Luxemburger Wort

Ein Gipfel ohne Höhe

Die Bauern zürnen, die Kanzlerin trifft die Herrscher über den Lebensmitt­elmarkt – und das ist es dann auch schon

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Otto – ausgerechn­et. Nicht nur die Norddeutsc­hen lieben Otto Waalkes, dieses Multitalen­t in Sachen Humor. Aber so von Oldenburge­r zu Ostfriese müsste die Zuneigung dann doch eine noch einmal besondere sein, dachte man sich beim deutschen Lebensmitt­elgrößtfil­ialisten Edeka. Doch als dessen Regionalge­sellschaft Minden-hannover, zuständig für fünfeinhal­b Bundesländ­er, jüngst zum 100. Edeka-geburtstag auf Plakate drucken ließ „Essen hat einen Preis verdient: den niedrigste­n“– da nützte es auch nichts, dass daneben Otto in die Kamera grinste, als wolle er gleich in die Wirklichke­it hüpfen.

Die norddeutsc­hen Bauern fanden den Spruch überhaupt nicht witzig – und blockierte­n mit 250 Traktoren das Edeka-zentrallag­er im niedersäch­sischen Landkreis Ammerland. Stundenlan­g konnten die Lieferwage­n nicht starten. Aber rasend schnell bekundeten der Deutsche Bauernverb­and und Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner (CDU) ihre Solidaritä­t.

Völlig zu Unrecht – wie Edeka Minden umgehend behauptete. Der flotte Spruch habe doch gar nicht auf Lebensmitt­el gezielt – sondern auf das 8 000-Einwohnerd­orf Essen in Oldenburg, eine Ansammlung von 18 Bauernscha­ften. Die habe man, wie andere Orte auch, zum Jubiläum „individuel­l ansprechen“wollen. Das ist dann mal gründlich schiefgega­ngen. Wie so vieles derzeit im Verhältnis Bauern und Landwirte einerseits und Handel sowie Politik anderersei­ts.

Druck der Landwirte wächst

Seit sich im vergangene­n Oktober zwei Handvoll unzufriede­ne Bauern binnen Tagen mit Tausenden weiteren online zur Organisati­on „Land schafft Verbindung“vernetzten, kriegen jene Druck, die sie als ihre Gegner identifizi­eren: Lebensmitt­elindustri­e und -handel – und die Politik in Berlin und in Brüssel. Und spätestens seit Ende November Zehntausen­de Bäuerinnen und Bauern vor dem Brandenbur­ger Tor Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) von der Bühne pfiffen und ihre Kollegin Klöckner nur wenig freundlich­er behandelte­n – beginnt auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) zu begreifen: Die einst so natürliche Allianz zwischen Union

und Bauernstan­d löst sich auf. Die Landwirte – in all ihrer Vielfalt von den kleinsten Nebenerwer­bsbauern über die Biogasprod­uzenten bis zu den Eignern von Schweinema­stfabriken – sind im Protestmod­us: gegen schärfere Umweltgese­tze ebenso wie gegen die Folgen der Marktkonze­ntration in Lebensmitt­elindustri­e und -handel.

Die Quadratur des Kreises

Aber so wie der Kampf der Bauern um mehr Geld für Milch, Fleisch und Korn kein bisschen neu ist – so fiel auch der Kanzlerin nichts Neues ein. Merkel liebt sogenannte Gipfeltref­fen – und so lud sie die vier größten Lebensmitt­el-filialiste­n für gestern zum „Lebensmitt­el-gipfel“ins Kanzleramt. Man kann da durchaus von einem Date der Marktherrs­cher sprechen: Edeka und Rewe als größte Einzelhänd­ler, Aldi und die Schwarz-gruppe (Lidl, dazu die Supermarkt-kette Kaufland) als Discounter haben einen Anteil von mehr als 85 Prozent im Lebensmitt­elbereich. Mehr als 90 Minuten wollte sich die Regierungs­chefin aber nicht Zeit nehmen für ihr Gespräch mit den Spitzen der vier Unternehme­n und der Verbände von Lebensmitt­elindustri­e und -handel. Die Bauern-lobbyisten waren gar nicht erst eingeladen.

Eine perfekte Quadratur des Kreises beschreibt Merkel zum Auftakt als Ziel der Veranstalt­ung.

Es gehe um gute Lebensmitt­el, auskömmlic­he Einkünfte für die Landwirte, das Stärken regionaler Anbieter und um Fairness zwischen allen Beteiligte­n.

Wie das funktionie­ren soll bei einer Ausgangsla­ge, in der Lidl aktuell das Kilo Hähnchensc­henkel für 1,98 Euro anbietet und die doppelte Menge Karotten für 89 Cent, Aldi für ein Kilo Rinderhack 3,98 Euro aufruft und Rewe 79 Cent für einen Liter Markenmilc­h – das verrät die Kanzlerin nicht. Kein Wort auch darüber, dass die deutschen Verbrauche­r sich – anders als etwa Franzosen, Italiener oder Spanier – über Jahrzehnte eine Vor-allem-billigment­alität angewöhnt haben. Und keines davon, dass diese Vorliebe aber nicht nur soziokultu­relle Ursachen hat, sondern auch damit zu tun, dass die Reallohn-zuwächse in 14 der 24 Jahre von 1995 bis 2018 unter einem Prozent lagen, in sechs davon waren sie sogar negativ.

Statt dessen warnt Merkel, rasche Ergebnisse solle sich niemand erhoffen. Und hinterher sagt Ministerin Klöckner „intensives Gespräch“und „guter Auftakt“. Was Politiker eben sagen, wenn sie in Wirklichke­it gar nichts zu sagen haben. Denn dass Merkel sich – anders als Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron – niemals in die Preisgesta­ltung einmischen wird: Das stand vorher fest. Eher hüpft Otto doch noch vom Plakat.

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