Jetzt wird es ernst
Eu-chefunterhändler Michel Barnier stellt Bedingungen für ein Handelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich
Die Europäische Union und das Vereinigte Königreich hatten vor dem Brexit „die ambitionierteste Partnerschaft, die es gibt“, bedauert Michel Barnier, der Chefunterhändler der EU gestern in Brüssel. Nun gelte es, so Barnier weiter, dennoch eine gute Partnerschaft für die Zukunft zu finden, die allerdings den Entscheidungen der britischen Regierungen, den Eu-binnenmarkt und die Zollunion zu verlassen, Rechnung trägt.
Vor wenigen Tagen ist das Vereinigte Königreich nach 47 Jahren Mitgliedschaft aus der EU ausgetreten. Die Scheidung erfolgte erst über drei Jahre nach dem Brexitreferendum von 2016. Seither ist allerdings eine sogenannte Übergangsphase eingetreten, während der das Vereinigte Königreich offiziell kein Mitglied der EU mehr ist – also keine Vertreter mehr in den Eu-institutionen hat. Ansonsten ändert sich während dieser „Übergangsphase“, die bis Ende 2020 andauert, fast nichts – bis dahin gelten im Vereinigten Königreich noch alle Eu-regeln. Nun gilt es für beide Seiten, diese Zeit zu nutzen, um eine neue Handelsbeziehung zu definieren, die 2021 eintreten soll.
Für Brüssel und London steht bei den anstehenden Verhandlungen viel auf dem Spiel. Wirtschaftlich geht es darum, die Hürden, die der Brexit schafft, zu begrenzen. Gleichzeitig geht es für die britische Regierung auch darum, den Eu-austritt zu vollziehen und politische Entscheidungen treffen zu können, die von den Eu-regeln abweichen. In diesem Zusammenhang stellte Barnier gestern die roten Linien vor, mit denen die EU in die Verhandlungen gehen wird. Die Prinzipien sind dabei relativ klar und kaum überraschend: Der Zugang für britische Waren und Dienstleistungen zum Eu-binnenmarkt werde davon abhängen, wie eng sich Großbritannien künftig an Eu-regeln und Standards halte. Diese Position deckt sich mit dem, was die Eu-staats- und Regierungschefs bei mehreren Gipfeltreffen seit dem Brexit-referendum festgehalten haben.
Neben der Grundsatzfrage, wie eng die Handelsbeziehungen sein können, gibt es aber auch knifflige Einzelpunkte, die die Verhandlungen zusätzlich belasten werden. Dazu zählen die Fischereirechte – ohne Einigung dürften Eu-kutter nicht mehr in die britischen Fischgründe einfahren. Das ist vor allem für europäische Fischerboote ein Problem. Andererseits, so Eu-diplomaten, benötigen die Fischer aus Großbritannien den Eu-markt, um ihren Fisch zu verkaufen.
Problematisch ist auch, dass die britische Regierung rund um Boris Johnson darauf besteht, dass die
Verhandlungen noch 2020 abgeschlossen werden. Für die britische Regierung ist die Übergangsphase nämlich politisch heikel – während dieser wenden sie Euregeln automatisch an, ohne diese mitzubestimmen – und muss deswegen möglichst kurz sein.
Noch vor wenigen Wochen glaubte Barnier, dass es schwierig sein würde, ein Handelsabkommen in nur elf Monaten auf die Beine zu stellen. Gestern gab sich der Franzose allerdings versöhnlich. „Wenn der Wille vorhanden ist, kann man ein Handelsabkommen
wie das zwischen der EU und Kanada in kurzer Zeit realisieren“, sagte er.
Finanzindustrie will mehr
Aus Luxemburger Sicht wird die Frage der Finanzdienstleistungen besonders brisant sein. Die luxemburgische Finanzindustrie hat ein Interesse daran, die Brücken mit dem Londoner Finanzzentrum aufrecht zu erhalten. Allerdings sind Finanzdienstleistungen nicht von herkömmlichen Handelsverträgen abgedeckt. Mit Drittstaaten werden Finanzdienstleistungen über das System der Eu-gleichwertigkeit (die sogenannten Äquivalenzen) geregelt: Wird der Rechts- und Aufsichtsrahmen eines Drittstaats von der Eu-kommission in einem bestimmten Bereich als gleichwertig mit jenem der EU anerkannt, dann erhalten Akteure aus diesem Staat vereinfachten Zugang zu Eu-märkten.
Das Problem dabei: Die Kommission entscheidet alleine und viele Finanzprodukte werden nicht vom System abgedeckt. Wenn es nach Barnier geht, soll das in Zukunft auch für die Briten gelten – er lässt allerdings auch die Tür offen für eine ehrgeizigere und weniger einseitige Zusammenarbeit, was ganz im Sinne der Luxemburger Regierung wäre.
„Bei Finanzdienstleistungen sind nicht alle Mitgliedstaaten so betroffen wie Luxemburg“, warnt etwa Christophe Hansen, Eu-parlamentarier der CSV. Die Eu-mitgliedstaaten haben bis Ende Februar Zeit, um Barniers Fahrplan zu beeinflussen. Dann wird sein Verhandlungsmandat bestätigt und die Gespräche mit London können beginnen.