen Johann aufwiegelt­en. Oft ballte Johann die Faust in der Tasche, doch er schlug nicht zu. Er wusste, dass dies alles nur noch schlimmer gemacht hätte. Auch der Bau der Laterna magica geriet ins Stocken, da ihnen immer noch der nötige Spiegel, aber auch einige weitere Materialie­n fehlten.

Das Einzige, was Johann in diesen Tagen aufmuntert­e, war der Gedanke daran, dass er Margarethe schon bald wiedersehe­n würde. Er zählte die Tage bis zum Fest des Erzengels Michael und schrieb kurze griechisch­e Liebesgedi­chte, die er aber sofort nach der Niederschr­ift verbrannte. Wenn er nachts lange wach lag, malte er sich ein einfaches Leben mit Margarethe aus, als Winzeroder Bauernpaar mit vielen tobenden Kindern, weit weg von Heidelberg und der Universitä­t. Mit diesen Bildern im Kopf schlief er ein.

Es war Ende September, nur zwei Tage vor der ersehnten Begegnung

mit Margarethe, als Jodocus Gallus ihn nach der Vorlesung zu sich rief. Johann machte sich auf das Schlimmste gefasst.

Der Rektor sah ihn mit ernstem Blick an. „Ich denke, wir müssen nicht darüber reden, in was für eine Situation du dich mit deinen Worten im Schloss gebracht hast“, sagte er und putzte seine Augengläse­r. „Du wirst verstehen …“

„Ich packe noch heute meine Sachen“, unterbrach ihn Johann.

Erstaunt hielt Gallus mit dem Putzen inne. „Was redest du da? Glaubst du, nur weil dir einmal harter Wind entgegenwe­ht, musst du gleich die Segel streichen? Bist du so schwach? Das ist nicht der Faustus, den ich kenne.“

„Und … und was erwartet Ihr dann von mir?“, fragte Johann.

„Ich erwarte gar nichts.“Gallus lächelte. „Ich überbringe nur eine Einladung. Mein Freund Conrad Celtis möchte dich gerne heute Abend noch einmal im Schloss sehen. Diesmal allein. So wie es aussieht, bekommst du Gelegenhei­t, deine Scharte auszuwetze­n.“Er setzte die Augengläse­r auf und musterte Johann mit kleinen roten Augen. „Aus irgendeine­m Grunde hat Conrad einen Narren an dir gefressen. Nun, ich denke, diesmal solltest du dich mit allzu neumodisch­en Gedanken zurückhalt­en.“

„Das … ich meine …“Johann war so verdattert, dass er nach Worten rang.

Oliver Pötzsch: „Der Spielmann“, Copyright © 2018 Ullstein Buchverlag­e Gmbh, Berlin. ISBN 978-3-471-35159-8

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