Kompromisslos in London
Nach Brexit-übergangsphase: Der britische Premier Boris Johnson droht mit einem harten Bruch bei gescheiterten Verhandlungen
Die Zeit der Eintracht scheint schon vorbei. Am Freitag, wenige Stunden vor dem Eu-austritt Großbritanniens, sprach der britische Premierminister Boris Johnson noch vom „Beginn einer neuen Ära der freundschaftlichen Zusammenarbeit“mit der EU. Aber noch bevor die Verhandlungen über die künftige Beziehung offiziell begonnen haben, befinden sich die zwei Verhandlungspartner auf Kollisionskurs. Während die EU darauf besteht, dass sich Großbritannien den Standards und Regulierungen des Blocks anpasst, ist Johnson nicht bereit, eine entsprechende Verpflichtung im Handelsvertrag festzuhalten.
Es sei nicht nötig, dass das Freihandelsabkommen Großbritannien dazu zwinge, die Eu-regeln in Bezug auf Wettbewerbsvorschriften, Subventionen, soziale Sicherung oder Umweltauflagen zu kopieren, sagte Johnson in einer Rede gestern. Stattdessen werde er dafür sorgen, dass das Land die Standards freiwillig übernehme, „ohne den Zwang eines Vertrags“.
Sein Ziel ist eine ähnliche Beziehung wie jene zwischen Kanada und der EU, die vor ein paar Jahren ein umfassendes Freihandelsabkommen unterzeichnet haben. Das heißt, dass er die britische Wirtschaft nicht so eng an die EU binden will wie beispielsweise Norwegen. Das skandinavische Land liegt außerhalb der EU, hat aber Zugang zum Binnenmarkt; dafür akzeptiert Norwegen alle Regeln, die in Brüssel gemacht werden.
Kanada hingegen übernimmt die Standards der EU nicht automatisch, vielmehr besteht das Kernstück des Abkommens im Abbau der Zölle auf Handelsgüter. Auf diesem Modell soll der Vertrag zwischen der EU und Großbritannien basieren – „ein ehrgeiziges Freihandelsabkommen, das Märkte öffnet und die ganze Palette von Eu-regulierungen vermeidet“, wie Johnson sagte.
Wut über Eugh-entscheidungen
Doch die EU hat andere Vorstellungen: Der Zugang zum Eumarkt wird nur gewährt, wenn Großbritannien die entsprechenden Regeln übernimmt. Michel Barnier, der die Verhandlungen für die EU leiten wird, umriss gestern die Verhandlungsposition Brüssels. Er wolle dafür sorgen, dass sich Großbritannien durch die Abweichung von den Eustandards keinen Wettbewerbsvorteil verschaffen könne, sagte Barnier. Er werde diesbezüglich „sehr hohe Forderungen stellen“. Wenn Großbritannien Zugang „zu einem Markt von 450 Millionen europäischen Konsumenten will, darüber hinaus weder Zölle noch Quoten, dann wird das nicht umsonst geschehen“, sagte Barnier.
Auch der Europäische Gerichtshof (EUGH) soll weiterhin über Dispute über die Interpretation von Eu-gesetz entscheiden. Dass der EUGH in Zukunft Entscheidungen fällen kann, die Großbritannien betreffen, hat in London übers Wochenende für Ärger gesorgt: Laut Presseberichten habe diese Forderung den Premierminister in Wut versetzt. Die Regierung wirft der EU vor, ihr Wort gebrochen zu haben – was freilich nicht stimmt: In der politischen Absichtserklärung, die dem Austrittsvertrag beigelegt ist, hat Großbritannien seine Zustimmung gegeben, dass der EUGH oberster Streitschlichter bleiben werde.
Unmittelbar könnte die Fischerei Probleme bereiten: Johnson besteht darauf, dass Großbritannien nach dem Brexit die Kontrolle über die britischen Gewässer haben wird. Diese besonders ergiebigen Fanggebiete sind jedoch wichtig für Fischer in den Eu-ländern, nicht zuletzt Frankreich. Die EU will jegliche Fortschritte bei den Handelsgesprächen davon abhängig machen, ob die Eu-boote weiterhin in diesen Gewässern auf Fischfang gehen können.