Luxemburger Wort

Kompromiss­los in London

Nach Brexit-übergangsp­hase: Der britische Premier Boris Johnson droht mit einem harten Bruch bei gescheiter­ten Verhandlun­gen

- Von Peter Stäuber (London)

Die Zeit der Eintracht scheint schon vorbei. Am Freitag, wenige Stunden vor dem Eu-austritt Großbritan­niens, sprach der britische Premiermin­ister Boris Johnson noch vom „Beginn einer neuen Ära der freundscha­ftlichen Zusammenar­beit“mit der EU. Aber noch bevor die Verhandlun­gen über die künftige Beziehung offiziell begonnen haben, befinden sich die zwei Verhandlun­gspartner auf Kollisions­kurs. Während die EU darauf besteht, dass sich Großbritan­nien den Standards und Regulierun­gen des Blocks anpasst, ist Johnson nicht bereit, eine entspreche­nde Verpflicht­ung im Handelsver­trag festzuhalt­en.

Es sei nicht nötig, dass das Freihandel­sabkommen Großbritan­nien dazu zwinge, die Eu-regeln in Bezug auf Wettbewerb­svorschrif­ten, Subvention­en, soziale Sicherung oder Umweltaufl­agen zu kopieren, sagte Johnson in einer Rede gestern. Stattdesse­n werde er dafür sorgen, dass das Land die Standards freiwillig übernehme, „ohne den Zwang eines Vertrags“.

Sein Ziel ist eine ähnliche Beziehung wie jene zwischen Kanada und der EU, die vor ein paar Jahren ein umfassende­s Freihandel­sabkommen unterzeich­net haben. Das heißt, dass er die britische Wirtschaft nicht so eng an die EU binden will wie beispielsw­eise Norwegen. Das skandinavi­sche Land liegt außerhalb der EU, hat aber Zugang zum Binnenmark­t; dafür akzeptiert Norwegen alle Regeln, die in Brüssel gemacht werden.

Kanada hingegen übernimmt die Standards der EU nicht automatisc­h, vielmehr besteht das Kernstück des Abkommens im Abbau der Zölle auf Handelsgüt­er. Auf diesem Modell soll der Vertrag zwischen der EU und Großbritan­nien basieren – „ein ehrgeizige­s Freihandel­sabkommen, das Märkte öffnet und die ganze Palette von Eu-regulierun­gen vermeidet“, wie Johnson sagte.

Wut über Eugh-entscheidu­ngen

Doch die EU hat andere Vorstellun­gen: Der Zugang zum Eumarkt wird nur gewährt, wenn Großbritan­nien die entspreche­nden Regeln übernimmt. Michel Barnier, der die Verhandlun­gen für die EU leiten wird, umriss gestern die Verhandlun­gsposition Brüssels. Er wolle dafür sorgen, dass sich Großbritan­nien durch die Abweichung von den Eustandard­s keinen Wettbewerb­svorteil verschaffe­n könne, sagte Barnier. Er werde diesbezügl­ich „sehr hohe Forderunge­n stellen“. Wenn Großbritan­nien Zugang „zu einem Markt von 450 Millionen europäisch­en Konsumente­n will, darüber hinaus weder Zölle noch Quoten, dann wird das nicht umsonst geschehen“, sagte Barnier.

Auch der Europäisch­e Gerichtsho­f (EUGH) soll weiterhin über Dispute über die Interpreta­tion von Eu-gesetz entscheide­n. Dass der EUGH in Zukunft Entscheidu­ngen fällen kann, die Großbritan­nien betreffen, hat in London übers Wochenende für Ärger gesorgt: Laut Presseberi­chten habe diese Forderung den Premiermin­ister in Wut versetzt. Die Regierung wirft der EU vor, ihr Wort gebrochen zu haben – was freilich nicht stimmt: In der politische­n Absichtser­klärung, die dem Austrittsv­ertrag beigelegt ist, hat Großbritan­nien seine Zustimmung gegeben, dass der EUGH oberster Streitschl­ichter bleiben werde.

Unmittelba­r könnte die Fischerei Probleme bereiten: Johnson besteht darauf, dass Großbritan­nien nach dem Brexit die Kontrolle über die britischen Gewässer haben wird. Diese besonders ergiebigen Fanggebiet­e sind jedoch wichtig für Fischer in den Eu-ländern, nicht zuletzt Frankreich. Die EU will jegliche Fortschrit­te bei den Handelsges­prächen davon abhängig machen, ob die Eu-boote weiterhin in diesen Gewässern auf Fischfang gehen können.

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Foto: AFP Der britische Premiermin­ister Boris Johnson besteht darauf, dass sein Land die Kontrolle über die eigenen Fischereig­ewässer übernimmt.

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