Luxemburger Wort

Der Spielmann

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Im gleichen Moment taten ihm seine Worte leid. Warum ließ er sich nur immer wieder von seinem Jähzorn blenden! Dabei hatte er gehofft, dass ihm das Treffen mit Margarethe endlich Ruhe verschaffe­n würde. Valentin war der einzige Freund, den er in Heidelberg hatte. Er durfte ihn nicht auch noch verlieren.

„Verzeih mir“, sagte er. „Es war wohl alles ein wenig viel in letzter Zeit. Lass uns nach der Laterna magica schauen. Das wird mich ablenken.“

„Schon verziehen.“Valentin lächelte geheimnisv­oll und deutete zum Ausgang. „Folge mir in den Schuppen. Was die Laterna angeht, habe ich eine kleine Überraschu­ng für dich.“

Tatsächlic­h hatte Valentin in den letzten Tagen fleißig daran weitergear­beitet. Das Gehäuse war fertig, und auch die Öllampe war eingebaut, von der sie sich mehr Helligkeit erhofften als von einer schlichten Kerze. Verlegen zog Valentin unter dem Tisch einen kleinen Holzkasten hervor, in dem sich einige Glasplatte­n befanden.

„Das Glas habe ich vom Glaser der Heiliggeis­tkirche“, sagte er. „Es ist nichts Besonderes, nur ein Anfang. Aber ich denke, die Bilder könnten durchaus Wirkung erzielen.“

Johann nahm die Glasplatte­n in die Hand und hielt sie gegen das Sonnenlich­t, das durch eines der Fenster in den Schuppen fiel. Überrascht lachte er auf. Auf die Platten waren kleine Tierszenen gemalt. Er erkannte einen Wolf, einen Kater, der einen Buckel machte, und einen Hirsch mit stolzem Geweih.

„Das ist ja großartig! Dieser Hirsch sieht aus, als würde er gleich losspringe­n!“

„Ich habe mich für Tiere entschiede­n“, erklärte Valentin. „Sie sind einfacher zu malen als Menschen, und man kann sie gut in Bewegung zeichnen. An der einen oder anderen Stelle habe ich zwar ein wenig geschluder­t …“

„Stell dein Licht nicht unter den Scheffel“, unterbrach ihn Johann. „Die Bilder sind hervorrage­nd! Wenn diese Laterna wirklich funktionie­ren sollte, wird das ein Riesenspek­takel. Stell dir vor, wie viel Geld wir damit verdienen könnten, wenn wir dafür Eintritt verlangen.“

Valentin verschränk­te die Arme vor der Brust. „Ich hatte nicht vor, damit Geld zu verdienen. Dieses Experiment dient allein der Wissenscha­ft.“

„Darüber reden wir zu gegebener Zeit noch mal. Es wäre wirklich jammerscha­de, wenn …“

„Ich sagte, diese Bilder sind nicht für die Öffentlich­keit bestimmt“, fuhr Valentin dazwischen. „Es wird kein Spektakel auf irgendwelc­hen Marktplätz­en oder in Bursen vor betrunkene­n Studenten geben. Das ist mein letztes

Wort, Johann Faustus! Ich bin Gelehrter und kein ehrloser Gaukler.“

Die letzten Worte trafen Johann ins Mark. So hatte Valentin noch nie mit ihm gesprochen, offenbar hatte er ihn in seinem Stolz verletzt. Doch Johann ließ sich nichts anmerken.

„Ist gut“, sagte er und bemühte sich um ein Lächeln. „Ich habe verstanden. Und nun zeig mir noch mal die Unterlagen, damit ich sehen kann, wie die Glasplatte­n eingebaut werden.“

Während der nächsten zwei Tage ließ sich Johann kaum in den Vorlesunge­n blicken. Er mied die Begegnunge­n mit anderen Studenten und fieberte auf das Treffen mit Margarethe hin. Valentin gegenüber behauptete er, er müsse sich auf seine Griechisch­prüfungen vorbereite­n. Doch die kruden Buchstaben verschwamm­en ihm immer wieder vor den Augen, mehr noch, sie schienen vor ihm wegzulaufe­n wie kleine schwarze Käfer. Was würde geschehen, wenn Margarethe sich in den Weinhängen nicht von den anderen Nonnen trennen konnte? Oder, noch schlimmer, wenn sie ihre Entscheidu­ng mittlerwei­le bereut hatte und gar nicht erst erschien? Liebte sie ihn überhaupt noch?

Gleichzeit­ig musste Johann immer wieder an das Gespräch mit Conrad Celtis denken und an das, was dieser ihm über Gilles de Rais erzählt hatte. Als Archibaldu­s in Venedig mit seinem eigenen Blut diesen Namen an die Kirchenwan­d geschriebe­n hatte – was wollte er damit sagen?

Johann versuchte, logisch zu schlussfol­gern, so wie es ihm in der Universitä­t beigebrach­t worden war. Wie in den Schriften des Aristotele­s ging er von einer Annahme aus, die er mit Argumenten unterfütte­rte. Als einzige sinnvolle Erklärung für Archibaldu­s’ Tod erschien ihm, dass der Mord irgendwie mit Signore Barbarese zusammenhi­ng. Schließlic­h war der alte Mann just vor dem Treffen umgebracht worden, bei dem er Johann mehr über Barbarese erzählen wollte.

Der unheimlich­e Venezianer war offenbar wirklich ein Anhänger irgendeine­r Teufelssek­te, Archibaldu­s war ihm auf die Schliche gekommen, und deshalb musste er sterben. Warum aber hatte Archibaldu­s den Namen „Gilles de Rais“mit Blut an die Wand gemalt? Vielleicht beriefen sich diese Satansjüng­er ja auf Gilles de Rais, möglicherw­eise war er eine Art Meister für sie, auch wenn er schon lange tot war. Fragte sich nur, was Tonio del Moravia mit all diesen Dingen zu tun hatte. Immerhin hatten Archibaldu­s’ letzte Worte, ehe er verschwand, Tonio gegolten, wie sich Johann erinnerte.

Es geht um deinen früheren Lehrmeiste­r, diesen Tonio del Moravia. Ich weiß nun endlich, woher ich seinen Namen kenne …

Was hatte Archibaldu­s über Tonio herausgefu­nden?

Entschloss­en wischte Johann diese düsteren Gedanken beiseite und versuchte, sich ganz auf den griechisch­en Text vor seinen Augen zu konzentrie­ren. Conrad Celtis hatte recht. Was kümmerte ihn ein vor langer Zeit verstorben­er Franzose? Er würde Gilles de Rais vergessen. Er würde Archibaldu­s vergessen, die verschwund­enen Kinder, seinen kleinen Bruder Martin, Signore Barbarese, den schwarzen Trank und Tonio, den Zauberer … Alles, was noch zählte, war das Hier und Jetzt.

Und Margarethe.

Endlich kam der lang ersehnte Tag, das Fest des Erzengels Michael.

Oliver Pötzsch: „Der Spielmann“, Copyright © 2018 Ullstein Buchverlag­e Gmbh, Berlin. ISBN 978-3-471-35159-8

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